39. Kapitel

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Ich drücke mich an einen Baum und beobachte vorsichtig den Wolf und das Einhorn. Der Werwolf spannt seine Muskeln zum Sprung an. Das Einhorn rammt seine Hufe fest in den weichen Waldboden und lässt ein drohendes Schnauben hören.
Ich muss eingreifen, dringend.
Aber wie?
Der Werwolf macht sich zum Sprung bereit, die scharfen Zähne gefletscht, die spitzen Krallen ausgefahren. Wenn er das Einhorn trifft, wird er es unweigerlich zerreißen.
Und dann läuft alles in Zeitlupe ab.
Der Wolf springt. Ich schnelle hinter meinem Baum hervor. Das Einhorn wiehert angstvoll, als es begreift, dass es keine Chance gegen den Wolf hat. Ich strecke mich im Sprung weit nach vorn. Meine Vorderpfoten treffen im allerletzten Moment die Flanke des Wolfs. Das Einhorn rennt davon. Der Werwolf liegt am Boden. Ich stehe mit beiden Vorderpfoten auf seiner Seite.
Dann verwandelt er sich, und plötzlich liegt da kein Wolf mehr, sondern mein Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste, Remus Lupin.
"Es bringt nichts, mich zu beißen", sagt er mit schwacher Stimme. "Ich bin schon ein Werwolf."
Wie auf Kommando verändert sich auch mein Körper. Mit einem schmerzerfülltem Quieken rolle ich zur Seite und liege im nächsten Moment in meiner menschlichen Gestalt da. Erst jetzt merke ich, wie dieses Eingreifen zur Rettung des Einhorns mich ausgelaugt hat. Alle Kräfte weichen aus meinem Körper und vollkommen erschöpft liege ich auf dem Boden. Lupins Gesicht erscheint in meinem Blickfeld.
"Clara, das hättest du nicht tun sollen. Sieh dich nur an, du stehst kurz vor der Bewusstlosigkeit!", tadelt er, ganz der Professor, aber ich höre die Sorge in seiner Stimme.
"Damit Sie ein unschuldiges Einhorn töten können?", frage ich, und meine Stimme bricht vor Erschöpfung. Dann fallen mir die Augen zu.
Ich spüre nur noch, dass Remus Lupin mich vom Boden hebt und irgendwohin bringt, dann falle ich in eine tiefe, endlose Schwärze.

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Als ich aufwache, liege ich im Krankenflügel. Keine Freundin sitzt an meinem Bett und wartet darauf, dass ich aufwache. Keine Süßigkeiten stehen auf dem Nachtschränkchen neben meinem Bett.

Vier Tage habe ich bewusstlos dagelegen, und niemand ist vorbeigekommen. Poppy behält mich noch zwei Tage bei sich, und als ich an einem Samstagnachmittag den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws betrete, kommt mir niemand entgegen, um mich zu begrüßen. Ich war nur sechs Tage weg, ohne irgendeine Nachricht, aber hey, da fühle ich mich überhaupt nicht im Stich gelassen, wenn niemand fragt, wie es mir geht.
Ich würde später, im Rückblick auf diese restlichen zwei Monate in Hogwarts, sagen, das war die erste richtig schwere Zeit in meinem Leben.
Wie ein Automat, ein Roboter, gehe ich durch Hogwarts, ohne Freunde, ohne die sonstige gute Laune um mich herum. In der Großen Halle sitze ich jeden Tag allein am Tisch, und niemand unterhält sich mit mir. Grandpa hat viel zu tun, also auch wenig Zeit für mich. Ich glaube, er merkt nicht einmal, dass ich allein bin, dass alle meine Freunde, sogar meine Schlafsaalkameradinnen, Sonja, Mia und die anderen, sich von mir abgewandt haben. Der einzige Lichtblick in dieser Zeit sind die wöchentlichen Briefe von Fleur, Hannah und Felix, die mich immer wieder wenigstens etwas aufheitern.
Der einzige, der hier in Hogwarts nett zu mir ist, ist Remus Lupin. Er hat sich, als ich aus dem Krankenflügel gekommen bin, bei mir bedankt und mir fünf riesige Schokoriegel geschenkt, "wegen der Dementoren". Obwohl er weiß, dass ich einen guten Patronus kann und dass die Dementoren hier mir noch nichts getan haben.

 Mein magisches Leben und ich (Harry Potter FF) ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt