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Kopflos rennen wir in den Tempel unter der Sphinx. Ich wandle weil ich Sebastian erwittern möchte. Als schwarzer Panther schleiche ich durch die Gänge. Ich kann Sebastians Spur gut folgen. Ich atme durch die Lefzen und kann ihn so noch besser riechen. Doch vor der leeren Steele endet seine Spur. Ich sauge unruhig die Luft durch Nase und Lefzen. Das kann doch nicht wahr sein! Wo ist er hin? Ich denke angestrengt nach während ich den inzwischen von mehreren Füßen zertrampelten Boden betrachte. Ein paar von Sebastians Fußabdrücken sind noch zu sehen. Eine Spur sieht aus als würde er Richtung Bibliothek der Sphinx führen. Doch die Spur endet mitten im Lauf. Ich starre an die Decke. Nein, er kann nicht nach oben gezogen worden sein. Die Wände wölben sich zur Decke und dort ist nichts als glatter Stein. Er kann sich doch nicht in Luft auflösen! Ich suche den Boden gründlich ab und dann fallen mir Spuren von Tatzen auf. Sie sind schmaler und größer als Pantherspuren. Außerdem hat das Tier seine Krallen ausgefahren. Der Geruch der Spur ähnelt der von Sebastian. Irgendwie erinnert sie mich an wen. Ach ja! Der Fuchs! (Oder Wolf, wie Sebastian ihn nannte) Während ich der Spur folge dämmert es mir: ob Sebastian der Wolf sein kann? Ist das möglich dass er sich in einen Wolf wandeln kann? Unruhig folge ich der Spur. Sie führt in die Kammer in der wir vorhin gekämpft haben. Die Spur wird intensiver weil er verwundet wurde. Der Geruch seines frischen Blutes dringt intensiv prickelnd in meine Nase. Jetzt riecht es eindeutig nach der Wunde von dem unbekanntem Tier die ich geleckt habe. Ich habe den Geschmack förmlich auf meiner Zunge. In einer Nische ist eine riesige Blutlache und es riecht intensiver nach dem Wolf. Er muss hier eine Weile gelegen haben. Ob seine Wunden geheilt sind? Immerhin ist er beim letzten Mal rasend schnell geheilt. Doch nein. Dicke Blutstropfen zieren seine weitere Spur. Eine seiner Pfoten hinterlässt einen blutgetränkten Abdruck. Der Wolf ist in kleinen, unregelmäßigen Schritten gegangen. Er ist wohl eher gehumpelt. Weit kann er nicht sein. Doch seine Spur führt nach draußen. Unter einem Felsenvorsprung finde ich ihn. Er hat kaum noch Kraft und er verliert immer noch Blut aus riesigen, klaffenden Wunden an seiner Flanke. Mit seinen großen, bernsteinfarbenen Augen schaut er mich hilflos an und winselt. Er tut mir unendlich leid weil er so schrecklich zugerichtet ist. Neben den großen Wunden hat er nämlich noch zahlreiche kleinere Verletzungen. Ich lecke leicht über eine der großen Wunden und merke wie sich die Wunde schließt. Jedes Schlecken bedeutet dass die Wunde anschließend weniger tief ist. Die rauen Häkchen meiner Zunge entfernen zuverlässig den Schmutz und die Fremdkörper aus seinem Fleisch. Unermüdlich reinige ich sein geschundenes Fleisch. Nachdem die großen Wunden geschlossen sind nehme ich mir die kleineren vor. Der Wolf fusselt! Mit jedem Lecken habe ich endlos viele seiner weichen Haare an meiner Zunge kleben. Es ist etwa so effektiv als würde man versuchen mit einem Klettverschluss einen Angorapulli zu reinigen. Es klappt einfach nicht! Ich habe keine Chance durch sein feines, weiches, fluffiges Fell an die Wunden zu kommen. Als ich mir die Zunge putze weil dieses Mal richtig viel Unterwolle an meiner Zunge kleben geblieben ist muss ich kotzen. Ich würge Gewölle in der Größe eines Fenneks aus. Bah! Das ist so ekelig! Als ich mich wieder dem Wolf und seinen Wunden widmen will liegt da Sebastian. Er ist fiebrig und sein Blut mischt sich mit Schweiß. Er schaut mich aus glasigen Augen flehend an. Könnte ich mit diesem Gesicht grinsen würde ich es tun. Ohne den Fusselpelz komme ich viel besser an seine Wunden. Ich reibe leicht meinen Kopf an ihm um ihn zu beruhigen. Er hebt seine Arme und krault mir sanft die Ohren. Doch dann mache ich mich ans Werk seinen geschundenen Körper zu versorgen. Sein gesamter Oberkörper, Brust, Bauch, Schultern, Arme, Rücken und sogar sein Gesicht ist von mannigfachen Kratz und Bißspuren übersät. Er hat gegen meine Verwandten gekämpft. Dieses Mal ist mein Gelecke effektiver. Die Wunden schließen sich wenn ich zwei oder drei mal darüber geleckt habe. Nach einem vierten oder fünften Mal ist nichts mehr als eine feine Narbe übrig. Als seine Wunden endlich alle geschlossen sind wandle ich mich ebenfalls. Eiskalt und heftig zitternd krieche ich zu Sebastian unter diesen Felsenvorsprung. Er nimmt mich in seine warmen Arme und küsst mich. Ich habe eigentlich tausend Fragen, ich habe mich doch gewandelt um mit ihm zu reden! Doch küssen ist auch schön. Ich genieße seine Liebkosung und erwidere mehr als willig seine Küsse. Alles an Sebastian ist schön, sein Geruch, sein Geschmack, seine Stimme, sein Aussehen, sowohl als Mensch als auch als Tier. Seine Haut ist so fest und warm, das fühlt sich sehr gut unter meinen Fingern an und sein Pelz ist zart und flauschig wie der eines Welpen. Ich merke dass ich bis über beide Ohren in diesen Wolfsmann verliebt bin. Wie hat er das nur gemacht dass ich ihn so sehr mag? Sebastian ist von dem Kampf arg geschwächt. Er schläft während der Küsse ein. Lächelnd schmiege ich mich eng an seinen warmen Körper und lausche seinem kräftigen Herzschlag. Meine Fragen müssen bis morgen warten. Ich bin mir sicher dass er sie mir beantworten wird. Sachte streichle ich seine Haare auf dem Kopf und die sind genau so weich wie sein Pelz als Wolf.
Ich höre in der Nacht wie meine Verwandten mich suchen. Ich hoffe dass sie meiner Spur nicht folgen können denn als Panther gebe ich nur wenig Geruch ab. Ich hoffe dass Sebastians Blut meine Spur überdeckt und meine Verwandten nicht eins und eins zusammenzählen und der mehr als offensichtlichen Wolfsspur folgen. Ich versuche keine Geräusche zu machen uns lausche in die Nacht. Ich kann sie aufgeregt rufen hören aber alles was ich verstehen kann ist das immer wieder gerufene ‚Hier ist sie nicht!'
Als die Stimmen immer näher und lauter werden löse ich mich aus Sebastians Armen und werde zur Katze. Sebastian schaut mich aus großen Augen an und auch er lauscht in die Nacht. Als direkt über uns der Ruf erschallt dass hier niemand sei zuckt Sebastian zusammen. Auch er wandelt sich in seine Tiergestalt. Seine Knochen knacken leicht. Er drängt mich an die Felswand und legt sich vor mich. Als der Leopard von dem Felsen springt stellen sich Sebastians flauschige Haare noch weiter auf. Er wirkt mindestens doppelt so groß. Wir hören der Katze zu die fluchend und fauchend mir alle Tode der Welt an den Hals wünscht. Offensichtlich glauben sie dass ich etwas mit dem Verschwinden des Buches zu tun hätte. Ich befürchte dass ich eine persona non grata geworden bin. Ich würde gerne weinen weil ich das so ungerecht finde. Eben war ich noch gut genug um an ihrer Seite die Räuber zu verjagen und kaum dass sie weg sind werde ich wieder zur gejagten. Ich kann doch nichts dafür dass sie ihr scheiss Buch nicht besser bewachen! Wir haben es jedenfalls nicht gestohlen. Weder Sebastian noch ich tragen es unter dem Pelz.
Ich bleibe den ganzen Tag hinter Sebastian an die Felswand gedrückt. In der Nacht schleichen wir nach draußen und schleichen durch die Nacht Richtung Camp. Das Camp ist sehr gut bewacht. Wir schleichen leise und vorsichtig um das Camp um einen unbewachten Eingang zu finden. Sebastian ist nicht so gut im schleichen. Er trampelt ziemlich laut. Ich frage mich wie er jagt. So wie er läuft dürfte ihn jede Beute im Umkreis von einer Meile hören.
Natürlich werden wir erwischt und flüchten vor dem Mann. Er jagt uns noch ein paar Kugeln aus seinem Gewehr hinterher doch er verfolgt uns nicht. Sebastian knurrt mir etwas zu aber ich kann ihn nicht verstehen. Ich vermute dass ich ihm folgen soll. Ich bleibe dicht an seiner Seite. Er kann hüpfend laufen so dass seine Beine den Boden kaum berühren. Mein Gang ist ja mehr so gedrungen. Ich bewege mich nicht so lustig auf und ab wenn ich gehe. Bei Sebastian schlackert die Zunge wenn er rennt. Das sieht ziemlich witzig aus. Auch an seiner Rute tanzen die Haare bei jeder Bewegung. Das sieht schön aus wenn er sie ganz nach oben reckt und leicht einrollt. Aber meistens hält er sie waagerecht und wackelt damit putzig herum. Zuerst dachte ich er sei sehr angespannt weil er sie hin und her bewegt aber nach einer Weile hab ich mitbekommen dass er ziemlich fröhlich ist und immer mit der Rute wedelt wenn er in meine Richtung blickt. Bei ihm ist das ein Zeichen der Freude nicht der Anspannung. Als wir die Wüste durchquert haben und in der Stadt angekommen sind wissen wir erst einmal nicht wohin. Sebastian schaut mich unschlüssig an. Ob wir es wagen sollen und wieder in dem kleinen Touristenhotel einchecken sollen? Mitten in unsere Überlegungen schellt sein Telefon. Es ist Sebastians Opa. Er braucht dringend Hilfe. Die Borke des Balder ist verschwunden und Yggdrasil verwundet. Was auch immer das heißen mag.

Sebastian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt