sechzehn

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Der Mailwechsel mit Damian hat mich ziemlich mitgenommen. Emotional gesehen. Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll war, ihm zurückzuschreiben, mit ihm in Kontakt zu bleiben, aber es war mir unmöglich, es nicht zu tun. Es ist mir nicht möglich, NICHT ZU ANTWORTEN.

Aber es ist auch nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Die Worte, die das ausdrücken, was mich bewegt und die mich trotzdem nicht zu erkennen geben.

Ich seufze unwillkürlich auf und beschliesse mich etwas auf die Bank vor meinem Häuschen zu setzen. Die Sonne auf meinem Gesicht würde mir vielleicht gut tun.

Ein Glas Wasser in den Händen setze ich mich und schliesse die Augen. Irgendwie ist alles so kompliziert geworden. Jeder kleinste Kontakt mit meiner früheren Welt ist so kompliziert und schmerzhaft. Da tut es manchmal gut, einfach hier in meiner Welt hinter der Nebelgrenze zu bleiben, um wieder Energie zu tanken.

Ich benötige diese kleinen Ruhepausen, um nicht unter die Räder zu kommen. Ironie des Schicksals, ich weiss. Hätte mir ja nie vorgestellt, dass ich nach meinem Tod darauf achtgeben muss, dass ich nicht untergehe, nicht (zum zweiten Mal) unter die Räder komme.

Meine Gedanken schweifen ab zu Nick. Was soll ich bloss mit Nick anstellen? Gibt es irgendeinen Weg, ihm zu helfen? Er ist so verbittert und ich kann ihn verstehen. Er hat in der beschissenen Geschichte wohl fast am Meisten erlitten. Sein gesamtes Leben ist mit einem Schlag vor die Hunde gegangen.

Ich weiss, ich sollte ihn im Krankenhaus besuchen. Aber ich kann zurzeit nicht. Vielleicht, weil ich weiss, dass ich eh nicht viel für ihn tun kann. Vielleicht, weil es zu schmerzhaft ist, ihn so zu sehen. Seine Veränderung zu sehen. Ich habe zurzeit einfach nicht die nötige Kraft dazu, mich dem auszusetzen.

Und wie ich so über ihn nachdenke, durchzuckt mich ein Gedanke. Ein Gedanke, der mich schon mehrmals heimgesucht hat, wenn ich an Nick gedacht habe. Weiss der Geier warum!

Und der Gedanke ist niemand Geringeres als Felicitas! Was soll das?? Ich weiss echt nicht, was diese verdammte Felicitas mit Nick zu schaffen hat! Warum nur, taucht immerzu ihr Name vor meinem geistigen Auge auf, wenn ich an Nick denke? Irgendeine Lötstelle in meinem Hirn scheint da jeweils ne Fehlverbindung aufzubauen.

Und als hätten meine Gedanken es hervorgerufen, höre ich das Signal einer eingehenden Mail auf meinem Laptop. Ohne nachzuschauen weiss ich, von wem das Mail ist und das erzeugt mir eine gehörige Gänsehaut. So viel zu 'hinter der Nebelgrenze relaxen und Energie tanken'.

Ich bleibe noch einen Moment sitzen und schliesse wieder die Augen. Versuche mich auf das vorzubereiten, was ich gleich zu Gesicht bekomme. Aber es ist unmöglich, darauf vorbereitet zu sein. Emotional gesehen mein ich. Also steh ich auf und gehe langsam ins Haus zurück.

Ich klicke auf den kleinen Briefumschlag, der das Mail öffnet.




Von: felicitas.707@bluewin.com

An: unsichtbar@nebelgrenze.com

Betreff: Danke für deine Antwort

Liebe Nina

Heisst du tatsächlich auch Nina, wie die Nina, an die ich meine Worte gerichtet habe? Wenn ja, ist das wohl ein unglaublicher Zufall!

Ich danke dir jedenfalls, dass du mir geantwortet hast. Ehrlich gesagt, wär ich doch gelinde gesagt, ziemlich erstaunt gewesen, wenn meine Worte die richtige Nina gefunden hätten.

Leider muss ich sagen, dass an besagtem Tag mehr als nur Jemand zu Schaden gekommen ist. Daher wünsche ich auch nichts mehr, als es ungeschehen machen zu können.

Für Nina werde ich wohl nichts mehr tun können und trotzdem oder gerade deshalb vielleicht, ist es für mich leichter, meine Worte an sie zu richten als an... Na ja, es ist kompliziert.

Was ist denn in deinem Leben krasses passiert? Wenn du willst, kannst du es mir gerne erzählen. Ich befinde mich zurzeit in Reha und habe massig Zeit zuzuhören.

Liebe Grüsse

Felicitas




Nach kurzem Zögern, haue ich in die Tasten. Ohne gross nachzudenken, richtig ich meine Worte an die Person, der ich den ganzen Schlamassel zu verdanken habe.




Von: unsichtbar@nebelgrenze.com

An: felicitas.707@bluewin.com

Betreff: Re: Danke für deine Antwort

Hallo Felicitas

Wieso wärst du erstaunt gewesen, wenn du die richtige Nina erwischt hättest? Und ja, auch ich heisse Nina. Gibt es denn Zufälle im Leben? Manchmal denke ich, es gibt sie nicht. Wenn alles seinen Sinn hat im Leben, kann es doch keine Zufälle geben, oder? Die Frage ist wohl, ob tatsächlich alles seinen Sinn hat...

Was meinst du mit „Es ist leichter die Worte an Nina zu richten als an..." An wen kannst du deine Worte nicht richten? Und warum kannst du nichts mehr für sie (Nina) tun?

Tja, wie es scheint, wärst du wirklich lieber nicht in den Wagen gestiegen. Oder hättest gar nie angefangen zu fahren. Es gibt ja auch Fahrräder, das wär vielleicht gesünder gewesen!

Überleg mal, was passiert wäre, wenn du nicht losgefahren wärst? Wie dein Leben, euer aller Leben, jetzt wäre?

Was in meinem Leben passiert ist? Es ist ziemlich kompliziert. Irgendwie wurde ich von einem Moment auf den andern aus meinem gewohnten Leben gerissen. Kennst du das, wenn eine Sekunde alles verändert? Nichts mehr so ist, wie es vorher war?

Ich bin jetzt an einem Ort, der zwar nicht schlecht zu sein scheint, aber mein altes Leben fehlt mir so sehr. Wenn ich meine eigenen Worte so lese, klingt es ziemlich unspektakulär, aber dennoch, alles was ich will, ist mein Leben zurück, wie es war. Aber das geht nicht mehr und das bricht mir das Herz.

Gruss

Nina

P.S. Du bist in der Reha? Hast du dich bei dem Unfall verletzt?

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