siebzehn

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Rain sitzt neben mir auf der Parkbank. Sie ist Feuer und Flamme über die Neuigkeiten mit den Mails. Nicht nur die Mails von Felicitas, sondern auch die von Damian. Ihre Augen glänzen vor Begeisterung.

„Das ist soo cool!" ihr Grinsen geht mal wieder von einem Ohr zum andern. Ich liebe dieses Lachen. Doch auch wenn ihre Begeisterung irgendwie ansteckend ist, teile ich sie nur bedingt. Vielleicht bin ich da zu realistisch.

Obwohl, wenn ich mit Damian sowas wie einen Mailkontakt aufbauen könnte, hätte das schon was. Aber wieso sollte er auch Interesse haben, mit einer, ihm Unbekannten, Mails auszutauschen? Und dann erst noch mit einer, die mit solch abstrusen Bitten ankommt, die er nicht verstehen kann? Aber vielleicht, könnte genau das ihn dazu bewegen, mit mir Kontakt halten zu wollen. Weil ich scheinbar in irgendeinem Zusammenhang mit seiner verstorbenen Schwester stehe. Und das tu ich ja tatsächlich. Mehr als er sich wohl jemals vorstellen kann.

„Ich bin mir zwar nicht sicher, wohin ein Kontakt mit Damian führen sollte, aber ich gebe zu, es wäre schon cool, wenn auch ziemlich abgefahren. Ich könnte mich ja nie zu erkennen geben. Wofür denn das alles? Dasselbe beim Kontakt mit Felicitas", gebe ich zu bedenken.

„Es geht nicht darum, dass du dich zu erkennen geben brauchst, dass du als Nina schreibst", erwidert Rain. „Sie werden es spüren können, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist."

Dafür dass Rain eine solch übersprudelnde Energie und Fröhlichkeit hat, sind ihre Überlegungen und Aussagen oftmals erstaunlich scharfsinnig und obwohl sie doch um einiges jünger ist als ich, zumindest ist sie jünger gestorben ist als ich, verfügt sie doch über eine Sicherheit in den Dingen die sie tut, die ich noch immer vergeblich bei mir selber suche. Eine Sicherheit, um die ich sie manchmal beneide.

Ich im Gegensatz, war mir eigentlich fast nie sicher. Egal bei was. Auch als ich noch gelebt habe. Ich habe mich immer gefühlt, wie das sprichwörtliche Fähnchen im Wind. Nicht dass ich mich jeder anderen Meinung angeschlossen hätte, aber wann immer ich etwas von einer anderen Seite betrachtet habe, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich auch richtig lag. Die Zweifel, ob etwas richtig ist für mich, ob ich das Richtige tue, waren einfach immer da.

Und jetzt, nachdem ich gestorben bin, in dieser fremden Welt, mehr denn je. Ich fühle mich verloren zwischen den Nebelschwaden, eine für mich noch immer undurchschaubaren Welt.

„Ich hoffe, du hast Recht Rain. Und doch wünsche ich mir nichts mehr, als Damian sagen zu können, wer ich bin."

„Ich weiss. Es ist nicht leicht, aber auch wenn wir noch hier sind, nicht jeder ist für diese Art von Kontakt geschaffen. Du muss rausfinden, wer dafür bestimmt ist, dich zu erkennen und wer es nicht verstehen könnte und es daher auch besser gar nicht weiss." Rain schaut mich, für sie schon ungewöhnlich ernst, an.

Ich schaue in den Himmel. Sehe die Sterne an. Als ob ich dort die Antwort finden würde. Die Antwort, die ich eigentlich schon weiss.

„Es bleibt nur Lukas", gebe ich seufzend von mir. „Nur Lukas kann mich vielleicht so sehen oder spüren, wie ich jetzt bin... vielleicht irgendwann."

Auch wenn es mich traurig macht, dass alle andern, meine Eltern, Nick und Damian, es nicht werden können, bin ich doch froh, dass die Chance besteht, dass Lukas es eines Tages kann.

„Trotzdem möchte ich einen Weg suchen, wie ich zumindest Nick helfen kann. Er war so ein fröhlicher Mensch. Er war hilfsbereit, lebenslustig, einfach eine Frohnatur. Und jetzt? Jetzt ist er verbittert und wütend. Dass kann nicht so bleiben. Ich werde einen Weg finden, ihm zu helfen."

„Ich denke, du weisst den Weg schon."

Ich schaue Rain an. Verstehe nicht, was sie meint. Wie soll ich schon wissen, wie ich Nick helfen kann? Wie will SIE das wissen, wenn nicht mal ich es weiss?

Rain sieht mich an und lächelt. Nicht ihr breites Lächeln vom einen Ohr zum andern. Es ist mehr ein stilles Lächeln. Ein wissendes Lächeln, das mich dafür umso unwissender zurücklässt. „Mach dir keine Sorgen. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, wirst auch du es sehen."

Oh Mann! Rain ist um einiges jünger als ich und alle scheint so klar vor ihr zu liegen. Sie scheint sich keine Gedanken machen zu müssen. Scheint immer zu wissen was zu tun ist. Wie kann sie nur über diese Weisheit verfügen? Woher hat sie dies?

„Rain, du bist manchmal ein Mysterium, weisst du das?"

„Na klar weiss ich das! Das ist doch mein Job", grinst sie darauf und zwinkert mir zu. „Na komm schon... geh endlich mal deine Mail checken, um zu sehen, ob dir wer geschrieben hat!"

Mit einem Mal wirkt Rain wieder wie ein junges, ungeduldiges Mädchen. Grinsend erhebe ich mich und hole meinen Laptop von drinnen. Ich starte ihn, öffne die Seite des Mailservers...

Eine ungelesene Nachricht. Mein Herz beginnt zu hämmern. Mit zitternden Händen klicke ich das Mail auf.




Von: dam.freitag@gmail.com

An: unsichtbar@nebelgrenze.com

Betreff: Re: Re: Eine gross Bitte

Liebe Unbekannte

(kannst du mir nicht einen Namen geben, damit ich dich richtig ansprechen kann, wenn du schon nicht deinen richtigen Namen bekannt geben willst? „Unbekannte" klingt irgendwie schräg und unpersönlich)

Was meinst du mit 'ich kenn dich nicht so, wie ich es mir vorstelle'? Auf welche Art kenne ich dich denn?

Irgendwie ist es unfair. Nina scheint dir von mir erzählt zu haben. Aber hat sie mir auch von dir erzählt? Ich weiss es nicht. Denn ich weiss nicht, wer du bist. Du siehst, die Karten sind nicht gerecht verteilt.

Aber im Ernst. Nina bedeutet mir sehr viel. Hat mir viel bedeutet. Und wenn du sie so gut gekannt hast, wie es den Anschein macht, sollte ich dich doch kennen. Und wenn nicht, wird es höchste Zeit dafür.

Danke für deine Worte. Auch ich hätte mir ein Leben ohne Nina nie vorstellen können. Und trotzdem bleibt mir nun keine andere Wahl. Ich muss es einfach auf die Reihe kriegen. Irgendwie. Ohne sie. Und das ist schwerer, als ich mir jemals vorgestellt habe. Kannst du das verstehen?

Ich weiss nicht, wie ich das tun soll. Sie fehlt mir so unglaublich! Sie war da, mein Leben lang. Und jetzt ist sie einfach... weg. Ich verstehe es noch immer nicht.

Alles Liebe (warum auch immer ich das zu einer Unbekannten schreibe - frag mich nicht)

Damian

P.S. was bedeutet i.L.?

PP.S. Du schreibst Nina wünscht sich, an mir anlehnen zu können. Verdammt! Weisst du, was du mir mit dem Satz antust? Du benutzt die Gegenwartsform!! Merkst du das nicht? SIE KANN ES NICHT MEHR TUN! UND SIE KANN ES SICH NICHT MEHR WÜNSCHEN!

Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt