Ich halte Nina im Arm und spüre ihre Wärme. Vielleicht ist es falsch von mir, das zu tun, was ich gerade tue. Aber ich kann nicht anders und ihr scheint es auch gut zu tun. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich sie nicht nur uneigennützig umarme. Natürlich möchte ich sie beruhigen. Aber ich möchte sie auch einfach spüren. Ist das falsch? Ich möchte ihre Nähe, ihre Wärme an meinem Körper spüren.
Und mein verdammtes Herz rast, als hätte es einen Marathon hinter sich. Ich kann nur hoffen, dass sie es nicht bemerkt. Oh Mann! Wenn sie bemerken würde, wie sehr ich mir wünsche, ihr nahe zu sein, würde sie vermutlich schreiend davonrennen.
Es fällt mir sogar schwer, meinen Atem zu beruhigen. Verdammt! Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich sie umarme. Was ist bloss los mit mir? Es macht mir echt Mühe, mich unter Kontrolle zu halten. Am liebsten würde ich an ihren Haaren schnuppern. Meine Lippen auf ihren süssen Hals drücken.
Ich frag mich echt grad, was falsch läuft mit mir. Noch nie in meinem Leben habe ich so sehr das Bedürfnis nach Nähe verspürt, wie jetzt, in diesem Moment.
Ich frage sie leise, ob sie wieder ok ist, nur damit ich etwas sage, um die Stille zu durchbrechen, ansonsten kann ich nicht garantieren, wie lange ich mich zurückhalten kann.
Nina nickt und sagt: „Danke! Es tut gut!"
Diese paar Worte, auch wenn sie für sie nichts bedeuten, lassen mich fast die Fassung verlieren. Was genau meint sie, mit 'es tut gut'? Ist das auf mich bezogen oder so ganz allgemein gemeint? Ich vermute, ich verrenne mich da wirklich grad in etwas, aber hat da nicht etwas in ihrer Stimme mitgeschwungen? Fakt ist, dass ich jetzt noch mehr Mühe habe, meine Atmung zu kontrollieren, ganz zu schweigen von meinem hämmernden Herzen!
So geht das nicht. Ich muss was tun, muss diese Stimmung durchbrechen, ansonsten...
Ich räuspere mich. „Wie wär's, wenn ich ein Feuer im Kamin machen würde, damit du dich etwas davor setzen kannst?"
„Sehr gerne. Ich mach uns eine Flasche Wein auf."
Mist! Das war nicht eigentlich das, was ich bezweckt habe. Zusammen Wein trinken vor dem Kamin hilft meinem Herzklopfen sicher auch nicht weiter. Ich sollte mich lieber aus dem Staub machen.
„Ich habe gedacht, dass du vielleicht ein wenig Zeit alleine brauchst, um über Dinge nachzudenken... Ich könnte morgen nochmals vorbeikommen und nach dir sehen." Ich merke selber, dass meine Stimme gerade wenig überzeugend klingt.
„Wenn du noch was anderes vorhast, ist das natürlich ok, aber falls du Bock hast, mir noch etwas Gesellschaft zu leisten, würde mich das sehr freuen."
Oh Mann! Was soll ich bloss dazu sagen? Mein Herz macht einen Sprung. Ich denke, das sagt schon alles. Natürlich ist es nicht das, was vernünftig ist oder was ich denke, gut für Nina wäre, aber ich kann nicht anders, als ihren Vorschlag anzunehmen, während sich meine Mundwinkel ohne mein Wollen von einem Ohr zum andern verziehen.
Ich mache mich dran, das Feuer zu machen, derweil Nina in ihrer Kochecke, die Flasche Wein öffnet.
Vor dem Kamin steht ein Sofa, das genug gross für uns beide ist. Ich mache es mir in der einen Ecke bequem und achte darauf, genug Platz für Nina zu lassen, um ihr nicht zu nahe zu kommen.
Langsam passt sich mein Herzschlag wieder mehr oder weniger einer normalen Geschwindigkeit an. Ich atme tief durch und bin froh, etwas freier atmen zu können, ohne Angst zu haben, dass Nina bemerken könnte, dass mich ihre Nähe beinahe aus der Bahn wirft.
Nina kommt mit zwei Weingläsern in der Hand zum Sofa rüber und lächelt. Und schon verliere ich mich wieder in ihren Augen. Ihren unergründlich grünen Augen mit dem goldenen Sprenkeln. In ihrem Lächeln, das die ganze Welt in einer Sekunde erhellen kann.
Nina setzt sich auf das Sofa, aber nicht, wie ich gedacht habe, an das andere Ende, sondern ziemlich dicht bei mir. Wir stossen an und schauen uns in die Augen. Schon wieder suche ich mich selber im Universum... schwimme im tiefen See von Ninas Augen. Verdammt, sie macht es mir wirklich nicht einfach!
„Es ist schön, dass du hier bist River!" sagt Nina leise.
„Es ist auch schön, bei dir zu sein!" Verd...! Das habe ich eigentlich nicht sagen wollen. Nichts in der Art! Himmel... was soll ich bloss tun?
Nina lehnt sich zurück. Ich versuche meinen Arm, den ich auf der Lehne platziert habe, zurückzuziehen, um zu viel Nähe zu ihr zu vermeiden, aber bevor ich das tun kann, kuschelt sich Nina schon an mich.
Und schon beginnt mein Herz wieder mit seinem Marathon! Ich kann ihre Wärme spüren, ihren Duft riechen. Ich sollte mich schleunigst von hier verkrümeln und doch möchte ich nirgendwo anders sein, als genau hier.
Ich benötige meine gesamte Konzentration, sie nicht noch näher an mich zu ziehen, meine Finger daran zu hindern, sie zu liebkosen und...
Nina benötigt Jemanden, der für sie da ist, der ihr zuhört, der ihr Gesellschaft leistet und es wäre egoistisch, wenn ich ihre Situation ausnützen würde. Das kann ich nicht und das darf ich nicht!
Ich seufze und lehne mich vor, um mein Weinglas auf den Tisch zu stellen. „Nina, ich glaube, ich sollte jetzt lieber gehen."
Ich vermeide es, ihr in die Augen zu sehen. Ich stehe auf, stosse Nina dadurch von mir und zögere kurz. „Es tut mir leid. Ich komme morgen vorbei, um nach dir zu sehen."
Mit diesen Worten verlasse ich fluchtartig Nina's Haus und atme draussen auf. Erleichtert und trotzdem bedrückt.
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
General FictionEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...