Die nächsten Tage vergehen ähnlich wie die beschriebenen. Doch Sebastians hat für mich eine Überraschung parat. Er hat genau wie alle anderen Dozenten ein Recht auf eine studentische Hilfskraft und er würde gerne dass ich seine bin. Ich kann so eigenes Geld verdienen. Ich falle Sebastian um den Hals. „Das ist ja phantastisch!" freue ich mich und Sebastian lächelt mich verliebt an. „Ich bin froh dass du ja sagst." murmelt er mir ins Ohr. „Klar! Jetzt kann ich auch mal das Essen bezahlen und muss nicht pausenlos von dir schnorren." grinse ich ihn an. Sebastian ist entsetzt. „Nein! So habe ich das doch gar nicht gemeint! Ich bin froh weil wir gemeinsam die Seminare vorbereiten. Und wenn du magst darfst du an allen drei Seminaren Teil nehmen." Ich schaue ihn unendlich dankbar an. Ich freue mich kaputt, denn der mittlere Kurs wird einen Wochenendausflug nach New York mit Besuch des Brooklyn Museums. Das wird bestimmt wahnsinnig spannend. Aber noch besser ist dass ich auch im Examenskurs dabei sein darf und mit zu den Ausgrabungsstätten nach México mit darf. Dort wird Sebastian ganze sechs Wochen mit seinen Examenskandidaten verbringen und einige Tempelruinen der Maya besuchen und auch bei den Ausgrabungen helfen. „Ich hätte es keine sechs Wochen ohne dich ausgehalten!" grinst Sebastian und ich nicke. Ich war schon sehr traurig dass ich so lange von ihm getrennt sein sollte. Aber nun eröffnen sich neue Möglichkeiten. Sebastian bereitet mit mir zusammen die Kurse vor und verrät mir welche Bücher wichtig sein werden. Ich verbringe richtig viel Zeit damit die Bücher zu verschlingen und für die Seminare die wichtigen Passagen zu kopieren. Sarah ist neidisch dass ich die Hilfskraft des attraktiven Dozenten bin und sie nicht. Ich überlege kurz ob ich ihr verraten soll dass ich mit Sebastian zusammen bin. Aber so gut kenne ich Sarah noch nicht und ich weiß einfach noch nicht wie weit ich ihr Vertrauen kann. Ich fände es richtig beschissen wenn hinter unserem Rücken getuschelt würde.
In dem Kurs Mystische Musik sitze ich alleine mit dem Assistenten der den Kurs hält: es ist ein hübscher, blasser junger Mann der seine kleine Tochter dabei hat. Das Kind ist ein Schulkind und macht Hausaufgaben. Als der Junge Mann sich vorstellt bleibt mir fast die Luft weg: er heißt Peter Bartholy und ich darf ihn Peter nennen. Ich lächle ihn nett zu und stelle mich als Netjeret vor. Peter weiß unglaublich viel über Musik. Es ist angenehm bei ihm zu lernen. Das kleine Mädchen das er dabei hat ist sehr brav. Es ist nicht seine Tochter sondern seine Schwester. Lorie heißt sie und sie mag mich anscheinend sehr. Ich mag das aufgeweckte kleine Mädchen ebenfalls gut leiden. Sie interessiert sich anscheinend für mich und mein Volk. Sie lässt sich alles über Ägypten, die Pharaonen und die Pyramiden erzählen. Am liebsten hat sie die Geschichten wie man Leichname mumifiziert. Peter wird schlecht als ich beschreibe wie die inneren Organe und das Gehirn entfernt werden. Doch Lorie liebt diese Geschichten. Sie wünscht sich immer die gruseligsten Geschichten von mir. Peter schaut dann immer recht unglücklich aber er besteht darauf dass ich sie erzähle. Er möchte unbedingt dass seine Schwester glücklich ist.
Nach ein paar Wochen hat sich in meinem Leben eine angenehme Routine eingestellt. Sebastian und ich leben zusammen. Wir verbringen den Tag an der Uni häufig aber nicht immer gemeinsam. Die Vorlesungen und Seminare die ich bei Sebastian habe liebe ich ganz besonders. Aber am meisten mag ich den Sprachkurs den wir gemeinsam besuchen. Dann kann ich mit Sebastian ungezwungen an den Texten tüfteln. Der Professor hat echt was drauf und er ist begeistert von meinen Ägyptischkenntnissen.
In den Vormittagspausen bin ich oft mit Sarah zusammen. Die Kurse die wir gemeinsam besuchen sind ja leider nicht so viele. Eigentlich nur Mythen und Legenden weil Sarah in Literatur nur zum Einschreiben war. Nach dem Mittagessen in der Mensa oder einem Snack im Park trennen sich unsere Wege. Sarah hat keine Nachmittagskurse belegt weil sie zu Hause viel eingespannt ist. Sie verbringt viel Zeit mit ihrer Großmutter. Ich beneide Sarah dass sie eine intakte Familie hat.
Ich bin fast jeden Nachmittag mit Peter zusammen. Er hilft mir oft beim Lernen und ich beschäftige mich mit Lorie wenn er lernen muss. Wenn die beiden dann heim gehen koche ich zu Hause das Abendessen und danach bereitet Sebastian mit mir den Unterricht vor. Er erzählt mir schon mal was dran kommen wird, ich darf die Bücher lesen und mit ihm besprechen. Ich kopiere die Unterlagen für die Seminare und dann endlich haben wir Zeit für uns. Meine Tage sind so ausgefüllt dass ich gar nicht merke wie die Zeit vergeht. Ehe ich mich versehe ist es Frühling. Die Sonne schickt wärmere Strahlen und die Natur erwacht. Ich bestaune diese Explosion an Leben. Sebastian fragt mich vorsichtig ob ich mich inzwischen mit dem Gedanken anfreunden könne dass wir uns eine größere Wohnung suchen und dann in einer WG mit seinem Cousin und noch einen weiteren Verwandten ziehen. Ich wundere mich zunächst und dann fällt mir das Gespräch mit Fenrir ein. „Fenrir hat mit dir gesprochen?" frage ich zaghaft und Sebastian nickt. Ich muss tief durchatmen und schlucke meine Tränen runter. „Es ist für mich in Ordnung. Ich will dass du glücklich bist und ich habe lange mit Fenrir gesprochen. Er hat mir erklärt dass es nicht an mir liegt dass du mit deinem Cousin zusammenziehen willst sondern dass ihr gerne im Rudel lebt. Für mich ist das okay wenn wir das machen." Sebastian schaut mich lange und intensiv an. Dann schüttelt er sich fast am ganzen Körper. „Luna, es soll für dich nicht okay sein, sondern es muss für dich schön sein. Es soll dein zu Hause werden." Ich nicke und lächle: „ Ich bin da zu Hause wo du bist." Sebastian grinst und nimmt mich in den Arm. „Ich denke dass wir nicht mit den anderen zusammen ziehen sollten. Ich habe das Gefühl dass du hier glücklich bist. Ich will dich nicht unglücklich machen und ich freue mich jeden Abend auf dich. Ich will selber nicht wirklich mit den anderen zusammen ziehen." Ich staune Sebastian an. „Ich dachte du freust dich drauf." sage ich perplex. Sebastian versteckt seine Nase an meinem Hals. „Nicht wenn du heulend meinen Opa anrufst und ich es erst Monate später erfahre. Luna, ich wünsche mir dass du so etwas mit mir besprichst. Ich bin doch auch für dich da wenn's dir nicht gut geht." Automatisch halte ich Sebastian fest. Ich liebe es wenn ich in seinen Armen liege aber noch mehr genieße ich es wenn er in meinen liegt. Ich brumme ein bisschen. „Das ist aber was was ich gerne mit Mama besprochen hätte. Und darum habe ich versucht deine Oma anzurufen und dein Opa ist dran gegangen. Ich hab da schon geweint und darum musste ich ihm mein Herz ausschütten. Es war danach aber gut. Ich hab meine Angst an ihn abgegeben und danach hatte ich keine mehr." Sebastian schaut mich skeptisch an. „Deine Formulierung klang aber nicht so als würdest du dich drauf freuen umzuziehen." Ich zucke die Schultern. „Ich habe mein Leben lang alleine gelebt. Ich weiß nicht ob ich das Rudelleben mag." gebe ich ehrlich zu. „Aber ich weiß dass ich dich mag und ich möchte bei dir sein, egal wo du bist." Sebastian strahlt mich an und sagt dann: „Wir bleiben hier!" Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz: „Und wenn wir uns ein Haus mit zwei getrennten Wohnungen suchen?"