50. Kapitel

212 7 0
                                    

Fleur hüpft vor Nervosität auf der Stelle.
"Ich hätte viel mehr lernen sollen", jammert sie. Hannah, die vollkommen ruhig ist, packt ihre Schultern und drückt sie nach unten.
"Jetzt hör auf damit. Du kannst es nicht mehr ändern."
"Außerdem hast du doch am meisten gelernt", füge ich hinzu.
Schon seit zwei Wochen beklagt sich Fleur, zu wenig für unsere erste Probeprüfung gelernt zu haben, obwohl sie einen Monat lang jeden Nachmittag in der Bibliothek gesessen hat.

Inzwischen ist es Mai geworden und ich somit volljährig. Es steht mir frei, wann ich ins Dorf gehe, wann ich schlafe und in welchem Bereich der Bibliothek ich mich aufhalte, was bei allen unter siebzehn noch nicht der Fall ist. 
Unsere Lerngruppe steht versammelt vor der Tür zum Speisesaal, der zum Prüfungsraum umfunktioniert worden ist. Camille und Saphira unterhalten sich leise mit Arièlle und Felicie. Donia und Adriènne werden von Mica eingeschleimt und Enzo, Theo, Clément und Pierre versuchen krampfhaft, noch ein letztes Bisschen Stoff für die Prüfung in ihre Hirne zu bekommen. An diesem Vormittag steht die Theorieprüfung für Verwandlung an, heute Nachmittag dann die Praxis.
Béatrice, die neben mir an der Wand lehnt, verknotet unentwegt ihr Finger und entknotet sie wieder. Sie ist vor Prüfungen immer so nervös.
"Das schaffst du schon", sage ich zu ihr. "Du kannst doch sowieso alles rückwärts und im Schlaf." Sie sieht mich zweifelnd an.
"Sicher wäre ich mir da nicht. Ich kann mir einiges überhaupt nicht merken."
Bevor ich antworten kann, öffnen sich die Türen zum Speisesaal und die Lerngruppe, die vor uns dran war, kommt heraus. Felix berührt im Vorbeigehen meine Hand und lächelt mir aufmunternd zu.
"Ist gar nicht so schwer", sagt er leise.
"Ruhe, bitte!", ertönt Madame Belles gedämpfte Stimme. "Rougier, gehen Sie weiter. Alle Schüler, die jetzt die Prüfung schreiben, betreten auf mein Zeichen schweigend  den Saal und begeben sich zu ihren Tischen. Diese sind durch Namensschilder gekennzeichnet. Sobald die Sanduhr umgedreht wird, dürfen Sie mit dem Bearbeiten der Aufgaben beginnen. Wenn das letzte Sandkorn in die untere Hälfte der Uhr fällt, haben die Federn keine Tinte mehr und die Aufgabenblätter verschwinden von den Tischen. Auf ein Zeichen von mir erheben Sie sich und verlassen den Saal. Vom Betreten bis zum Verlassen des Saals ist es Ihnen untersagt, zu sprechen. Falls Sie gegen diese Regel verstoßen, sind Sie von allen Prüfungen dieser Woche ausgeschlossen und in jedem Fach wird ein T notiert. Bei einem Betrugsversuch ist dieselbe Folge der Fall. Verstanden?"
Allgemeines Kopfnicken.
"Die Herren dort hinten übergeben mir ihre Notizen. Ab jetzt: Stille, bitte."
Madame Belle öffnet die Türen zum Saal und winkt uns hindurch.
Die Gruppentische sind verschwunden. Stattdessen sind nun in gleichmäßigen Abständen Einzeltische im ganzen Saal aufgestellt, siebzehn Stück insgesamt. Bei unserer Gruppe bleibt einer leer.
Ich erblicke am Rand der Ansammlung von Tischen einen, an dem ein Schild mit meinem Namen befestigt ist. Clara Cecily Dumblydorr. Nun ja. Man kann schlimmere Fehler machen.
Wir setzen uns. Madame Belle dreht die Sanduhr um. Auf meinem Tisch tauchen einige Seiten unbeschriebenes Pergament und eines mit den Aufgaben auf. Daneben liegt eine Feder, aber ein Tintenfass ist nicht dabei. Allerdings ist die Feder so verzaubert, dass sie keine Tinte aus dem Fass benötigt.
Während ich die Aufgaben bearbeite, ist es, als beobachte ich mich selbst dabei. Die Welt um mich herum verschwindet. Ich sehe meiner Hand mit der Feder darin zu, wie sie Wort um Wort aufs Pergament bringt. Ich höre meinen Gedanken dabei zu, wie sie Antwort um Antwort herunterleiern, bevor mein Gehirn meiner Hand den Befehl zum Schreiben gibt.
Erst, als ich den letzten Punkt hinter den letzten Satz setze, ist die Welt um mich herum wieder da. Ich bin die Erste, die fertig ist. Felix hatte recht: Die Prüfung war weniger schwer als gedacht.
Ich lehne mich zurück und lasse meinen Blick durch den Saal gleiten. Die obere Hälfte der Sanduhr ist noch ungefähr zu einem Drittel voll. War ich so schnell? Nur sechzig Minuten?

Gut zehn Minuten später legt auch Fleur zwei Tische weiter ihre Feder beiseite, kurz darauf Arièlle und Hannah. Nach dem Ablauf der neunzig Minuten verschwinden alle Blätter; wie es scheint, ins Nichts.
Mica flucht leise.
Er war noch nicht fertig. Sekunden später steht Madame Belle vor ihm und zeigt wortlos auf die Türen nach draußen.
Von den Prüfungen ausgeschlossen. Autsch.
Wenn Blicke töten könnten, hätte Madame Belle jetzt ein gewaltiges Problem. Mica steht auf und geht. Mit einem lauten Krach fallen die Türen ins Schloss.

Wir schleppen uns durch die Prüfungstage. Mica muss im Jahrgang unter uns in den Unterricht und wird dort von allen ausgelacht. Nach ihm wagt es keiner mehr, im Saal etwas lauteres zu tun als zu atmen.
Am Freitag endlich fällt die Spannung, die während dieser vier Tage auf unserem Jahrgang gelegen hat. Nicht einmal ich stehe an diesem freien Tag vor zehn auf. Es ist zu herrlich, frei zu haben, während alle anderen Jahrgänge zum Unterricht müssen. Als Hannah und ich (Fleur pennt immer noch) um halb elf den Speisesaal betreten, steht das Frühstück sogar noch da. Während wir frühstücken, gesellt sich auch der Rest der Gruppe allmählich zu uns. Felicie und Donia, gähnend und schweigsam wie jeden Morgen, Camille und Saphira, quatschend und kichernd, immer wieder zu Mica hinlinsend, der sich mit Pierre und Theo unterhält. Enzo, einen Arm um Hannah gelegt. Arièlle und Adriènne, zu zweit eine ganze große Kanne schwarzen Kaffee leerend, und als letzte unsere Langschläfer Fleur und Béatrice, die doppelt so viel Kaffee benötigen wie Adriènne und Arièlle, so scheint es.
Ich beende mein Frühstück und verlasse den Saal. Draußen laufe ich Felix in die Arme. Wortwörtlich, denn er schlingt ohne Vorwarnung seine Arme von hinten um meine Taille, als ich kurz an einem Fenster stehen bleibe, um einmal wieder die wunderschöne Aussicht zu genießen.
"Na, alles überstanden?", fragt er und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Gestern haben wir uns nach der letzten Praxisprüfung (Zauberkunst) nicht mehr gesehen.
"Alles super gelaufen", antworte ich. "Und bei dir?"
"Ich hab Zaubertränke im theoretischen Teil gewaltig verhauen", erwidert Felix. "Aber sonst ist auch alles gut gegangen."
"Na dann", sage ich und drehe mich zu ihm um. "Es geht schlimmer."
Er küsst mich. "Ich frage mich, ob ich je besser sein werde als du."
Ich lache. "Das bist du doch in so vielen Dingen schon. Quidditch zum Beispiel. Und du bist der bessere Tänzer."
"Ich meine die Schule."
Ich lege meine Arme um seinen Hals. "Zauberkunst Praxis ist bei mir auch nicht ganz toll gelaufen. Und in Verteidigung wusste ich auf mindestens zwei Fragen keine Antwort."
"Ohh, auf zwei Fragen keine Antwort. Das wird deine Note massiv verschlechtern", neckt Felix mich grinsend.
"Blödmann."
"Streberchen."
"Aber du nicht, oder wie?"
"Kleine Zicke."
"Ich liebe dich."
"Ich dich auch."
     

 Mein magisches Leben und ich (Harry Potter FF) ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt