Ich versuche, die Melodie zu erhaschen und fühle, wie ich mich langsam beruhige, mich etwas von meinen Gedanken ablenke. Ich habe mich scheinbar nicht getäuscht. Ich hör es immer deutlicher. Ich atme schwer, da mir das Ganze ziemlich unfassbar reinkommt.
Ich lausche den Klängen, lasse mich von ihnen wegtragen. "Tired of you" einer meiner Lieblingssong der Foo Fighters. Die Melodie bringt mit beinah zum Heulen. Sie macht mir wieder bewusst, was ich zurückgelassen habe. Zurücklassen musste. Was ich alles vielleicht nie wieder werde tun können! Geniessen können.
Manchmal möchte ich einfach heulen, vor... verdammt! Ich fühl mich alleine und im Stich gelassen. Ich möchte zurück in meine Welt, die ich geliebt habe! Egal, wer sich diese bescheuerte Wendung in meinem Leben ausgedacht hat, er hatte keinen Plan, was er damit anrichtet. Ich hätte die grösste Lust, alles hinzuschmeissen, aber leider verfüge ich über nichts mehr, das ich hätte hinschmeissen können!
„Hi." Ich höre eine weibliche Stimme ganz in meiner Nähe.
Wie immer fahre ich zusammen, wenn ich eine Stimme aus dem Nichts beziehungsweise aus den Nebelschwaden kommen höre.
„H...Hi?" ich stottere etwas.
„Ich bin Rain."
„Hi Rain... Ich bin Nina." Eigenartiger, aber eigentlich ein ganz schöner Name.
Ich zögere einen Moment. Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, mit Jemandem zu sprechen, der unsichtbar ist. Den ich noch nie gesehen habe. Aber ich kann mir die Frage nicht verkneifen. „Bist du... Bist du auch tot?"
„Ja" Rains Stimme schmunzelt. „Das sind wir alle. Du bist wohl die Neue?"
Es klingt zwar bekloppt, aber irgendwie fühl ich mich ziemlich erleichtert, nicht die einzige zu sein, die tot ist hier. Als wäre sie ne Verbündete. Die verbündeten Toten. Super, wie witzig ich doch bin. Ich rolle innerlich die Augen über mich selber.
Rain hat eine sympathische Stimme. Schade, dass ich sie nicht sehen kann. Wie ist sie wohl hierhergekommen? Welche Geschichte mag hinter ihr liegen? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie eine tragische Geschichte erlebt hat, ihre Stimme klingt zu fröhlich und leicht dafür. Wie eine sanfte Sommerbrise. Oder ein leichter Sommerregen, wär in ihrem Fall wohl passender.
Na ja, es müssen ja nicht alle einen Autounfall hinter sich haben, der dich zermalmt hat, wie ich. Tja, man kann nicht immer Glück haben. Und ich hatte das Glück wohl definitiv nicht gepachtet. Obwohl, egal wie man stirbt, man kann wohl nie von Glück sprechen. Auf jeden Fall nicht, wenn man jung stirbt. Und Rains Stimme hört sich auch ziemlich jung an.
„Ja, ich bin erst vor kurzem angekommen. Oder... gestorben. Wie man's nimmt."
„Mein Beileid." Sagt Rain mit ernster Stimme, worüber ich wider Willen lachen muss. Eine Tote spricht einer anderen Toten ihr Beileid, zu deren Tod aus. Wie absurd ist das denn!
Rain stimmt in mein Lachen ein. „Ja, klingt etwas makaber, aber da wirst du dich schon noch dran gewöhnen. Solange man über die Dinge lachen kann, ist alles halb so schlimm."
„Ja, da hast du recht, Aber in der letzten Zeit fällt mir das Lachen leider etwas schwer" gebe ich etwas zerknirscht zu. Ich fühle, wie ich richtig sentimental werde. Habe das Gefühl, in dieser tristen Einöde sowas wie eine Freundin gefunden zu haben. Ich denke, ich habe Freunde nötiger denn je in meinem Leben. Oder in meinem Tod. Oder was auch immer! Egal.
„Rain... ist vielleicht ne absurde Frage. Aber... wie siehst du aus? Oder wie hast du früher ausgesehen?" Ich weiss, dass meine Frage absolut bescheuert ist und überhaupt nicht relevant in unserer Situation, aber ich habe das Bedürfnis, zumindest eine Vorstellung zu haben, mit wem ich spreche. Vielleicht ist es das Bedürfnis nach Normalität in dieser absurden Umgebung, das ich verspüre.
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
General FictionEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...