Das Essen ist sehr lecker. Doch ich bin andere Tischmanieren gewohnt. Die Wölfe schupsen und rempeln sich und die stärkeren nehmen den schwächeren alles weg. Der junge Mann mit dem ich gekocht habe bekommt gar kein Fleisch nur Gemüse. Zaghaft frage ich ihn ob er meins haben möchte. Doch der lacht und sagt: „Sebastian ist bestimmt ein dankbarer Abnehmer für dein Fleisch." Sebastian schaut mich verwundert an und fragt: „Schmeckt es dir nicht?" Ich schüttle verschämt meinen Kopf. „Robbe ist gewöhnungsbedürftig." tröstet mich die Oma. Das Essen ist wie alles an den Wölfen: wild und laut.
Nach dem Essen sitzen alle in der Stube. Ich habe mich wieder an den Kamin gekuschelt. Sebastian sitzt vor mir auf dem Boden und lehnt sich gegen meine Beine. Ich kraule ihm den Nacken und er lehnt sich sanft in meine Hände. Bald liegen und sitzen die Wölfe alle herum. Fenrir erhebt seine Stimme und erzählt Sagen aus alter Zeit. Gebannt lausche ich was er über Balder zu berichten hat. Plötzlich geht der Ruf: „Die Nordlichter!" „Schaut, die Nordlichter!" Fenrir sagt zu mir: „Komm mit, ich zeige dir die Regenbogenbrücke." Alle Wölfe wandeln sich und ich werde zur Raubkatze. Ich bezweifle dass mich mein Pelz bei der Kälte da draußen schützt aber ich trete trotzdem mit den anderen hinaus. Ich halte mich dicht an Sebastian. Fenrir läuft auf meiner anderen Seite. Zwischen diesen beiden mächtigen schwarzen Wölfen ist es erträglich warm. In leichtem Trab folgen wir den anderen über den Schnee. Am Himmel leuchtet die Regenbogenbrücke. Sie verändert sich ständig und sieht eher wie ein Vorhang aus. Das Rudel läuft dem Phänomen entgegen. Ich merke dass ich nicht langsamer als die anderen bin. Im Gegenteil. Ich renne in meinem Langstreckenmodus und bin stetiger als die Wölfe die immer wieder zwischen Sprint und langsamerer Gangart wechseln. zum Glück können sich Sebastian und Fenrir an meine Gangart anpassen. Bald kommen wir bei Yggdrasil an. Wir stehen vor einem mächtigen Stamm den ich nicht einmal ansatzweise erklimmen könnte. Der ganze Stamm ist rau. Es sieht aus als habe jemand in die Rinde geschnitzt. Ich gehe an den Stamm und schaue das Geschriebene näher an. Hier hat jemand wirklich ellenlange Texte in die Borke geschnitten. Aus der Borke ist ein dickes Stück gerissen und an der Stelle scheint der Baum zu bluten. Ich fahre mit meiner rauen Zunge über den Stamm und ich merke wie sich die Wunde langsam schließt. Ich stupse Sebastian an dass er mit macht und wo er leckt bildet sich sogar neue Rinde. Bald ist die Wunde weg und an der Stelle trägt der Baum eine wunderbare glatte, silbrige Rinde. Die Wölfe suchen die Gegend um den Baum herum ab. Sie finden keinen Hinweis auf den oder die Übeltäter. Ich rieche an dem Baum. Ich kann es nicht genau beschreiben aber etwas an dem Baum erinnert mich an einen Geruch den ich auch bei der leeren Steele im Herzen der Sphinx bemerkt habe. Wobei bemerken der falsche Ausdruck ist. Es ist ein Hintergrundgeruch. Nicht unangenehm und auf keinen Fall aufdringlich. Es riecht nach Omas Wohnung. Es ist ein Geruch der ganz anders ist als die Lebenswirklichkeit, der heimelig und einladend riecht aber auch nach langem, gelebtem Leben. Ein Geruch aus früherer Zeit der dich an deine eigenen Kindertage erinnert, damals, als du noch die Gelegenheit hattest in diese Welt vor deiner Zeit zu schnuppern. Bei der Steele hatte ich viel zu große Angst um Sebastian um mir Gedanken über diesen Geruch zu machen. Aber warum riecht es hier genau so? Ob das der Geruch des Diebes ist? Dann wäre der Dieb unserer heiligen Schrift und dieser heiligen Schrift der selbe. Das schlimme an diesem Geruch ist: je intensiver ich darüber nachdenke desto weniger kann ich ihn greifen. Als würde der Geruch nicht am Baum oder Boden anhaften sondern in der Luft.
Ich ärgere mich dass ich als Panther mit den Wölfen so gut wie gar nicht kommunizieren kann. Ich kann Sebastian nicht von meinen Fund berichten. Ich kann mich aber hier mitten in der Nacht nicht in meine andere Form wandeln. Danach hätte ich gar keine Energie mehr.
Wir entschließen und wieder nach Hause zu gehen. Die Kinder sind schon vorausgeeilt weil sie ein Wettrennen veranstalten. Wir folgen Ihnen und ich bin froh dass ich wieder in Bewegung bin. Jetzt wird mir wieder etwas wärmer. Plötzlich kommt Bewegung in die Gruppe. Ein riesiger weißer Bär nähert sich der Welpengruppe. Fenrir sprintet los und auch Sebastian wird schneller. Ich gehe mal davon aus dass der Bär nicht mit den Kindern spielen wird. Also sprinte ich ebenfalls los. Ich kann die Wölfe im Spurt locker hinter mir lassen. Meine Augen sind starr auf den weißen Riesen fokussiert und ich renne als ginge es um Leben und Tod. Geht es wahrscheinlich auch. Die Welpen haben den Bären entdeckt und reagieren panisch. Sie halten an und drehen um. Noch einmal fordere ich alles von meinen Muskeln. Ein winziger Welpe wird von der Gruppe abgehängt. Er ist es, den der Bär schlagen wird und ihm werde ich mein Leben schenken, sollten die Wölfe mir gleich nicht zu Hilfe eilen. Ich reiße mein Maul auf brülle und springe dem Bär aus dem vollen Lauf an die Kehle. Ich habe optimal getroffen und ich rolle mit dem Bär in den Schnee. Ich habe zumindest die Überraschung auf meiner Seite. Nun hoffe ich dass das gigantische Tier vielleicht Probleme bekommt weil ich ihm die Luft abdrücke. Der Bär erhebt sich als gäbe es mich nicht und schüttelt sich. Meine Pranken bekommen sein Fell nicht zu fassen und da ich mein Genick mag lasse ich ihn los. Ich fliege ein paar Meter und falle dann in den kalten Schnee. Instinktiv lege ich mich flach auf den Bauch in den Schnee und fauche das Tier mit gebleckten Zähnen und angelegten Ohren an. Da gerade das Rudel Wölfe angerannt kommt erschlägt mich der Bär nicht sondern rennt weg. Der kleine Welpe saust weinend und heulend zu seiner Mama. Am liebsten würde ich nach so einem Sprint liegen bleiben und mich erholen aber in dieser eisigen Kälte kann ich noch nicht einmal atmen. Ich erhebe mich und ich bin erleichtert dass Sebastian neben mir ist. Ich stecke mein Gesicht in seinen dichten Pelz und atme tief die von seinem Körper erwärmte Luft ein. Mehrere Wölfe kuscheln sich an mich heran so dass ich bald zwischen den warmen Leibern stecke. Ein paar Welpen wärmen sogar meinen Bauch und meine Pranken. Als ich wieder normal atmen kann ziehe ich meinen Kopf aus Sebastians Pelz. Geschlossen als Rudel gehen wir zurück nach Hause. Die Wölfe wandeln sich alle als sie in Sichtweite der Häuser kommen ich tue es ihnen gleich und das war eine meiner bekloppteren Ideen. Ohne den wärmenden Pelz kann die Kälte ungehindert in mich dringen. Da ich nun auch gegen die Eiseskälte aus meinem inneren zu kämpfen habe raubt es mir jede Energie. Mir wird schwarz vor Augen und ich werde ohnmächtig.