achtundzwanzig

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Alle amüsieren sich und sind in Gespräche vertieft. Ich sitze da, sitze und höre zu. In meiner Kehle hat sich ein Kloss festgesetzt, der mich scheinbar nicht mehr verlassen will.

Irgendwie hat sich gerade mein ganzer Frohmut verflüchtigt und das seit Joleen auf der Bildfläche erschienen ist, auch wenn ich das nur ungerne zugebe.

Seit sie hier ist, scheint sich alles nur um sie zu drehen. Ist so lebendig (jaja... ich weiss... niemand von uns hier ist wirklich lebendig), quirlig und fröhlich. Rivers ganze Aufmerksamkeit liegt allein auf Joleen und immer wieder beobachte ich, wie sie sich umarmen und knuddeln. Ich höre sie leise lachen und dieser Klang bohrt sich wie eine Spitze in meine Brust.

Ich versuche, ein weiteres Mal, den Kloss runterzuschlucken. Meine Brust fühlt sich an, als sei sie in einem mittelalterlichen Korsett zusammen geschnürt und ich ertappe mich, wie mir ein tiefer Seufzer entfährt. Was zum Himmel ist nur los mit mir? Warum spüre ich diese hirnrissige Eifersucht? Es gibt absolut keinen Grund dafür!

Schon als Rain Joleen umarmt hat, wär ich am liebsten dazwischen gegangen. Ich meine Hallooo? Ist doch egal, wen Rain umarmt. Und River... irgendwie hatte ich immer das Gefühl, ich sei was Besonderes für ihn. Und nun, schenkt er mir keinen verdammten Blick mehr, seit Joleen aufgetaucht ist. Trotzdem... ich habe keinerlei Recht, Eifersüchtig zu sein!

Aber so sehr ich es auch versuche, ich kann nicht über meinen Schatten springen! Am liebsten würd ich mich jetzt einfach zurückziehen und mich ins Bett legen. Wahrscheinlich würde es eh niemand bemerken, wenn ich abtauche. Aber natürlich tu ich's nicht, schliesslich bin ich ja die Gastgeberin, also muss ich hier wohl oder übel durch.

Ich unterhalte mich etwas mit Marlon, aber irgendwie höre ich nur mit einem Ohr hin, was mir eigentlich leid tut, denn er scheint ein wirklich liebenswürdiger Kerl zu sein, auch wenn er etwas melancholisch auf mich wirkt. Marlon erzählt mir etwas aus seinem Leben, aus seinem Leben von damals.

„Vermisst du dein früheres Leben, Marlon?"

Marlon denkt eine Weile nach. „Eigentlich nicht. Ich habe mich früher nie wohl gefühlt in meiner Haut, habe es nicht geschafft, mich so zu nehmen, wie ich halt bin und dadurch hab ich wohl einige Personen in meinem Leben sehr verletzt." Seine Stimme hat einen traurigen Klang.

„Sie werden dir sicher verziehen haben", meine ich, auch wenn ich tatsächlich keinen Schimmer habe, ob ihm tatsächlich verziehen wurde oder ob das jemals zur Debatte stand. Ich verspüre einfach den Drang, etwas Tröstendes zu sagen.

„Ich glaube nicht, dass das, was ich getan habe, zu verzeihen ist. Ok... nur damit wir uns nicht falsch verstehen, ich habe niemanden umgebracht oder so." Meint Marlon mit schiefem Grinsen.

„Da bin ich aber froh!" versuche ich zu scherzen.

Ich betrachte Marlon eine Weile. Er hat wirklich gutmütige Augen und ich kann mir nicht vorstellen, was er getan haben soll, das so unverzeihlich ist. „Hast du nach deinem Tod mal versucht Kontakt mit ihnen aufzunehmen, versucht, ein paar Dinge wieder gerade zu biegen?"

„Bis jetzt nicht. Mir hat der Mut dazu gefehlt. Aber ich vermute, ich sollte es bald mal versuchen... Es ist wohl an der Zeit." Marlon schaut nachdenklich ins Feuer.

„Wenn du irgendwie Hilfe oder einen Rat brauchst, kannst du immer zu mir kommen. Obwohl ich ja in Nebel-Übergreifenden-Aktionen noch nicht so erfahren bin."

„Das werd ich." Marlon schaut mir in die Augen und fährt nach einer kurzen Pause fort: „Na ja, immerhin konnte ich dich etwas ablenken, wie es scheint."

In Marlons Augen kann ich einen gewissen Schalk erkennen.

„Wie meinst du das?" ich spüre, wie meine Stimme etwas unsicher klingt.

Marlon schaut mich an und nickt dann, ohne ein Wort zu verlieren, in Richtung River und Joleen.

Verdammt! Bin ich sogar für fremde Menschen so leicht zu durchschauen? Na toll!

Marlon scheint zu spüren, dass es mir unangenehm ist. „Keine Sorge Nina. Es geht in Ordnung. Manchmal können wir einfach nicht über unsern Schatten springen. Ich kenne das", meint er mit einem warmen Ton. „Und überhaupt... mach dir keine Sorgen wegen Joleen. Vertrau mir."

So lieb es ja gemeint ist von Marlon und nicht dass ich ihm nicht glauben wollte, ändert es trotzdem nicht viel daran, dass ich mich mies fühle. Der Einzige, der wohl etwas daran ändern könnte, ist River selbst, aber der scheint noch immer im Joleen-Bann gefangen zu sein.

Ich zwinge mich zu lächeln. „Danke dir Marlon! Du scheinst sehr feinfühlig zu sein."

„Das war ich nicht immer... früher war ich wohl zu sehr beschäftigt, mein wahres ich nicht erscheinen zu lassen, um wirklich etwas um mich rum checken."

„Warum das? Ich meine, warum wolltest du dein wahres ich verbergen? Du bist doch ein prima Kerl!"

Marlon lächelt mich müde an. „Das versuche ich mir seit zwei Jahren auch vermehrt beizubringen und hin und wieder glaub ich es sogar."

Ich schaue in Marlons Augen und kann den Schmerz darin erkennen. Ohne lange zu überlegen, ziehe ich ihn in meine Arme. „Glaub mir, du BIST ein prima Kerl!"

Und das meine ich auch so, auch wenn ich mir sehr wohl bewusst bin, dass er mir nicht wirklich glauben kann, ebenso, wie ich ihm nicht wirklich glaube, dass ich mir wegen Joleen keine Sorgen zu machen brauche.

Ich weiss nicht, wie ich dazu komme, solche Vertraulichkeiten auszutauschen, aber es fühlt sich richtig an. Als ich mich von ihm löse, fallen meine Augen auf River und unsere Blicke kreuzen sich.

Ich wende meinen Blick schnell ab, aber kann im Blickwinkel erkennen, dass ein verschmitztes Lächeln über Marlons Gesicht huscht. Als ich wieder zu River blicke, bemerke ich, dass er nicht mehr ganz so auf das Gespräch konzentriert wirkt. Immer wieder machen seine Augen kurze Abstecher in meine Richtung.

Obwohl es wahrscheinlich bescheuert ist, aber ich fühl mich schon etwas besser. Wie kindisch ist das denn? Ich bin eifersüchtig und fühl mich besser, wenn ich sehe, dass River es scheinbar auch nicht kalt lässt?? Wie weit bin ich bloss gesunken. Trotzdem muss ich mir ein kleines Grinsen verkneifen.

„Na, besser?" flüstert mir Marlon zu.

„Auch wenn es bescheuert ist, ja." Gebe ich ungern zu. „Trotzdem scheint Joleen jemand sehr Wichtiges zu sein für River. Warum hat er mir nie von ihr erzählt?"

„Er wird es sicher noch tun. Dir von ihr erzählen."

„Ihr kennt sie wohl alle, oder?" Neugierig schaue ich Marlon an.

„Ja, wir alle kennen sie, aber nicht so wie River und Rain."

Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt