Unordentliche Locken fallen mir ins Gesicht. Meine Haltung ist nicht gerade die beste. Ich schleiche durch die Dunkelheit, meinen leuchtenden Zauberstab weit ausgestreckt, um etwas sehen zu können.
"Wo bleibst du?", zische ich nach hinten. "Komm endlich! Gleich müssten wir da sein."
"Beruhig dich, Lestrange", sagt jemand hinter mir. Tiefe, rauhe, männliche Stimme. Nicht gerade leise.
Plötzlich laufe ich voll gegen eine Tür. Der Mann hinter mir lacht.
"Lach nicht!", knurre ich und schiebe die Tür auf. "Und sei jetzt gefälligst leise. Niemand darf uns bemerken." Raum der Wünsche. Krempel, Zeug. Langsam begreife ich, dass jemand illegal in Hogwarts ist. Lestrange ... ich kenne diesen Namen, aber ich weiß nicht, woher.
Diesmal laufe ich nicht gegen die Tür, sondern entdecke sie rechtzeitig.
"Desillusionieren!", warnt der Mann hinter mir, als ich die Tür schon aufziehen will. Ich knurre unwillig, halte aber inne und führe den Zauber durch.
"Fertig?", frage ich ungeduldig.
"Du kannst es kaum erwarten, das Balg aus dem Weg zu haben, was?"
"Sie stört den Herrn, also muss sie weg", antworte ich. "Und halt jetzt endlich deine hässliche Schnauze."
Bellatrix Lestrange und ihr Begleiter scheinen genau zu wissen, wo ihr Ziel liegt. Unbemerkt schleichen sie durch Hogwarts. Nach ganz oben, zum Astronomieturm. Die Treppe hinauf. Da stehen zwei Gestalten, eng miteinander verschlungen. Es ist Nacht und es ist kalt. Weihnachtlicher Schmuck hängt an den Wänden. Ich kichere böse und löse den Desillusionierungszauber wieder auf.
"Wie romantisch", flöte ich und trete aus den Schatten. Die zwei Gestalten fahren auseinander. Eine groß und kräftig, mit strubbeligen Haaren, die andere nur wenig kleiner, schlank und mit langen Locken. Das schwache Licht zeigt, dass die Umhänge blau sind.
"Es tut mir ja so leid, dass ich euch unterbrechen muss", sage ich übertrieben freundlich. "Befehl von meinem Herrn." Das Licht vom Zauberstab meines Begleiters macht die Gestalten der Schüler deutlicher. Mein Blick schweift über ihre Gesichter. Es sind die richtigen. Innerhalb von Bellatrix will ich aufschreien.
Felix. Ich.
Ich sehe beide die Zauberstäbe ziehen. Bellatrix richtet in gelassener Genugtuung ihren Zauberstab auf mich.
"Ich werde dir jetzt leider das Herz brechen, Schnucki", sage ich zuckersüß und gehässig zugleich zu Felix. Er hebt seinen Zauberstab. "Aber deine Hübsche hier stört den Herrn."
"Niemals", knurrt Felix. "Eher tötest du mich als sie."
Ich lache laut auf.
"Avada Kedavra!"
"NEIN!"
Ein grüner Blitz. Ein Schrei, dann noch einer, hoch und entsetzt.
"Gut, warum nicht", flüstere ich. "Einer weniger kann auch nicht schaden." Ich hebe erneut den Zauberstab. Clara - mir - fließen Tränen in Strömen die Wangen hinab. Sie ist schneller als Bellatrix.
"Imperio", sagt sie mit brüchiger Stimme.
Geht zurück ... na los, geht zurück ... erzählt Voldemort, dass ihr das Balg getötet habt ... und zerstört das Verschwindekabinett.
Bellatrix dreht sich folgsam um. Das letzte, was sie sieht, ist Clara, die neben Felix niederfällt und verzweifelt seinen Namen flüstert.Schreiend und schweißgebadet wache ich auf. Nein, nein, nein ... Es ist drei Uhr früh. Ich vergrabe weinend das Gesicht in den Händen. Felix wird sterben ... es braucht eine Weile, bis diese Nachricht in meinem Kopf angekommen ist, aber das macht es nicht besser. Im Dezember, in Hogwarts. Astronomieturm. Ich schüttle fassungslos den Kopf, immer wieder. Vielleicht war es ja doch nur ein Albtraum, versuche ich mir einzureden, aber mein Verstand ist stärker. Nein, dafür waren die Einzelheiten zu genau. Ich gehe in mein Wohnzimmer und setze mich in den Sessel vor dem Kamin. Das Feuer brennt noch. Ich starre verzweifelt in die Flammen. Es muss einen Weg geben, das zu verhindern ...
Drei Stunden später kauere ich immer noch in meinem Sessel. Das Feuer ist ausgegangen und ich zucke zusammen, als Trixi herbeitapst und es wieder anzündet.
"Würdest du mich für heute bitte krank melden", sage ich leise. "Sag ihnen, ich habe heftige Kopfschmerzen."
Trixi verbeugt sich.
"Natürlich, Mademoiselle, natürlich. Wenn es Mademoiselle nicht gut geht, kann Mademoiselle nicht in den Unterricht. Soll ich Ihnen das Frühstück hierher bringen, Mademoiselle?" Ich muss über ihre Fürsorge fast lächeln. Fast.
"Das wäre sehr lieb von dir."
"Haben Sie Wünsche, Mademoiselle?"
"Pfannkuchen mit Sirup, bitte. Und eine Kürbispastete", antworte ich und starre wieder ins Feuer.
"Schwarzen Tee dazu? Sie sehen äußerst müde aus, Mademoiselle."
"Ein sehr großes Glas Eiskaffee, bitte."
"Ich werde alles besorgen, Mademoiselle. Um halb acht?"
"Danke, Trixi."
Trixi verbeugt sich und verschwindet mit einem Puff. Leiser als sonst, denn normalerweise knallt es laut. Ich bemerke es kaum.
Um halb acht nehme ich schweigend das Frühstück von Trixi entgegen. Sie sieht mich mitleidsvoll an und verschwindet wieder.
Eine Weile lang starre ich mein Frühstück an. Mein Kopf ist völlig durcheinander. Immer wieder sehe ich Felix vor mir, wie er sich vor den grünen Blitz wirft, um mich zu schützen. Er wird sein Leben hergeben, damit ich es nicht muss.
"Nein, nein, nein!", schreie ich und schlage mir gegen den Kopf, in der verzweifelten, sinnlosen Hoffnung, dass ich mich vielleicht doch in einem riesigen Schachteltraum befinde, in der Hoffnung, dass ich gleich aufwache und alles gar nicht war ist - aber es passiert nichts. Ich breche erneut in Tränen aus. Wieder zeigt mir mein Hirn den sterbenden Felix.
"Hör auf", flüstere ich. Grüner Blitz.
"Bitte, hör auf."
Schrei.
"Hör endlich auf."
Felix am Boden liegend.
"Hör auf, bitte, hör auf, es mir zu zeigen ..."
Bellatrix' Lachen. Kalt und gehässig. Freudig darüber, wieder ein wenig mehr Tod in die Welt gebracht zu haben.
"SCHLUSS JETZT!"
Ich bin aufgesprungen. Und falle wieder in den Sessel zurück. Das Tablett mit dem Frühstück wackelt bedenklich. Ich nehme mir einen Pfannkuchen, rolle ihn zusammen und esse ihn mit den Fingern. Sirup tropft heraus. Ich fange ihn mit der Zunge auf. Versuche, an etwas anderes zu denken. Der Eiskaffee schmeckt so gut wie immer. Nicht zu viel und nicht zu wenig Milch und ein Hauch von Vanillegeschmack. Die Kürbispasteten hier werden wohl nie so gut sein wie die in Hogwarts.
