dreiundzwanzig

48 11 40
                                    



Mit zitternden Fingern werfe ich meinen Laptop an. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe und hoffe inständig, dass ich keinen Mist gebaut habe. Dass ich die ganze verdammte Situation nicht noch schlimmer gemacht habe, als sie eh schon ist!

Lukas hat mir nach dem Telefonat mit Damian verklickert, dass Nick im Krankenhaus ausgerastet sei. Die Person, die die ganze Misere angerichtet hätte, hätte die Unverfrorenheit gehabt, im Krankenhaus bei Nick aufzutauchen.

Als Lukas diese Worte wiedergab, fühlte ich mich regelrecht elend. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Ich hätte nicht gedacht, dass Nick so reagieren würde. Früher hätte er nie so reagiert. Was hat dieser idiotische Unfall nur aus ihm gemacht?! Er war immer die Sanftmut in Person. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich mich in ihn verliebt hatte.

Lukas und ich beschlossen, im Krankenhaus vorbei zu gehen, um zu sehen, ob wir Schadensbegrenzung betreiben können. Oder besser gesagt, um zu sehen ob LUKAS Schadensbegrenzung betreiben kann, denn ich war nicht wirklich eine grosse Hilfe, denke ich, zumal Nick mich weder sehen, hören noch spüren kann. Trotzdem ging ich mit. Als Unterstützung für Lukas. Und weil ich mich irgendwie für dieses Desaster verantwortlich fühle, was er natürlich nicht weiss.

Es gelang Lukas tatsächlich, Nick etwas zu beruhigen. Ich sass daneben und habe zugeschaut, wie sie scheinbar stundenlang miteinander sprachen. Zuerst war Nick noch sehr aufgebracht, aber mit der Zeit wurde er immer ruhiger. Selten habe ich mich so nutzlos gefühlt.

Nun bin ich wieder Zuhause vor meinem Laptop, um zu sehen, was von der anderen Seite des Dilemmas kommt. Falls etwas kommt.

Und tatsächlich - eine ungelesene Mail von Felicitas. Ich atme tief ein und versuche meine Nervosität runterzuschlucken, als ich auf das Symbol klicke, um das Mail zu öffnen.



Von: felicitas.707@bluewin.com

An: unsichtbar@nebelgrenze.com

Betreff: Re: Bitte tu das nicht!

Ich hab's getan. Ich war da, weil du mich darum gebeten hast (warum du mich darum gebeten hast, ist mir noch immer schleierhaft, aber egal). Ich kann nur so viel sagen: ES WAR SCHRECKLICH!!

Ich habe ja nicht wirklich erwartet, dass ich mit offenen Armen empfangen würde (ich selber hätte mich auch nicht mit offenen Armen empfangen), aber das, was sich da abspielte, hat mich doch etwas schockiert!

Nick hat, als er realisiert hat, wer ich bin, angefangen zu schreien und zu toben! Na ja, zumindest habe ich einige neue Schimpfworte und Beleidigungen gelernt. Wie hat sich Nina nur in so einen Typen verlieben können?

Ok, irgendwie kann ich ihn ja verstehen und eigentlich hat er ja auch Recht. Mit allem, was er mir an den Kopf geworfen hat. Ich habe es verdient! Ich hoffe, es hat ihm gut getan und die Welt ist dadurch etwas gerechter geworden. In Wahrheit habe ich noch viel Schlimmeres verdient, denn ich hab all das Unglück über diese Menschen gebracht.

Ich sage nicht, dass es einfach zu ertragen ist, die Beleidigungen zu hören, aber ich habe es verdient. Also danke, dass du mich dazu gebracht hast, Nick zu besuchen!

Felicitas



Ich sitze da und bin einfach mal sprachlos. Erschlagen von diesen Worten. Das war weiss Gott nicht meine Absicht. Es war nicht mein glorreicher Plan, dass Felicitas zur Schnecke gemacht werden sollte! Vielmehr hatte ich gehofft... dass... ach was! Ich weiss selber nicht mehr, was ich mir in meinem irrwitzigen Hirn zurechtgelegt und erhofft hatte.

