40. Psychologe Neunmalklug akka Lifesaver

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Jaron

Keine zwei Stunden.
Keine zwei verdammten Stunden und schon musste ich wieder rennen.
Gereizt und völlig übermüdet warf ich mir meine Kapuze über und ging mit grossen Schritten durch die mir so vertrauten Strassen.
Sogar der müffelnde Geruch nach Kanalisation und feuchten Ablagerungen störte mich nicht so stark wie üblich.
Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich war froh wieder zurück zu sein.
New Jersey gehörte nie wirklich zu meinen Lieblingsorten und ich war mir sicher, dass ich auch nicht für immer hier bleiben würde, jedoch war der Staat immer noch um einiges besser als Mexiko.
Zumindest das Mexiko was ich in den letzten Wochen kennengelernt hatte. Wenn ich schon dachte, dass in New Jersey äusserte Vorsicht geboten war, dann war Mexiko nochmal eine ganz andere Liga.
Hinter jeder Ecke lauerte die Gefahr übers Ohr gehauen zu werden.
Auch wenn es nur eine banale Alltagssituation, wie zum Beispiel im Supermarkt einkaufen zu gehen, war. Allein dort musste man seine Taschen doppelt und dreifach festhalten und auf der Hut sein.
Vor allem bei den kleinen Kindern musste man sich in Acht nehmen. Diese kleinen Racker dort waren wohl die Hinterhältigsten von allen.
Naja, so froh ich auch war wieder zurück zu sein, so sehr nervte es mich auch schon nach nicht mal zwei Stunden wieder durch die Strassen zu strielen. Im Moment war mein einziges Ziel mein Bett kombiniert mit absoluter Ruhe.
Nicht mal mit Jackson konnte ich ein Wort wechseln, denn dieser schlief als ich in unsere Wohnung zurückkehrte wie ein Baby auf der Couch und schien um nichts auf der Welt aufwachen zu wollen.
Aber wenn ich ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass es so besser war. Sein Erscheinungsbild auf den ersten Augenblick war erschreckend und ich war mir nicht sicher, ob ich das hätte überspielen können.
Durch seine Kleidung konnte ich ohne Probleme ausmachen, dass er während meiner Abwesenheit erschreckend stark abgenommen hatte. Seine Wangenknochen stachen so stark hervor, wie ich es noch nie bei einem Menschen gesehen habe und seine Hautfarbe war längst nicht mehr gesund.
Ich bemühte mich, ihn nicht zu wecken, stieg schnell unter die lang ersehnte Dusche und fiel dann keine 10 Minuten später völlig kraftlos in mein langersehntes Bett.
Aber wie es aussah, schienen alle um mich herum davon auszugehen, dass ich endlos Kraft besaß und musste meine Matratze schneller wieder verlassen, als mir lieb war.
Soll es heute nur einer wagen, mich in kleinster Weise zu reizen, dann kann ich für nichts mehr garantieren.
Langsam näherte ich mich hörbar meinem Ziel und bog absichtlich in eine andere, etwas kleinere, Gasse ein, so dass ich nicht durch das ganze Gewimmel musste, sondern ohne weiteres in den kleinen Hinterhof kam, welcher mich direkt zu dem etwas älteren, aber dennoch noch intakten Wohnhaus führte.
Rick, einer von Jimmys Gorillas, stand bereits vor der Eingangstür und nickte mir stumm zu, ehe er mich passieren liess.
Rick hatte noch nie viel Wert auf Worte gelegt. Seit ich ihn kannte, konnte ich an einer Hand abzählen, wann er mal den Mund aufgemacht hatte.  Eine reife Leistung meiner Meinung nach.
Jimmy liebte es zu plaudern, auch wenn es dann hauptsächlich um ihn ging. 
Kaum betrat ich das Gebäude, kam mir der Geruch von Zigarren entgegen, was mir verriet, dass Jimmy schon anwesend war.
Er liebte diese Dinger und es war mittlerweile schon so etwas wie zu seinem Markenzeichen geworden.
"Scheiße Mann, siehst du fertig aus.", eine nette Begrüssung sah definitiv anders aus. Doch Ben und meine Freundschaft war schon längst darüber hinaus, da waren Nettigkeiten nicht mehr von belangen.
"Ist das verwunderlich?", grummelte ich hörbar angepisst.
"Ich hoffe für Jimmy reicht es, wenn ich nur brav neben ihm stehe und jeden mit meiner schlechten Laune in die Flucht schlage."
Zu mehr war ich wirklich nicht mehr fähig. Doch der darauffolgende Blick meines Freundes liess meine Hoffnung gleich wieder ersticken.
"Was muss ich tun?", fragte ich deshalb nur resigniert.
Mir bewusst, dass ich wohl oder übel keine Wahl hatte.
Ben schenkte mir einen mitleidigen Blick,"Du sorgst dafür, dass das Geld in die richtigen Hände kommt."
Ich schnaubte spöttisch,"Du meinst in Jimmy' Hände."
Ben musste mir gar nicht antworten, ich wusste, dass ich recht hatte.
"Wenigstens stellt er dir seine neue Errungenschaft zur Verfügung. Samuel ist schon die ganze Zeit scharf darauf. Wenn er davon erfährt, wird er dich nur noch mehr piesacken."
"Soll er es versuchen. Für sowas hab ich keine Zeit. Bring mich zu dem Teil und lass es uns hinter uns bringen. Ich möchte einfach, dass das alles schnell vorbei geht."
Ben zögerte keine Sekunde und deutete auf die Tür, aus der er gerade eben erst gekommen war, "Na dann komm mal mit."
"Wie war es in Mexiko?", erkundigte er sich, während wir die dunkle Betontreppe runter stiegen.
"Heiss."
Daraufhin bekam ich von meinem Freund einen anzüglichen Blick, welcher mich sogleich das Gesicht verziehen liess,"Nicht so du Idiot!
Die Hitze dort war ungeniessbar genauso wie die Leute."
"Dann ist diese kleine Bullentochter von damals immer noch aktuell?"
Falsches Thema.
Ganz falsches Thema.
Clea war jetzt das Letzte über was ich nachdenken wollte.
Und trotzdem konnte ich mir es nicht verkneifen,"Clea."
Auf den fragenden Blick hin schob ich hinter her, "Sie heisst Clea."
"Ich weiss. Und allein dass du das richtigstellst bestätigt meine Vermutung."
Ich brauchte ein paar Sekunden, ehe ich kapierte was Ben da gerade von sich gegeben hatte.
"Jackson.", knurrte ich verstehend.
"Naja komm. Ich bin ja nicht dumm. Dein Bruder hat nur die Lücken gefüllt."
Darauf sagte ich nichts.
Ich hatte weder die Lust noch die Kraft, mit Ben zu diskutieren.
Vor allem da ich wusste, dass es von Anfang an aussichtslos war.
Mittlerweile waren wir in der unterirdisch angelegten Garage angekommen und ich blickte mich suchend nach dem mir versprochenen neuen Spielzeug von Jimmy um. Doch ausser ein paar älteren Klappergestellen und vereinzelten Jeeps war nichts zu sehen.
Dieses ganze Gebäude gehörte Jimmy. Er selbst jedoch nutze es nur äusserst selten. Eher seine Leute hausten hier und er nutzte eher die Garage. Wer sein Wagen nämlich liebt, sollte ihn über Nacht keinesfalls am Strassenrand stehen lassen.
Am nächsten Morgen hatte man im schlimmsten Fall gar keinen mehr oder es fehlte die Hälfte davon.
Auch ich musste das auf die harte Tour lernen.
Wobei schlussendlich litten die Schuldigen mehr.
Mein geliebter Dodge stand einmal überdacht im Freien, da war er am nächsten Morgen nicht mehr wieder zu erkennen.
Das Gehäuse völlig zerkratzt und die Reifen aufgeschlitzt.
Sichtlich eine Retourkutsche, für was auch immer ich getan haben sollte. Jedenfalls fand ich schnell heraus, wer so lebensmüde war und die drei Kerle, naja sagen wir es mal so, werden nie wieder auf solche Ideen kommen. Aus dem ganz einfachen Grund weil sie es nicht mehr können.
Seit dem her kann ich meinen Wagen parken, wo ich will, er bleibt unberührt.
Was mich zugegeben Massen mit etwas Stolz erfüllte.
"Willst du dazu noch was sagen oder mich weiter ignorieren?"
Ich seufzte frustriert. Dieser Idiot wird aber auch nie Ruhe geben!
"Ich weiss nicht, was es da zu sagen gibt."
"Falsch. Du willst nicht wissen, was es da zu sagen gibt.", korrigiere mich der Möchtegern Psychologe neunmalklug.
"Du hast echt den falschen Job.", bemerket ich trocken und hörbar gereizt, was mein Gegenüber zum lachen brachte.
Auch wenn es kein echtes war.
Wir beide wussten, dass ich recht hatte. Doch die Umstände liessen uns keine Wahl. Wir beide könnten uns wahrhaftig anderes vorstellen.
Wobei, auf die Schnelle wüsste ich nicht, was ich mit meinem Leben anfangen würde, wenn ich die Möglichkeit hätte, das selbst zu entscheiden.
"Und da wären wir. Jimmy' neues Baby.", ich folgte seiner Geste und tatsächlich. Um die Ecke, versteckt hinter einem Van, stand ein quietsch gelber Nissan der extra Sportklasse.
Ich Pfiff anerkennend,"Nicht schlecht!"
Ein Klimpern riss mich aus meiner Musterung und ich konnte, dank meiner Reaktion, gerade noch so den auf mich zu fliegenden Schlüssel mit der einen Hand abfangen.
"Dann zeig mal, was du kannst!"

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt