Kapitel 36

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Camilla Moretti

„Du musst etwas essen.", befahl mir Luc mit strenger Stimme.

Gleich danach kam Veronica:„ Hier, trink etwas."

Das Bier, das sie mir reichte, schmeckte bitter und ich musste mich beherrschen es nicht sofort wieder hoch zu würgen.

Noah hatte immer ein Bier getrunken und dann Luc auch noch eins angedreht.

„So kann das nicht weiter gehen.", nörgelte Luc jetzt und sah dabei ziemlich genervt aus. Das Tattoo des brüllenden Löwen, das seine gesamte Schulter einnahm, wurde etwas gestreckt, als er sich die Arme über den Kopf schlug.

Fasziniert beobachtete ich das Schauspiel.

„Jetzt rede doch endlich mit uns.", versuchte Luc es wieder mit einem netteren Ton, woraufhin Veronica ihm anerkennend zunickte.

Doch ich würde nicht mit ihnen reden. Als die Beiden vor ein paar Tagen tatsächlich David angeschleppt hatten, damit er mich auf ein Autorennen brachte, hatte ich mir geschworen nie wieder mit ihnen zu reden.

Meine Freunde wussten, dass ich weder Bianca noch ihre Verbündeten duldete. Dass sie das ignoriert hatten, hatte mich dazu gebracht die Beiden nur noch zu ignorieren.

Das war jetzt 4 Tage her.

Noahs Tod hatte mir Bari für immer verdorben. Wenn ich früher nur wegen Theo rauswollte, wollte ich jetzt wegen dem Schatten, der ständig mein Gehirn einnahm, gehen.

Wenn er kam musste ich an Noah denken. Meine Trauer stieg ins unermessliche und es schien, als würde ich all die schönen und schlimmen Momente, die ich so gerne verdrängen würde, noch einmal erleben. Es endete immer gleich. Noah starb.

Noch immer war der Verräter auf freiem Fuß und Luc weigerte sich nach ihm zu suchen, so lange Noah noch nicht beerdigt war und sein Nachfolger gefunden war.

Ich selbst hatte alleine bei dem Gedanken, dass der Verräter und der Mörder auf freiem Fuße waren, das Bedürfnis aus dem nächsten Fenster zu springen.

Immer wieder versuchte ich mir vorzustellen, wie Noah gestorben war. Es war eine grausame Qual, aber sie hielt mich am Leben. Durch das durchleben der verschiedenen Szenarien fühlte ich mich lebendig.

„Mach mal lauter.", wies Veronica plötzlich Luc an und riss mich damit aus den düsteren Gedanken in eine noch düstere Realität.

„Ich stehe hier an dem Grab des berühmt berüchtigten Mafiabosses Noah Cano.", begann eine Reporterin gerade einen Vortrag und ich glaubte, dass mir das Herz stehen blieb.

Ich spürte wie mir schwindelig wurde und lehnte mich dankbar an Luc, der mich sofort stützte.

Die Reporterin erzählte über Noahs leben, doch mein Blick blieb auf dem Grabstein hängen. Dieses Stück Stein war das einzige, was von ihm geblieben war.

Wir hatten keine Bilder gemacht, ich hatte keine Sweater von ihm nach Hause genommen.

Ich war bei ihm zu Hause und jetzt bin ich obdachlos.

„Wo ist das?", krächzte ich mit matter Stimme und alle Köpfe schossen zu mir.

Seit Tagen redete ich wieder, aber nur weil es um Noah ging.

Meine Freunde sollen sich nicht einbilden, dass ich ihnen verziehen hatte.

Das kleine, süße Mädchen, das immer verzeiht und vergisst liegt mit Noah im Grab.

Luc schien den Friedhof genausten zu analysieren, bevor er mir mitteilte:„ Der liegt in unserer Heimat. In Barcelona."

„Ich will dahin.", bestimmte ich, und mein Ton kann schneidend, fast schon als würde ich gleich an den Worten ersticken. Wieso war ich nicht auf der Beerdigung?

Bevor Luc auch nur ansatzweise den Mund zum Widersprechen aufmachen konnte, sprang Veronica auf und hielt ihm den Finger auf den Mund.

„Pack deine Koffer, Camilla. Wir drei fliegen morgen nach Spanien."

Veronica hatte nicht gelogen wir saßen jetzt seit einer halben Stunde in einem Shuttle, der uns in ein kleines Hotel in Barcelona bringen sollte.

Auf dem Weg hier hin hatte Luc fast durchgehend mit Veronica über diese, wie er es nannte, irre Idee, diskutiert. Es war so angeregt und laut gewesen, dass sich einige im Flugzeug umgedreht hatten.

Jetzt fuhren wir durch die überfüllte Innenstadt, in der es nur so von Touristengruppen wimmelte.

„Aussteigen bitte.", brummte der Fahrer und ich sprang auf. Luc und Veronica, die hinter mir saßen schreckten auf und sahen sich orientierungslos um.

Anscheinend hatten die Beiden geschlafen.

Nachdem wir aus dem Bus gestiegen sind, gingen wir zu dem Hotel, dass ziemlich ekelig von außen aussah.

Es war eins der billigen Hotels und die braune Farbe, die mit Rissen durchzogen war, hielt mich eher auf rein zu gehen.

„Jetzt kommt schon.", hetzte Luc Veronica und mich. Wir Beide waren auf offener Straße stehen geblieben und sahen uns interessiert um.

Luc hatte das Einchecken relativ schnell erledigt. Weil er hier eigentlich lebte, konnte er fließend Spanisch und ich hörte, auch wenn ich kein Wort verstand, beeindruckt zu.

Jetzt saßen wir in einem süßen Café und beobachteten die Spanier, die alle fröhlich umher liefen.

Ich bemerkte immer wieder wie es mir die Kehle zuschnürte, wenn ich ein verliebtes Pärchen sah, aber mit der Zeit wurde es besser.

„Die ist süß.", stellte Veronica fest. Dabei zeigte sie auf eine junge Frau, die mit ihrem schwarzen Sommerkleid, das sich perfekt an ihre Kurven schmiegte, deutlich aus der farbenfrohen Menge rausstach.

Luc, der Veronica und mir gegenüber saß, drehte sich schnell um und betrachtete das Mädchen genausten.

Danach gab er sein professionelles Urteil:„ Nicht mein Typ, du kannst sie haben."

„Werde ich mich drum kümmern.", sagte Veronica glücklich und sprang auf.

Seit Luc und sie sich angefreundet hatten, gingen sie anscheinend schon gemeinsam auf Mädchen jagt. Was zugegebenermaßen ziemlich gruselig war.

Luc sah mich lächelnd an und auch ich schaffte ein kleines Lächeln. Meine Freunde waren glücklich und darüber sollte ich mich freuen, auch wenn ich mich wunderte, dass Luc nicht komplett am Boden zerstört war.

Immerhin war Noah sein allerbester Freund, eigentlich schon sein Bruder.

Ich biss mir bei dem Gedanken an Noah auf die Lippe. Jetzt werde ich nicht weinen.

Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich mir vorstellte, wie Noah mit mir hier her gereist wäre und wir zusammen in einem der süßen Cafés und gegenseitig mit Kuchen gefüttert hätten.

Eine romantische Vorstellung, die Noah bestimmt ätzend gefunden hätte.

Ein trauriges Lächeln, das fast schon wehmütig war, schlich sich auf mein Gesicht. Luc, der bezahlen gehen wollte, rettete mich aber glücklicherweise vor weiteren Gedanken, die mir zeigten was ich nie haben werde.

Gerade als Luc den Tisch verlassen hatte, kam einer der Kellner zu mir und reichte mir einen Zettel. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht deutete er auf einen Tisch hinter mir, dann war er weg.

Als ich mich umdrehte und einen pubertierenden Teenager erwartete, wurde ich aber enttäuscht. Der Tisch war leer.

Verwirrt sah ich mich um, konnte aber niemanden entdecken.

Etwas unsicher öffnete ich den Zettel:

Komme morgen um 17 Uhr zum Friedhof an Noahs Grab. Ich habe etwas, was dir fehlt. Sag niemandem etwas.

Als Luc und Veronica wiederkamen steckte ich den Zettel schnell weg.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn, wer war das gewesen?

In mir machte sich eine Hoffnung breit, wenn ich daran dachte, dass die Person mir vielleicht Sachen von Noah gab.

Morgen würde ich vielleicht endlich etwas zur Ruhe kommen.

The Mafia - EistränenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt