P h ö n i x

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Ich kauere in der Ecke, als ich meine Augen langsam öffne. Ich sehe mich im Bauwagen um. Alles ist unordentlich und unaufgeräumt. Wie es früher niemals war. Lukas hatte seine unkonventionelle Bleibe geliebt und hatte immer dafür gesorgt, dass es gemütlich und aufgeräumt war.

Nun ist die Luft ist stickig, überall liegen Kleider und dreckige Tassen rum. Scheinbar isst er nicht viel in letzter Zeit, ansonsten wären zwischen dem herumliegenden Krempel auch Teller zu finden. Hier sollte wirklich dringend mal wer lüften!

Ich schaue zum Bett und sehe Lukas darin liegen, wie schon das letzte Mal, als ich hier war. Er sieht noch schlechter aus. Abgemagert und eingefallen.

Hilflosigkeit überkommt mich. Hilflosigkeit und Wut über die Situation. Über meine Situation. Lukas' Trauer überrollt mich, erdrückt mich. Nimmt mir den Atem! Nur schwer schaffe ich es, mich zu erheben und zu Lukas' Bett rüber zu wanken.

Ich knie mich vor ihn nieder und streiche ihm über die Haare.

Ich bin mir nicht sicher, ob Damian den Phönix hinterlegt hat. Eine Antwort auf meine Mail habe ich jedenfalls nicht erhalten. Trotzdem hoffe ich, dass er es getan hat. Für mich. Und für Lukas.

Die Augen geschlossen, versuche ich mich auf Lukas zu konzentrieren. Versuche, ihn durch meine Gedanken irgendwie dazu zu bringen, zum Briefkasten zu gehen und hoffe inständig, falls mir dies tatsächlich gelingen sollte, dass es nicht vergebens ist.

Nur mit Mühe kann ich Lukas' Trauer und wirre Gedanken ertragen. Seinen Schmerz, der sein ganzes Sein einnimmt. Ich versuche alles, um seine Gedanken umzuleiten. Ich beginne mit ihm zu reden. Er hört mich zwar eh nicht, aber vielleicht fühlt er es. Irgendwann. Auch wenn es sinnlos scheint, ich muss es einfach versuchen.

„Hör zu Lukas..." flüstere ich ihm leise ins Ohr. „Auch wenn mein offensichtliches Leben geendet hat, mein Geist ist noch immer bei dir und wird es auch bleiben. Bitte versuche mich zu spüren. Kannst du mich nicht fühlen? Du hast mich immer gespürt. Wusstest immer, was in mir vorgeht. Bitte versuche es. Versuch mich zu spüren."

Lukas beginnt sich unruhig im Bett hin und her zu werfen. Ich bin mir nicht sicher, ob er wach ist. Seine Gedanken verraten es mir nicht.

„Ich weiss, es klingt bescheuert Lukas. Aber das Leben geht weiter. Für dich geht es weiter und für mich, ob du es glaubst oder nicht, sogar auch irgendwie. Wenn auch nicht mehr so wie früher. Aber du musst etwas tun! Lass dich nicht so gehen!" ich halte einen Moment inne. „Hör zu und das ist jetzt ganz wichtig. Geh zum Briefkasten. Bitte! Da liegt etwas für dich. Ein Zeichen, von dem ich hoffe, dass es etwas verändert. Das dir die Augen öffnen soll. Bitte! Tu es für mich. Und für dich. Geh und schau nach!"

Seine Hand liegt in meiner, doch er fühlt die Meine nicht. Die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Gedanken macht mir immer mehr zu schaffen. Meine Finger drehen kleine Kreise auf seinem Handrücken.

Nachdem ich scheinbar Stunden so bei ihm verharrt bin, öffnet er endlich die Augen. Sein Blick ist leer, wie er es nie gewesen ist. Ich halte den Atem an und warte ab, was jetzt passiert. Der Blick in seinen Augen gibt mir einen Stich. Wir haben uns immer verbunden gefühlt. Was auch immer in ihm vorging, betraf auch mich. Ihn so zu sehen, ist beinah unerträglich.

Endlich erhebt er sich langsam. Setzt sich an den Bettrand und lässt den Kopf hängen. Dann jedoch rappelt er sich auf, zieht einen Pullover über und öffnet die Tür nach draussen.

Wie hypnotisiert folge ich seinen Schritten. Sehe ihn, auf das kleine Gartenhäuschen zuzuwanken, in dem sich die Toilette befindet. Zitternd setze ich mich an die Feuerstelle, die schon seit Wochen kein Feuer mehr gesehen zu haben scheint und warte.

Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt