Midwinter ist offenbar ein hohes Fest. Die ganze Wohnung wird geschmückt. Der kleine Koch freut sich dass ich ihm in der Küche zur Hand gehe. „Das ist so lieb dass du mir hilfst!" freut er sich. Er bringt mir all die schönen Lieder bei die sie zu diesem Fest singen. Sebastian kommt nach einer Weile ebenfalls in die Küche. „Ich habe dich überall gesucht! Was machst du hier?" fragt er. „Ich halte mich im wärmsten Raum im ganzen Haus auf und mache das einzige von dem ich weiß wie es geht: kochen." sage ich vergnügt. „Wie meinst du das?" fragt Sebastian erstaunt. „Die ganze Schmückerei gleicht einem Ritual das ich nicht kenne. Ich könnte gar nicht helfen. Doch kochen kann ich. Ich habe jahrelang in der Hotelküche geholfen." Sebastian grinst und setzt sich neben mich. Er hilft aber nicht mit sondern nascht von den Leckereien die wir vorbereiten. Benjamin (so heißt der kleine Koch) hält Sebastian immer wieder etwas hin damit er abschmecken kann. Als das Festessen vorbereitet ist decke ich mit Sebastian den Tisch ein. Wir machen es heute richtig schön mit Tischdecke, mehreren Bestecken und Gläsern und hübsch drapierten Servietten. Ich frage Sebastian nach typischen Midwintertischschmuck und er organisiert uns ein paar grüne Zweige, Zapfen, rote Äpfel und Nüsse. Dazu kommen noch ein paar Kerzen. Es sieht wirklich wunderschön aus. Sebastian hat doch Recht: wir sind definitiv nicht in der Hölle!
Das Festessen wird ein richtig gemütliches Familienfest. Es gibt Braten und Mehlspeisen. Gebackene Äpfel und leckere Getränke. Die Anwesenden unterhalten sich alle lautstark miteinander und nach dem Essen singen sie bei Glühwein und Keksen die Lieder. Es erzeugt eine mystische Atmosphäre diese kehligen Lieder bei Kerzenschein zu singen. Fenrir erzählt zwischendurch Sagen und die Kinder tragen Gedichte vor. Um Mitternacht gehen alle nach draußen um das neue Sonnenjahr herbeizuheulen. Die Heuler klingen kehlig und lang. Aus der Ferne kann man die Antworten der anderen Rudel hören. Das Spektakel geht etwa eine Stunde. Irgend ein Witzbold fragt ob ich nicht auch einmal heulen wolle. Ich schaue ihn skeptisch an. Doch die meisten finden dass das eine tolle Idee sei. Ich wandle mich in meine Panthergestalt und dann brülle ich. Ja, auch Panther können wie Löwen brüllen. Mein Brustkorb ist zwar nicht ganz so massig, ich bekomme dadurch nicht ganz so tiefe Töne raus aber so tief wie ein junger Löwe bin ich alle Male. Ich brülle so laut ich kann und lasse zwischen den lauten Brüllern das kehlige Rollen erschallen. Mein Ruf schallt weit durch die dunkle Neujahrsnacht. Die Wölfe sind gelinde gesagt beeindruckt. Die Welpen haben sich hinter ihren Müttern versteckt. Die meisten schauen mich ängstlich oder bewundernd an. Fenrir und Sebastian grinsen stolz. Sebastians Vater schaut besorgt. Ich wundere mich dass er besorgt guckt. Als ich verstummt bin kommt Heulen aus der Ferne. Es klingt anders als das Heulen vorhin. Es klingt panisch, ängstlich und fragend. Fenrir antwortet. Er heult selbstbewusst in die Nacht. Es kommen ein paar Antworten und Fenrir bittet: „Könntest du bitte noch einmal brüllen? Die anderen glauben mir nicht dass du bei uns bist." er grinst schief. Ich hole Luft und lasse den Laut schön aus der Kehle rollen. Fenrir stimmt mit mir zusammen ein schauerliches Duett an, Sebastian stimmt mit ein und zu dritt zeigen wir den anderen Wölfen wer wir sind. Zufrieden grinsend gehen Fenrir, Sebastian und ich wieder rein.
Wir setzen uns wieder gemütlich ins Wohnzimmer. Ich setze mich an meinen Lieblingsplatz an den Kamin. Ich lehne mich an den angenehm warmen Ofen und betrachte die Familie und lausche ihren Gesprächen. Sebastians Vater nimmt seinen Sohn in der Küche beiseite und fragt ihn: „Bist du dir bei der Wahl deiner Partnerin sicher?" Ich Blende ab sofort alle anderen Gespräche aus und lausche auf Sebastians Antwort. „Ja, Vater! Ich bin mir so sicher wie ich es noch nie in meinem Leben war. Netjeret ist die Frau die ich an meiner Seite haben möchte. Ich will mit ihr alt werden." Sebastians Vater macht einen Laut der seinen Unwillen deutlich macht. „Bist du dir bewusst dass dieses Mädel Dir über ist?" Sebastian lacht und sagt fröhlich: „So lange wir gemeinsam durchs Leben gehen ist es mir herzlich egal wer von uns beiden der stärkere ist." „Sohn! Du könntest Alpha sein! Verschwende dein Leben nicht als Luna!" ich höre wie Sebastian lacht und dann wieder ins Wohnzimmer kommt. Ich lausche mit geschlossenen Augen auf seine Schritte. Er setzt sich zu mir an den Kamin. Wir schmiegen uns aneinander und ich bin restlos glücklich. „Lass uns ins Bett gehen." schlägt Sebastian vor als die meisten sich zurückziehen. Im Bett danke ich Sebastian für den schönen Tag. Sebastian lacht und sagt: „Ich freue mich wenn es dir gefallen hat." Es hat mir richtig gut gefallen und ich gewöhne mich daran mit so vielen Menschen auf engem Raum zusammen zu wohnen. Ich schließe die Augen und höre auf Sebastians Herz. Es ist so beruhigend zu wissen dass es nur für mich schlägt.
In der Nacht habe ich seltsame Träume. Ich höre eine wunderschöne Stimme die mich verzweifelt ruft. Ich neige mein Ohr zu der engelhaften Stimme und sie ruft verzweifelt „Bitte!Phoebus, bitte hilf ihm!" Mein Herz zerreißt bei dem verzweifeln Schrei. Der Traum trägt mich weiter und ich bin in einer Art Gruft. Ich laufe dunkle Gänge entlang und mein gebrochenes Herz wird ganz schwermütig. Ich meine in der Ferne Klaviermusik zu hören aber das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Musik ist ähnlich wie der Geruch bei Yggdrasil: wenn ich mich darauf konzentriere ist es nicht mehr da. Denke ich jedoch an andere Dinge dann nehme ich es im Hintergrund war. Als ich in der letzten Kammer angekommen bin ist das ein normales Jugendzimmer. Ein modernes Bett, ein Schreibtisch mit Schulranzen und Büchern, alle unordentlich im Zimmer verteilt, gemischt mit Klamotten und leeren Pizzakartons. An den Wänden Plakate beliebter Musikbands. ‚Die Glorreichen Sieben' starren mich von dem Poster über dem Schreibtisch an. Über dem Bett hängt das Plakat der Gruppe ‚Nightmareden'. Im Bett liegt ein Junge und schläft. Ich trete ans Bett und traue meinen Augen nicht. In dem Bett liegt ein Knabe. Aber was für einer! Er ist überirdisch schön. Seine blonden Haare umrahmen ein engelsgleiches liebliches Gesicht. Ich würde eine Corona oder zumindestens Flügel vermuten aber die sehe ich seltsamerweise nicht. Die Lippen und Wangen des Engels sind blass. Als ich ihn berühre bekomme ich einen Schreck. Der Knabe ist tot. Seine Glieder sind eiskalt und er fühlt sich an wie Marmor. Verzweiflung ergreift mein Herz und ich höre wieder die verzweifelte engelhafte Stimme die nach Phoebus schreit. Ich erwache weil ich mich im aufwachen steil aufsetze und selber verzweifelt nach Phoebus schreie. Sebastian wird von meinem Gebrüll wach und er fragt mich verwundert was denn los sei. Ich erzähle ihm verzweifelt von meinem Traum. Sebastian ist aus irgendeinem seltsamen Grund recht vergnügt dass ich diesen Traum hatte. Ich bin geknickt dass er es so toll findet dass ich einen Alptraum hatte. „Nein, Liebes, das ist es nicht!" wehrt er sich. „Das was du gesehen hast ist der typische Traum einer Luna. Es war eine Vision." „Was ist eine Luna und was hat mein Traum damit zu tun?" frage ich noch leicht angesäuert. Sebastian erklärt mir dass es bei den Werwölfen verschiedene Ränge im Rudel gibt. Jedes Rudel wird von einem Alpha und einer Luna geführt. Der Alpha ist meistens männlichen Geschlechts und der stärkste der Wölfe. Er hat das Sagen innerhalb des Rudels. Er entscheidet mit wem das Rudel befreundet ist und gegen wen es kämpft. Der Alpha ruft zur Jagd und er entscheidet wer ihn begleiten darf. Der Alpha bestimmt was Recht und was Unrecht ist. Er ist so etwas wie der Alleinherrscher in der Gruppe. Seine Partnerin oder sein Partner ist automatisch Luna des Rudels. Eine Luna ist in der Regel für die religiösen Belange im Rudel zuständig. Die meisten Luna sind gute Heiler, haben Visionen, sind Streitschlichter oder können segnen. Sebastian freut sich dass bei uns die Rollenverteilung endlich offenbar geworden ist. Sein Vater hatte nämlich schon befürchtet dass Sebastian mit mir an seiner Seite nicht die Rolle des Alpha ausüben würde.
„Und was hat es mit meinem Traum auf sich?" frage ich. Sebastian sagt: „Ich denke dass es eine Vision ist. Bist du dir sicher dass es ein Engel war den du gesehen hast? Könnte es nicht auch Balder gewesen sein?" Ich schaue Sebastian an. „Wieso sollte ich von eurem Gott träumen?" frage ich. Sebastian zuckt die Schultern. „Vielleicht weil du eine Werwolf Luna bist?" schlägt er vor. Ich weiß nicht warum ich so sicher bin aber ich weiß ganz fest dass es nicht Balder war den ich da gesehen habe. „Der Engel lag in einem modernen Zimmer. Die Plakate in seinem Zimmer schienen aktuell. Außerdem hatte er moderne Schulbücher." Sebastian ist nicht überzeugt. Er glaubt immer noch dass es Balder ist. „Nein!" sage ich bestimmt. „Die Stimme schrie nach Phoebus und das ist definitiv kein Name für Balder, oder?" Sebastian schaut mich sehr komisch an. „Phoebus ist ein anderer Name für Apollon. Der Gott der in Griechenland und Rom gleichermaßen unter gleichem Namen verehrt wurde. Er ist..... der Sonnengott!"