Ich verbringe den Vormittag in dem Versuch, mich abzulenken. Bücher. Ich lege ein Buch über Gegenflüche beiseite, als mir auffällt, dass ich seit einer halben Stunde auf einen Satz starre und trotzdem nichts verstehe. Ich krame meine Klarinette hervor. Wann hatte ich sie zum letzten Mal in der Hand? Vor vier Jahren? Fünf? Das Blatt am Mundstück befestigen. Sie funktioniert noch. Natürlich tut sie das. Irgendwo finde ich alte Noten. Ein langsamer Walzer. In Moll. Langsam und traurig. Ich scheitere daran, dass meine Finger heftig zittern und kaum eine Klappe treffen. Ich packe das Instrument und die Noten wieder ein. Ich tigere durch die Wohnung. Ins Schlafzimmer, ins Bad. Ins Schlafzimmer, ins Wohnzimmer. Ich ziehe mich an. Ich mache Musik an und tanze. Für mich allein. Mit mir selbst.
Nichts hilft. Beim Tanzen muss ich an Felix denken. Der Ball. Mein rotes Kleid. Der Mistelzweig. Sein Jackett auf meinen Schultern. Ich liebe dich. Ich gehe zum Sessel zurück und esse den letzten Pfannkuchen. Draußen höre ich meinen Adler "Passwort" krächzen. Es klopft.
"Clara?" Fleurs Stimme.
"Wir sind es, Hannah und Fleur." Und Hannahs. Ich öffne. Hinter mir pufft es, als Trixi mit dem leeren Tablett verschwindet.
"Ist alles in Ordnung?", fragt Fleur besorgt.
"Seh ich aus, als wäre alles in Ordnung?", frage ich. "Kommt rein."
"Hast du geschwänzt?", fragt Hannah streng.
Ich zucke mit den Schultern.
"So halb." Alles ist egal. Eine furchtbare Leere ist an die Stelle der Trauer, Wut und Fassungslosigkeit getreten. Ein schwarzes Loch, das erbarmungslos alle Emotionen einsaugt.
"Was heißt denn 'so halb'?", fragt Fleur. Hannah hebt das Buch, in dem ich versucht habe zu lesen, vom Boden auf und stellt es ins Regal.
"Ich habe wieder geträumt", sage ich seufzend.
"Nicht gut?", fragt Hannah.
"Nicht gut ist gewaltig untertrieben", antworte ich und setze mich auf die Sessellehne. "Ich ..." Ich breche ab. Eine Träne rollt meine Wange hinab, dann noch eine. Fleur umarmt mich. "Was hast du gesehen?", fragt sie sanft.
"In Hogwarts", bringe ich heraus. "Felix ..." Schluchzer schütteln mich.
Hannah nimmt mich bei den Schultern und drückt mich in den Sessel.
"Entspann dich", sagt sie. "Atme ganz tief durch." Ich atme dreimal tief ein und aus.
"Ich habe Felix sterben sehen", bringe ich schließlich tonlos heraus. Fleur schlägt sich die Hand vor den Mund.
"Das, was du träumst ... in diesen speziellen Träumen ... das wird immer wahr, oder?", fragt Hannah. Ich kann nur nicken.
"Bei Merlin", murmelt sie. "Und das lässt sich nicht verhindern?"
"Nicht, dass ich wüsste", antworte ich. Meine Stimme bricht. Mal wieder. Fleur und Hannah umarmen mich.
"Was willst du jetzt machen?", fragt Fleur. Ich sehe sie an. Verzweifelt, ratlos.
"Ich weiß es nicht", murmele ich. "Ich weiß es nicht."
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Mein magisches Leben und ich (Harry Potter FF) ✔️
FanfictionDieses Buch erzählt die Geschichte von Clara Cecily Dumbledore, Albus Dumbledores Enkelin. Schon zu Anfang ihrer Schulzeit in Hogwarts ist sie zusammen mit ihrer besten Freundin Liana Sphinx die Beste ihres Jahrgangs und wird deswegen in den Süden F...