67. Erstes Date

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Nervös, aufgedreht, entnervt und vorfreudig. Kurz gesagt: ich war völlig überfordert.
Doch darüber beschwerte ich mich nicht im Geringsten.
Ich war zwar überfordert, doch das im Guten Sinne.
Zum ersten Mal seit vier Tagen hatte ich wieder etwas anderes im Kopf als diesen schrecklichen Keller.
Und das wiederum hatte ich allein Jaron zu verdanken. Denn dieser war heute früh in mein Zimmer spaziert mit der schlichtenAussage,"Wir haben heute Abend ein Date."
Und bevor ich überhaupt etwas dazu sagen konnte, war er auch schon wieder verschwunden und hatte für den Rest des Tages Ben als meinen Aufpasser eingespannt.
Unpassender könnte unser erstes Date eigentlich nicht sein. Es gab so viele Sachen, die eigentlich Vorrang hatten und dagegen sprachen.
Aber die Vorfreude in mir konnte ich trotzdem nicht leugnen.
In den letzten Tagen jedenfalls, hatte ich die Zeit grösstenteils damit verbracht, stumm und völlig zurückgezogen meinen Gedanken nachzuhängen.
Mich im Selbstmitleid zu baden.
Nicht einmal Jaron, Brianna oder gar Caroline, konnten in dieser Zeit richtig zu mir durchdringen.
Und sie haben es versucht.
Allein mit Caro hatte ich in den letzten Tagen so viel Kontakt wie schon lange nicht mehr und kurz hatte ich sogar die Befürchtung, sie würde in den nächstbesten Flieger steigen und mich persönlich durchrütteln, bis ich wieder ich selbst werden würde, wie sie es immer sagte. Doch ich war davon überzeugt, man konnte mich noch so fest durchrütteln und an meinen Verstand appellieren, die schrecklichen Bilder würden mich trotzdem weiterhin Tag und Nacht verfolgen.
Ich konnte einfach nicht verhindern, mich bei jedem Schritt zu fragen, ob ich gerade jetzt, in diesem Moment, durch eine Kameralinse beobachtet wurde. Da konnten noch so viele Polizisten ums Haus aufgestellt sein, die Paranoia blieb.
Nur in meinem Zimmer, mit vorgezogenen Vorhängen, kam ich wenigstens einigermassen zur Ruhe.
Jaron wich mir nicht von der Seite und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Ohne ihn wäre ich nur noch ein heulendes Etwas in der Ecke.
Er wusste, wie schwer es für mich war. Zumal meine Eltern eigentlich seit drei Tagen schon wieder hier sein müssten, doch seit etwas weniger als einer Woche herrscht in Vermont, wie in New York, - und folglich so auch hier in New Jersey-, ein Schneesturm wie schon seit Jahren nicht mehr.
Überall wurde davon berichtet und so war es nicht weiter verwunderlich, dass sämtliche Flugverbindungen gecancelt wurden.
Mum und Dad sassen also in Vermont fest und warteten bis das Unwetter vorüberzog. Ganz zu Dad' Leidwesens. Es machte ihn verrückt, genau wie Mum.
Jaron liess mich  kaum aus den Augen, fühlte mich aber keineswegs eingeengt.
Er tat mir gut, liess mich oft alleine in meinem Zimmer, gab mir Raum ohne das ich danach verlangte und doch war er beim kleinsten Ton meinerseits sofort wieder an meiner Seite.Die Nächte würde ich ohne ihn jedenfalls nicht überstehen.
Die Albträume konnte er zwar nicht  ganz verbannen, jedoch beruhigte mich seine alleinige Anwesenheit und das Gefühl seiner starken Arme um mich. Mittlerweile war er Meister darin, mich zu beruhigen und mit Wörtern einzulullen, begleitet von sanften Zärtlichkeiten.
Balsam für mich und meine angeschlagene Seele.
Aber er konnte nichts dagegen tun wie ich mich fühlte.
So dreckig und beschmutzt. Sie frassen mich förmlich von Innen heraus auf.
Ich hasste Myers dafür, dass er mich so fühlen liess, wobei ich genau wusste, dass ich gar nichts dafür konnte. Ich konnte nichts dafür, dass mir so ein kranker Pädophiler nachstellte und mein ganzes Leben bei sich zu Hause an der Wand hängen hatte. Und doch fühlte ich mich so, wie ich mich nun mal fühlte.
Und wenn ich ehrlich war, hasste mich dafür wahrscheinlich genauso sehr, wie ich Myers hasste.
"Also ich mag den Rock mit dem moosgrünen Pulli am liebsten.
Sexy aber dennoch verspielt und süss."
Seufzend blickte ich von meinem Wirrwarr an Kleidungsstücken auf, die ich gerade noch verzweifelt versucht hatte zu ordnen und warf meiner Freundin einen skeptischen Blick zu.
Diese wiederum verdrehte nur die Augen,"Süße, an deiner Stelle wäre ich wohl genauso aufgergt wie du aber glaub mir wenn ich sage, dass du einfach toll aussiehst. Typen stehen auf Beine und deine sind nun mal nicht zu verachten. Mit den schwarzen Stiefeletten wirst du ihn verrückt machen."
Ich konnte nicht anders und musste grinsen. Es sah auch zu putzig aus wie Caro völlig in ihrem Element mit Händen wild gestikulierend versuchte mir Mut zu zusprechen.
Und ich gab zu, irgendwie hatte sie recht. Das Outfit war süss und sexy zugleich. Simple aber trotzdem wirkungsvoll.
Nur ein Problem wäre da noch.
"Meinst du nicht, ich werde mir damit den Arsch abfrieren?", skeptisch hielt ich meine schwarzen durchsichtigen Strümpfe in die Höhe, so dass meine Webcam sie erfasste und Caro am anderen Ende der Leitung sehen konnte, was ich meinte.
Alles was ich von ihr jedoch zu hören bekam war,"Wer schön sein will, muss leiden."
Seufzend blickte ich auf mein nun halbwegs fertig geordnetes Outfit hinab. Sie hatte recht. Wieder einmal.
"Weisst du wenigstens wohin es geht?"
Bedauernd schüttelte ich den Kopf, das war ja das Problem, "Keinen blassen Schimmer. Jaron hat keinen Ton gesagt und aus Ben krieg ich auch nichts heraus."
"Wie süß!", kommentierte meine Freundin und grinste breit.
Ich verdrehte nur die Augen.
Es war zwar süß, aber irgendwie wollte ich wissen wohin es mich heute Abend verschlagen würde. Dann könnte ich mich wappnen.
Kaum hatte ich den Gedanken fertig gedacht, zuckte ich über mich selbst zusammen.
Mein Gott es war ein Date!
Kein Mordskommando!
Es war etwas schönes, dass man geniessen und auf sich zulassen kommen sollte.
Und ich ging wieder mal vom Schlimmsten aus.
"Laut meiner Uhr hast du noch knapp eine Dreiviertelstunde und du bist weder geschminkt, noch sind deine Haare gemacht. An deiner Stelle würde ich mich jetzt beeilen."

Beyond all reason - Gegen jede VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt