Von: unsichtbar@nebelgrenze.com
An: felicitas.707@bluewin.com
Betreff: Re: Re: Bitte tu das nicht!
Ach Felicitas
Ich weiss nicht, was ich sagen soll! Ich wollte nicht, dass du dich schlecht fühlst. Du solltest nicht von Nick zur Schnecke gemacht werden! Es ist nicht das, was du verdient hast. Egal, wie du selber über dich denkst!
Ich denke einfach, dass er verzweifelt ist und nicht gewusst hat, wie mit dieser vertrackten Situation umzugehen.
Es mag verrückt klingen, aber ich bitte dich, es nicht persönlich zu nehmen. Du bist nicht schuld, egal was Nick dir an den Kopf geworfen hat. Gib ihm etwas Zeit!
Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich fühl mich elend, denn das wollte ich nicht.
Bitte entschuldige...
Nina
Nur diese paar Zeilen hinzukriegen, hat mich schon geschafft. Ich weiss nicht, was ich ihr noch hätte schreiben können. Ich sollte mich ja nicht verraten. Nicht verraten, dass ich Nick besser kenne, als sie es je ahnen kann. Andererseits muss ich mir ja nicht wirklich Sorgen machen, dass ich mich verraten würde, da sie es sowieso nie glauben könnte.
Ich halte meinen Kaffee in der Hand und sitze auf der Bank vor meinem Haus. Irgendwie muss ich versuchen, meine Gedanken zu ordnen. Ich fühle mich, als würde ich von aussen ein Theater oder einen Film betrachten, der mein früheres Leben war und versuchen mitzumischen, wobei ich leider kläglich scheitere.
Vielleicht sollte ich mich aus allem raushalten? Es ist nicht mehr mein Leben. Und trotzdem kann ich nicht sagen, dass mir das alles am Arsch vorbei geht.
Der Tag mit River war wunderschön. All die Überraschungen, die er für mich organisiert hat, waren einfach der Hammer! Trotzdem ändern sie nichts an den Dingen, die um mich herum geschehen. Wenn ich ehrlich bin, macht es alles noch etwas komplizierter, auch wenn sich das undankbar anhört.
Auf eine schräge Art und Weise fühle ich mich zwischen den Welten hin und her gerissen. Meine alte Welt, in die ich mich vielleicht lieber nicht mehr einmischen sollte, aber mich doch nicht einfach raushalten kann und dann meine eigentliche, jetzige Welt mit Rain und River. River... warum tut er das alles für mich?
Obwohl ich den Tag mehr genossen habe, als irgendein anderer in all den letzten Wochen, bin ich jetzt doch ziemlich durcheinander. Ob ich's wahrhaben will oder nicht, war die Stimmung auf der Sonnenblumenlichtung einfach romantisch und wunderschön. Ich bin mir nicht sicher, ob das River beabsichtigt hat, denn er hat keinen Schritt in diese Richtung unternommen.
Ich höre ein leises Geräusch hinter mir... Auf einmal spüre ich zwei Arme, die mich von hinten umfassen. Ihr Kichern, das sie versucht zu unterdrücken, verrät sie jedoch. Rain!
Wie viele Tage habe ich sie nicht gesehen! Sie zieht mich in eine Umarmung und scheint mich nicht mehr loslassen zu wollen.
„Rain! Wie schön dich zu sehen! Du hast mir gefehlt!"
„Du mir auch!" Rains Mund verzieht sich von einem Ohr zum andern. Sie schaut mich prüfend an. „Na dann erzähl... was hat mein Bruder mit dir angestellt?"
„Was hat er dir denn erzählt?"
„Ach, ich weiss so Einiges... aber ich möchte es von dir hören."
„Dein Bruder hatte einige Überraschungen für mich organisiert... es war einfach... der Hammer. Das Picknick inmitten des Sonnenblumenfeldes war einfach nur wunderschön! Und dann Lola... wie hat er das nur fertig gebracht?? Und vor allem, warum tut er dies alles für mich?"
„Ich denke, das weisst du... oder?"
Tja... so ist es nun mal. Manchmal fragst du dich die ganze Zeit und kommst zu keinem Schluss und wenn jemand anderes dir die paar Worte 'ich denke, das weisst du...' sagt, kannst du dich nicht mehr vor der Wahrheit verstecken, die du eigentlich schon die ganze Zeit gewusst hast.
„Er mag mich, oder?" Trotzdem schaue ich Rain etwas unsicher an.
Rain sagt nichts, grinst nur, was Antwort genug ist. „Ich mag dich ja auch", zwinkert sie mir zu.
Ich gebe ihr mit dem Ellenbogen einen Knuff in die Seite. „Du weisst, wie ich's meine."
Meine Freundin schaut mich an und meint nun in einem ernsterem Tonfall: „Mach dir keine Sorgen Nina. Es kommt alles wie es kommen muss. Lass es einfach auf dich zukommen."
Ich schaue in Rains Gesicht. „Ich weiss... und... ich mag ihn ja auch, aber zurzeit passiert so viel. So viel, das mich beschäftigt und manchmal weiss ich nicht, wo mir der Kopf steht."
„Lass dir Zeit... wenigstens die rennt uns hier nicht mehr davon", meint Rain mit einem schelmischen Grinsen. „Aber mach dir nicht zu viele Gedanken. Du kannst nicht für alles verantwortlich sein, du kannst nicht alles steuern. Hin und wieder musst du auch einfach mal an dich denken. Damit es dir selber gut geht."
„Aber manchmal weiss ich nicht mal mehr, was ich selber möchte. Manchmal weiss ich nicht mehr, was mir gut tut." Ich halte meine Kaffeetasse in der Hand und stütze meine Arme auf die an mich gezogenen Knie auf.
Rain schweigt eine Weile und meint dann: „Welches waren deine schönsten und unbeschwertesten Momente seit du gestorben bist?"
Ich muss nicht lange überlegen. „Die Tage, die ich mit euch, mit dir und River verbracht habe."
„Ok... und deine glücklichsten Momente?"
„Als Lukas mich endlich wahrgenommen hat, obwohl es auch irgendwie traurig war. Und... als ich im Sonnenblumenfeld lag und in den Himmel blickte... neben River."
Rain schaut mich an und scheint eine Weile zu überlegen. „Wenn du eine Neuigkeit hast, egal, ob gut oder schlecht... wem möchtest du sie als erstes erzählen?"
„River." Ohne lange zu überlegen, kam mir der Name über die Lippen. „Obwohl ich hier natürlich keine grosse Auswahl habe", gebe ich zu bedenken.
„Na ja, das stimmt auch wieder", grinst Rain verschmitzt.
„Aber ich denke, auch wenn ich ein Heer Menschen zur Verfügung hätte, die mich sehen und hören könnten, würde ich wohl zuerst zu River gehen." Irgendwie erfüllt mich diese Erkenntnis mit einem warmen Gefühl und ich spüre, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit mach. Nein, es macht sich in meinem Körper breit.
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
General FictionEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...