Der Ausflug mit Rain und River hat mir wieder etwas Normalität zurückgegeben. Rain hat recht, irgendwie müssen wir uns an diese kleinen Dinge halten. Sie vermitteln uns das Gefühl, dass wir noch existieren. Auch wenn wir es in den Augen der andern nicht mehr tun. Hauptsache wir können es noch fühlen, denn wenn wir dieses Gefühl verlieren, was bleibt uns dann?
Der Tag auf dem Wasserturm und die Gespräche mit den Geschwistern haben mich ruhiger werden lassen, was es mir ermöglicht, wieder klarer zu denken.
Natürlich haben sich nicht alle meine Probleme in Luft aufgelöst, aber ich habe doch das Gefühl, dass ich den ganzen Scheiss vielleicht bewältigen kann. Vielleicht auch nur mit der Hilfe meiner Freunde. Ein kleiner Lichtblick sozusagen.
Aber es ist doch immer irgendwie so, dass man das an seiner Seite wiederfindet, das man benötigt, um die Hürden des Lebens zu überwinden. Noch immer irritiert es mich, wenn ich vom Leben spreche, da ich ja genau das nicht mehr tue. Egal... Auch wenn ich dieses universelle Gesetz zwischenzeitlich verdrängt zu haben scheine, erinnere ich mich nun doch wieder. Und in meinem Fall sind die, die mir zur Seite stehen, wohl die beiden Geschwister.
Damit ich nicht zu sehr in Grübeleien abdrifte, nehm ich mir zwei Dinge vor. Erstens möchte ich der Frau, die das alles zu verantworten hat, ein paar Zeilen zurückschreiben. Nicht als DIE Nina, natürlich. Denn, wie könnte sie auch annehmen, dass ich ihre Mail erhalten habe und noch dazu in der Lage bin, ihr zu antworten? Nein, ich werde einfach als eine Person zurückschreiben, in dessen Hände ihr Mail zufällig gelandet ist.
Ich weiss zwar selber nicht wirklich, warum ich ihr antworten will, was ich mir davon verspreche, aber irgendetwas sagt mir, dass ich es tun sollte. Und wie River ganz richtig bemerkt hat, ich habe nichts mehr zu verlieren.
Vielleicht bin ich aber auch einfach neugierig. Vielleicht möchte ich wissen, wie sie mit dem Wissen lebt, dass ein Mensch wegen ihr den Löffel abgeben musste und zudem mehrere andere Personen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden, allen voran Nick. Vielleicht möchte ich auch einfach nur hören, dass es ihr deswegen beschissen geht. Vielleicht klingt das hart, aber warum sollte es ihr besser gehen als uns?
Das zweite, was ich heute tun möchte ist, Lukas nochmals zu besuchen. Auch wenn es schwer ist, seine Schmerzen zu ertragen, seine Trauer zu spüren, die sich durch meine eigene noch zu vervielfachen scheint, so ich weiss dennoch, dass ich da hingehen muss. Er fehlt mir so verdammt! Allein der Gedanke an ihn, schnürt meine Brust zusammen und lässt einen Kloss in der Grösse eines Felsbrockens in meinem Hals entstehen, der mir das Schlucken und Atmen fast unmöglich macht.
Ich muss mir irgendetwas überlegen, womit ich ihn auf mich aufmerksam machen kann. Zurzeit bin ich da zwar noch ziemlich ratlos, aber ich werde versuchen, mir etwas zu überlegen. Ich habe keinen Dunst, was die Zukunft für mich und Lukas, sollten wir tatsächlich irgendwie in Kontakt treten können, bringen wird, aber wenn ich ihm in irgendeiner Art helfen soll, dann nur, wenn er auch mitkriegt, dass ich auf eine, für ihn wohl ziemlich unerwartete Art, noch in diesem Universum vorhanden bin.
Aber nun erstmal die Mail. Ich beschliesse, Rain zu suchen. Sie wird sicher einen Weg finden, wie ich meiner Umnieterin, sorry, aber der Name Felicitas geht mir noch nicht wirklich leicht über die Lippen, antworten kann.
Es ist das erste Mal, das ich versuche, Rains Bleibe zu finden, aber ich weiss, dass ich es so oder so irgendwann lernen muss. Ich fühl mich etwas unsicher, als ich losziehe und mich in die Nebelschwaden stürze, aber ich weiss auch, dass ich durch meine Konzentration immer wieder zu meinem roten Sessel zurückkehren kann. Daher noch einmal... ich habe nichts zu verlieren.
Ich versuche mich auf die Umgebung zu konzentrieren. Und natürlich auf Rain. Ich komme mir zwar ziemlich bekloppt vor, bei diesem Unterfangen, aber ich weiss, dass ich keine Wahl habe. Okay, natürlich könnte ich auch auf meinem Sessel sitzen bleiben und nach Rain rufen, aber hey, ich bin doch kein Kleinkind mehr. Ich werd's ja wohl noch auf die Reihe kriegen, meine Freundin im Nebel ausfindig zu machen!
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
General FictionEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...