Als wir in Tromsö ankommen pfeift mir ein bitterkalter Wind entgegen. Ich habe das Gefühl als wäre die Kälte mit Nadeln bewaffnet die ungebremst durch meine Kleidung direkt in meine Haut stechen. Selbst das Atmen tut entsetzlich weh. Eine Träne möchte aus meinen Augen fallen aber sie gefriert auf meiner Wange. Den Wölfen um mich herum scheint die Kälte nichts auszumachen. Ich versuche zitternd mich wenigstens ein bisschen zu wärmen indem ich meine Arme um mich schlage. Mit einem Mal steht eine ältere Frau vor mir die Sebastians Vater ähnelt. Sie war mir vorher nicht aufgefallen. Sie schaut mich intensiv an und breitet dann ihre Arme aus. Ich flüchte in ihre warmen Arme. Ganz klein mache ich mich damit mich die Kälte nicht zerbricht. „Willkommen Kind. Mit wem bist du gereist?" Ich will ihr antworten aber ich bibbere am ganzen Körper. Sebastian rettet mich indem er zugibt dass ich mit ihm da bin. „Sie erfriert." ist der einzige Kommentar der älteren Dame zu mir. Sebastian hüllt mich sofort in seine Jacke. Als ich an Sebastian gekuschelt etwas auftaue können die Tränen fließen. Die Wölfe springen in unterschiedliche Fahrzeuge oder wandeln sich und toben durch den weißen Schnee. Es sieht aus als seien sie in ihrem Element. Ich bestaune die kraftvollen Bewegungen der Tiere. Wie bei Sebastian wippt ihr Fell bei jeder ihrer Bewegungen. Sie sind weithin sichtbar und machen einen riesigen Lärm. Sie heulen dass mir das Blut in den Adern gefriert. „Ihr beide fahrt mit mir." sagt die Frau und Sebastian nickt zustimmend: „Ja, Oma!" sagt er lächelnd. Wir steigen in ein Auto mit dicken Schneeketten ein. Oma startet den Motor und dreht die Heizung auf. Sebastian zieht mich trotzdem auf seinem Schoß und umarmt mich fest. Seine Wärme tut gut. Er streichelt mir meinen Rücken rauf und runter und ich fange wohlig an zu schnurren. Oma schaut lachend zu uns und Sebastian küsst mir auf den Kopf. „Sagt, wo habt ihr euch kennen gelernt?" fragt Oma. „Im Hotel meines Onkels. Sebastian hat versucht einen Rucksack, vier Koffer und zwei Reisetaschen gleichzeitig durch die geschlossene Eingangstür zu wuchten. Da er die Tür mit seinem Hintern geöffnet hat konnte er die Stufe nicht sehen und ist mir praktisch in die Arme geflogen." Oma lacht schallend. „Das ist so typisch für dich Sebastian! Immer musst du alles auf einmal nehmen. Bloß nicht zwei mal gehen." Sebastian lacht ebenfalls. „Wäre ich zwei mal gegangen hätte mich Netjeret nicht retten müssen. So lag ich der schönsten Frau um den Hals." Sebastian lächelt mir zu und ich nicke. „Und weshalb bist du ihm gefolgt?" fragt Oma weiter. „Sebastian hat mir erzählt dass er auch ein Hüter göttlichen Wissens ist. Er hat mir dann aber auch von seiner Leidenschaft erzählt dass er das Wissen der anderen Völker erlernen will. Er sagte dass Wissen nur dann wahr ist wenn es lebendig bleibt. Das klang so plausibel dass ich ihm unsere heiligen Schriften übersetzt habe. Zumindest die die er schon kannte." „Und du hast mich zum Herzstück deines Volkes gebracht, dem Buch des Ra" sagt Sebastian stolz. Oma schaut uns erstaunt an. „Ist das nicht verborgenes Wissen?" fragt sie und ich nicke. „Ja." Ich seufze. „Darum verfolgt mich meine Familie. Sie glauben dass ich geholfen hätte dass das Buch gestohlen werden kann. Es ist nämlich kurz nachdem Sebastian es abfotografiert hat verschwunden." ich schaue geknickt zu Boden. Oma schaut mich lange an und seufzt. „Da hat Dir aber jemand gehörig den Kopf verdreht. Wie konntest du einem Fremden euer tiefstes Geheimnis anvertrauen?" Ich schaue Oma erstaunt an. „Aber... aber ich habe es doch nur Sebastian gezeigt." stottere ich. Oma lacht. „Und wie lange hast du ihn da gekannt?" „Eine Woche." gebe ich zu und werde rot weil ich mich fürchterlich schäme. So ausgesprochen ist es absurd dass ich mein Volk verraten habe. „Ich habe bei Sebastian das Gefühl dass ich ihm vertrauen kann." gebe ich hilflos zu. Oma nickt. „Das kannst du, Kind. Da darfst du ganz beruhigt sein." Sebastian brummt und streichelt mich. Oma sagt zu Sebastian: „Die Ägypter sind neben den Chinesen das einzige Volk das seine Geheimnisse noch aktiv verteidigt. Du hattest enormes Glück dass du so leicht dran gekommen bist." Sebastian räuspert sich und mir kommen die Tränen. Hat er mich etwa nur benutzt um zu den Buch zu kommen?" „Oma ich wusste nicht dass Netjeret eine Wächterin ist als ich mich in sie verliebt habe. Ich weiß dass das für dich vielleicht so aussehen mag aber ich habe sie nicht als Freundin um an den Schatz zu kommen." Sebastian merkt wie ich unglücklich auf seinem Schoß hocke und weine. Ich bin so ein Esel. Ich könnte mich Ohrfeigen dass ich mein Volk verraten habe nur weil ich diesem Mann blind vertraue. Was wenn er wirklich nur hinter dem Wissen her ist? In seiner Welt werde ich nicht lange überleben. Wenn sie mich hier aussetzen kann ich nicht einmal mehr weinen weil meine Tränen auf dem Wangen gefrieren. Ich schaue in die Schneewüste und mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Sebastian zieht mich wieder in seine Arme. „Ich liebe dich, Netjeret! Das musst du mir einfach glauben." sagt er leise. Ich lasse mich in seine Arme ziehen und höre auf sein schlagendes Herz. Er ist so warm und riecht so gut. Ich schließe die Augen und wünsche mir dass seine Worte wahr sind."
Wir kommen an eine kleine Siedlung die aus etwa ein Dutzend bunten Häusern besteht. Oma lenkt das Auto vor das größte Haus und Sebastian sagt: „Wir sind da!" seine Augen leuchten und ich merke dass ihn irgendetwas mit diesem Ort verbindet. Als Sebastian die Wagentür öffnet haut mich wieder die eisige Luft fast um. Ich halte die Luft an und steige aus dem Auto. Es ist wie ins Wasser springen nur dass man nicht mehr auftauchen kann. Schnell zieht mich Sebastian zu der Haustür und die wird von einem riesigen Wolf geöffnet der genau so aussieht wie Sebastian nur älter. Er freut sich offensichtlich den jüngeren zu sehen. Sebastian schiebt aber den großen Mann in das Haus damit ich schnell ins Warme kann. „Fenrir! Mach Netjeret Platz. Das Mädchen erfriert sonst." sagt Oma. Sie schiebt mich an den Männern vorbei und setzt mich an einen warmen Kachelofen. Der Mann den sie Fenrir genannt haben kommt gut gelaunt in das Zimmer. „Opa, das ist Netjeret, meine Freundin." stellt Sebastian mich stolz vor. Ich stehe auf und reiche dem großen Mann meine Hand. Er nimmt sie und sagt: „Söhnchen, du hast Geschmack! Dein Kätzchen ist eine wahre Schönheit." mit diesen Worten zieht er mich an sich und gibt mir eine feste Umarmung. „Willkommen in der Familie Mädchen! Und glaube nicht dass ich dich nur akzeptiere weil Sebastian sonst keine mehr abkriegt! Ich akzeptiere dich weil ich dich mag." Ich schaue ihn mit großen Augen an. Ich habe noch genau gar kein Wort mit ihm gewechselt und er mag mich schon. Das ist seltsam. Ich lächle ihn unsicher zu und sage ganz leise „Danke". Dann kommen all die anderen Wölfe angepoltert. Sie lachen und rufen wild durcheinander. Ich setze mich wieder an den Kamin. Ich lehne mich an die warmen Kacheln und beobachte die Familie. Sie ist streng hierarchisch organisiert. Das was Opa Fenrir sagt das ist Gesetz. Oma ist die einzige die sich traut ihm zu widersprechen. Seine Söhne hören alle auf ihn. Untereinander kabbeln sie sich aber. Meist gewinnen die älteren. Richtig Stress gibt es nur unter den Gleichaltrigen. Die Teenager kabbeln sich ununterbrochen. Die Kloppen sich sogar weil einer geguckt hat. Die Welpen machen die ganze Zeit nur Scheisse. Sie bekommen zwischendurch immer mal wieder einen Rüffel aber das juckt sie nicht. Männer und Frauen kabbeln sich selten miteinander. Meist zanken die Frauen mit Frauen und Männer mit Männern. Und alle sind ständig in Bewegung und sie sind mächtig laut. Ich bin solchen Lärm nicht gewohnt. Etwas schüchtern schleiche ich mich in die Küche. Hier ist es ruhiger. Ein zierlicher älterer Wolf steht am Herd und kocht und freut sich dass ich ihm zur Hand gehe. Ich kann eigentlich gut kochen aber das was sie hier zubereiten kenne ich nicht. Es duftet aber ganz herrlich. Ich darf das Gemüse putzen und klein schneiden. Der Wolf sieht dass ich nicht zum ersten Mal koche. Er ist sehr nett zu mir und lobt mich. Ich bin Lob so gar nicht gewohnt und werde rot. Ich freue mich aber dass er sieht dass ich was kann. Ich helfe ihm die Süßspeisen zuzubereiten. Die sehen allerdings ganz ganz anders aus als in meiner Heimat. Nachdem das Essen soweit vorbereitet ist schnappe ich mir das Geschirr und decke die lange Tafel. Dann helfe ich das Essen aufzutragen. Da ich vorhin gezählt habe und ein Platz fehlt gehe ich davon aus dass für mich kein Platz vorgesehen ist. Das bin ich ja gewohnt. Ich habe schon seit dem ich denken kann mit knurrendem Magen leckere Speisen vorbereitet und serviert während ich im Hintergrund die Töpfe gespült habe. Das mache ich auch jetzt. Während sich die Wölfe in das Essen zanken schrubbe ich schon einmal die große Pfanne in der das Fleisch im Ofen war. Ich habe gerade mal die Pfanne von der Fettschicht befreit da stürmt Sebastian in die Küche. „Netjeret? Was machst du hier?" fragt er verwundert. „Die Töpfe spülen." erkläre ich ihm das offensichtliche. „Aber es gibt Abendbrot." sagt er und wir schauen uns beide verwundert an. Fenrir selber bemüht sich in die Küche. „Mädchen, was machst du hier?" „Spülen." sage ich hilflos und zeige auf das Becken. Fenrir sagt: „Das machen wir nach dem Essen gemeinsam. Komm und iss mit uns." Er nimmt meine Hand und zieht mich mit in das Esszimmer. Sebastian folgt mir mit noch einem Gedeck.