Kapitel 17

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Camilla Moretti

Ich versuchte Noahs Blick auszuweichen. Er machte mir Angst. Das was er mit Max getan hatte war nicht normal. Dass er mich entführt hatte war nicht normal. Dass er mich hier festhielt war nicht normal.

Er war nicht normal.

„Was willst du von mir?", fragte ich ihn schüchtern und erntete einen triumphierenden Blick. Anscheinend erfreute ihn das alles. Am Anfang hatte ich einfach nur Angst vor ihn, weil er so bedrohlich wirkte, aber inzwischen verstand ich, dass es viel schlimmer war. Noah war unberechenbar und niemand stellte sich ihm in den Weg.

Nun nahm er fast schon vorsichtig meine Hände in seine und er antwortete endlich, wobei seine Stimme nicht mehr ganz so wütend klang:„ Du kommst hier raus, nach oben zu mir und tust was für den Haushalt oder so. Dafür überlebt Max." „Ist das alles?", wunderte ich mich und unterbrach ihn. Das verriet mir ein Blick in seine Augen, die leicht blitzten. „Nein du wirst", er zog mich noch ein Stückchen näher, „meine Freundin sein. Du wirst mich lieben, ein Zimmer mit mir teilen und dich mir nicht widersetzten."

Erschrocken sah ich ihn an und wollte zurückweichen, als ich mich besseren besann.

Jetzt musste ich stark sein und das erste Mal in meinem Leben traf ich eine wirklich folgenschwere Entscheidung, die ich zu hundert Prozent bereuen werde:„ Ich hoffe in deinem Zimmer stehen ein paar Blumen."

Noah schaute aus, als ob er gleich vor Stolz platzen wurde. Ich versuchte mich zusammenreißen, doch ich konnte mir nicht verkneifen meine Augen kurz zu verdrehen. Zum Glück kommentierte Noah das nicht, sondern sah mich nur kurz böse an.

„Meinen Willen kannst du mir nicht nehmen.", dachte ich mir und wünschte mir gleichzeitig, dass ich ihm das einfach ins Gesicht sagen könnte. Meine Angst um Max war aber einfach zu groß. Nicht auszudenken was passiert, wenn der Teufel seine Wut auf mich an Max auslässt.

Vorsichtig, um nicht gleich wieder in Ungnade zu fallen, löste ich meine Hände aus Noahs Umklammerung. Was fand er bloß an mir?

Und da viel es mir wie Schuppen von den Augen. Er musste mich so sehr hassen, dass er mich quälen wollte und er wusste ganz genau, dass ich Angst vor ihm hatte.

Er war wirklich ein Monster.

„Komm mit, wir gehen nach oben.", bestimmte dieses Monster jetzt und wollte mich gerade an meinem Handgelenk wegziehen, als ich mich ihm wieder entriss und sofort, bevor er schimpfen konnte, widersprach:„ Wir gehen erst nach oben, wenn Max versorgt ist. Ruf Luc, er kann uns helfen ihn hochzutragen."

An dem Blick, den er mir zuwarf konnte ich erkennen, dass ihm die Idee überhaupt nicht gefiel, aber was sollte ich machen? Ich konnte Max ja schlecht hier unten sterben lassen.

Schnell ging ich zu ihm und bettete seinen Kopf auf meinen Schoß. Dabei rüttelte ich zaghaft an ihm und nach einiger Zeit öffnete er die Augen. Eine Zeit lang sah er sich desorientiert um und schien gar nichts zu verstehen. Doch dann schien er sich zu erinnern und sein Blick blieb an Noah hängen, der diesen kalt erwiderte. „Noah, entschuldige dich bei Max.", forderte ich ihn mit kräftiger Stimme auf. Ich hätte mir selbst vor stolz auf die Schulter klopfen können. Ich klang mal nicht wie ein verängstigtes Kind, sondern wie eine mutige, junge Frau.

Dummerweise erzielte ich nicht die gewünschte Wirkung, denn stattdessen entschuldigte sich Max bei Noah.

Komplett überfordert sah ich zwischen den Beiden hin und her. Natürlich klärte mich keiner auf.

Die Situation wurde immer unangenehmer, aber Gott sei Dank stürmte Luc plötzlich rein und hinter ihm Lucia. Luc sah zwischen Max, Noah und mir hin und her, bevor er sich neben mich setzte. „Was ist mit ihm?", erkundigte er sich und guckte mich dabei intensiv an. Ich erklärte so schnell ich konnte, dass er mich gekitzelt hätte und Noah ausgetickt wäre. Danach fragte ich:„ Wird er wieder?"

„Natürlich. Lucia hat uns schon alle von viel schlimmeren weggeholt.", beruhigte er mich, wohingegen ich da eher skeptisch blieb. Als Luc mich von Max wegzog und Lucia sich zu ihm kniete, warf sie mir einen giftigen Blick zu. Ich fühlte mich hier gar nicht wohl.

Jetzt schaltete sich auch Noah wieder ein:„ Wir gehen hoch, lasst ihn unten nachdem er versorgt ist." „Hoch?", hackte Luc nach, doch er bekam keine Antwort, weil Noah mich schon mit sich zog und ich somit keine Chance mehr bekam etwas zu sagen.

Das Verließ, in dem auch meine Zelle war, hatte noch viele weitere und einen unendlich langen Gang. Nach einer gefühlten Ewigkeit gingen wir endlich eine Steintreppe hoch und ich blickte in grelles Licht. Meine Augen, die an das Licht nicht mehr gewöhnt waren, brannten und ich musste ein paar Mal blinzeln, bevor ich weiter gehen konnte.

Noah wartete in der Zeit geduldig und zog mich dann ziemlich sanft weiter. Wir standen jetzt in einem Flur, der etwas kalt wirkte für meinen Geschmack. Die Wände waren in einem Dunkelgrauton gestrichen und bis auf ein paar Fenster war dort nichts. Noah zog mich weiter und kurz glaubte ich, dass der Flur gar kein Ende mehr nahm.

Glücklicherweise täuschte ich mich jedoch und kurze Zeit später öffnete er eine Holztür und wir betraten einen riesigen Raum. Ich ließ Noah los und drehte mich einmal im Kreis. Das musste wohl das Wohnzimmer sein. An der einen Wand hing ein riesiger, schwarzer Fernseher, vor dem eine schwarze Ledercouch und dazu passende Sessel standen. Darunter lag ein flauschig aussehender Teppich, der den hellen Holzboden ganz verdeckte. Ich ging auf die riesige Fensterfront, die wohl auf den ebenfalls enormen Garten blicken ließ. Es führte ein Plattenweg zu einem winzigen Teich und drum herum waren überall Büsche und Blumen gepflanzt. Alles sah ordentlich gepflegt aus, was vermuten ließ, dass Noah einen eigenen Gärtner hatte, denn selbst würde er wohl kaum gärtnern.

Ich ging zu ihm zurück und auf dem Weg betrachtete ich die Wand, an der jede Menge ziemlich wertvoll aussehende Gemälde hingen. Darunter standen vereinzelt Schränke und vor der Fensterfront stand ein süßer, aber trotzdem nicht kleiner Tisch, der wohl mein Lieblingsplatz werden würde.

Bei Noah angekommen, bemerkte ich, wie er glücklich lächelte. Grinsend strahlte ich ihn an und er legte einen Arm um meine Schulter. Ich zuckte kurz zurück, aber als ich bemerkte, dass er nichts weiter tat fragte ich immer noch glücklich grinsend:„ Können wir rausgehen?" Sofort veränderte sich sein zuvor noch sanfter Gesichtsausdruck in einen verärgerten und er ließ mich los. „Ich war doch so lange nicht draußen und es ist so schönes Wetter, da dachte ich, dass du mir den Garten zeigen könntest.", versuchte ich mich zu erklären und den lieben Noah zu retten. Tatsächlich entspannte er sich wieder und nahm meine Hand, um mich zu der Terrassentür zu führen. Was er wohl davor gedacht hatte? Und warum hatte es ihn so sauer gemacht?

Ich schob die Fragen fort, darüber konnte ich mir später Gedanken machen. Als wir nach draußen traten Atmete ich begeistert die kühle Herbstluft ein. Kurz schloss ich meine Augen und stand einfach so da. Noch nie hatte ich das Gefühl, wenn der Wind über die Haut streicht und meine Haare zum wehen bringt, richtig geschätzt. Doch jetzt genoss ich es. Das erste Mal seit Langem fühlte ich mich wieder frei und ich wünschte mir, dass der Moment niemals enden würde. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, doch mir war es egal.

Gerade war ich glücklich.

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