Ein tiefer Seufzer entweicht mir. Ich ziehe meine Knie an mein Kinn und vergrabe meinen Kopf in den Armen.

Ich weiss nicht, wie lange ich so da gesessen habe. Auf einmal hör ich ein Räuspern. Ohne den Kopf zu heben, weiss ich schon, wer es ist und bin einfach nur froh, dass er hier ist. Trotzdem reagiere ich nicht.

Ich höre Rivers raue Stimme leise sagen: „Willst du's mir erzählen?" Und schon spüre ich, wie seine Arme mich von hinten umschlingen.

Ich lehne mich etwas gegen ihn und umfasse seine Arme, um sie zu drücken. „Ich habe dich vermisst, River!"

„Ich dich auch, Nina!" Ich kann hören, wie er bei diesen Worten lächelt, auch wenn ich sein Gesicht nicht sehe.

„Was ist dir über die Leber gelaufen? Ist jemand gestorben?"

„Sehr witzig, River! Nein, ich denke, ich hab's mal wieder vermasselt! Ich hab alles noch schlimmer gemacht."

„Ich denke nicht, dass das möglich ist, das schaffst nicht mal du, Nina!" versucht River zu scherzen.

„Ich meins ernst River! Ich hab's vergeigt!"

„Das kann ich mir nicht vorstellen... erzähl erst mal, was passiert ist."

Und so erzähle ich River von meinen genialen Plan, dass Felicitas und Nick sich gegenseitig helfen sollten und wie alles so ziemlich in die Hose gegangen ist.

River, der sich mittlerweile auf den Stuhl mir gegenüber gesetzt hat, schaut mich lange und ernst an. Ich kann förmlich sehen, wie seine Zahnrädchen rotieren.

„Gib ihnen Zeit, Nina. Ich denke, es könnte funktionieren, aber wohl nicht von einem Tag auf den andern. Versuch zumindest Felicitas etwas zu beruhigen. Versuch sie dazu zu bringen, weiter zu versuchen, zu Nick durchzudringen. Aber mach ihr klar, dass es nicht die Absicht ist, sie durch die Reaktionen von Nick zu bestrafen."

„Meinst du wirklich?" Obwohl ich selber ja von meinem Plan überzeugt gewesen bin, hege ich so meine Zweifel in diesem Moment. Ich möchte einfach nicht noch mehr anrichten, als ich es schon getan habe.

„Ganz sicher!" Mit diesen Worten steht River auf, beugt sich über mich, nimmt meinen Kopf in seine Hände und verpasst meiner Stirn einen sanften Kuss. Das Lächeln, das über sein Gesicht zieht, wärmt mich von innen. Unwillkürlich muss auch ich lächeln.

„Hör mal Nina... ich muss mich bei dir entschuldigen, dass ich vor ein paar Tagen so davon gestürmt bin." Er macht eine Pause und scheint nach Worten zu suchen. „Es... es ging mir nicht so gut."

Etwas skeptisch schaue ich ihn an. „Und jetzt geht's dir wieder gut?"

River zuckt mit den Schultern. „Ich denke schon...". Jedoch vermeidet er es, mir in die Augen zu schauen, was in mir den Verdacht entstehen lässt, dass hier noch was anderes dahinter steckt. Dessen bin ich mir sicher! Aber ich spüre, dass er nicht darüber sprechen will, daher lass ich das Thema fallen.

Er scheint nicht traurig darüber, dass ich ihn nicht weiter löchere. Er schaut eine Weile aus dem Fenster, bevor er seinen Kopf wieder in meine Richtung dreht und schon wieder lächelt. Der Moment ist verflogen.

„Hast du heute was vor, Nina? Ich habe da ne kleine Überraschung für dich!"

Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt