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Müde öffne ich meine Augen und warte bis sie sich langsam an die Helligkeit gewöhnt haben. Doch der Anblick, der sich mir dann bietet, verwirrt mich.

Wieso bin ich in dem kleinen Bad, das direkt an mein Gästezimmer angrenzt? Habe ich hier etwa geschlafen? Ich drehe meinen Kopf ein wenig nach links. Und wieso riecht es hier so nach diesem herben, männlichen und doch süßen Parfüm, das mich wie eine sanfte Wolke umgibt? Nach einer frischen, kühlen Meeresbrise? ...Nach Corbyn?

Oh nein. Mit einem Mal kommt alles wieder zurück. Alle Erinnerungen von vorhin stürzen unbarmherzig auf mich ein.

Stöhnend vergrabe ich meinen Kopf wieder in meinem Kissen. Das jedoch natürlich gar kein Kissen ist, wie mir im nächsten Augenblick wieder einfällt. Nein, das ist Corbyn. Genauer gesagt Corbyns Halsbeuge.

Schnell rücke ich von ihm ab.

Ich muss mich im Schlaf wohl irgendwie umgedreht haben, denn so weit ich mich erinnern kann, saß ich davor mit dem Rücken an Corbyns Brust angelehnt. Jetzt sitze ich seitlich, meine Beine über Corbyns Schoß und mein Gesicht anscheinend in seiner Halsbeuge vergraben.

Mein Gott. Wenn man uns hier so sehen würde, dann würde man auf jeden Fall denken wir wären ein Paar. Ein Paar, das auf dem Boden vom Badezimmer schläft.

Ich seufze und lasse meinen Blick über den Jungen wandern, der sich vorhin ohne Beschwerden um mich gekümmert und dann, mit ihm als Kissen, auf sich schlafen hat lassen. Wobei er anscheinend auch eingeschlafen ist. Und das auf den kalten, harten Fließen im Bad. Wie ungemütlich.

Corbyn grummelt leise und zieht mich im Halbschlaf wieder näher zu sich heran.

Ich beiße mir auf die Unterlippe um mir ein Lachen zu verkneifen, denn ein halb schlafender Corbyn sieht wirklich witzig aus. Und irgendwie auch süß... aber das sollte ich wahrscheinlich nicht denken, schließlich kann ich die Sachen, mit denen Corbyn mich absichtlich verletzt hat nicht einfach aus meinen Gedanken streichen. Auch wenn er meint, dass er das alles nur gesagt hat um mich auf Abstand zu halten, das entschuldigt es nun mal leider nicht. Was gesagt ist, ist gesagt und es verletzt mich einfach, dass er solche Dinge überhaupt denkt.

Inzwischen hat auch Corbyn verschlafen seine Augen geöffnet. Er scheint im ersten Moment genauso verwirrt zu sein wie ich gerade eben, dann entdeckt er mich. Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen als er mich mustert und sein Blick schließlich wieder meine Augen findet. Sein Lächeln bleibt vorsichtig, als würde er sich nicht trauen, sich mir ganz zu öffnen, dennoch reicht es bis in seine Augen als er mich leise begrüßt. "Na?" Ich lächele schüchtern zurück. "Na?" Mehr fällt uns zunächst nicht ein, doch das ist nicht schlimm. Ich hätte wahrscheinlich sowieso nichts Sinnvolles rausbekommen, viel zu sehr bin ich von Corbyns Augen abgelenkt, die mich gerade noch mehr in ihren Bann ziehen als sonst schon. Dieses intensive grün-blau, das mich in diesem Moment mehr an sanftes, kristallklares Wasser als - wie sonst so oft - an die tosenden, rauen Wellen eines stürmischen Tages auf See, erinnert.

"Und, gut geschlafen?", fragt Corbyn ironisch und hält mich damit unbewusst davon ab, mich in seinen Augen zu verlieren.

Was muss das nur für ein Bild abgeben, wir beide hier im Badezimmer auf den Fliesen hockend, einander verschlafen anlächelnd.

"Erstaunlicherweise schon, ja.", erwidere ich lachend und stehe langsam auf. "Aber du bestimmt eher weniger auf den kalten Fliesen, oder?" Er zuckt mit den Schultern und schaut zu mir auf. "Gibt schlimmeres." Ich nicke. "Stimmt. Zum Beispiel jemandem die Haare aus dem Gesicht zu halten während sie sich übergibt." "Zum Beispiel.", grinst er, kommt ebenfalls auf die Beine und streicht seinen zerknitterten Hoodie etwas glatt. "Das hat sich aber auch auf jeden Fall gelohnt, deine Haare sind wie immer on fleek..." Ich hebe septisch meine Augenbrauen. "... was wir jedoch ganz schnell ändern können." Corbyns Arm schnellt vor und verschmitzt grinsend wuschelt er mir durch die Haare.

"Hey!", rufe ich empört und weiche ihm gespielt beleidigt aus, werde allerdings schnell wieder ernst. "Was ich damit vorhin eigentlich sagen wollte: Danke, Corbyn, das alles ist nicht selbstverständlich. Weder auf den Fliesen zu schlafen, mit mir die dich als Kissen benutzt, noch das... andere." "Mach dir keine Sorgen, hab ich gern gemacht." Ich schaue ihn zweifelnd an. "Ja klar." "Okay, das andere, wie du so schön sagst, vielleicht nicht unbedingt soo liebend gerne, aber das mit dem als Kissen benutzen fand ich eigentlich gar nicht mal schlecht.", meint Corbyn grinsend, woraufhin ich leise lache.

"Und, denkst du dir geht es besser oder muss ich damit rechnen, dass du gleich wieder über dem Klo hängst?" "Ich schätze mal, dass es mir besser geht.", lächele ich. "Aber ich glaube ich sollte trotzdem kurz Zähne putzen." Corbyn nickt verständnisvoll. "Tu das."

Ich hole aus meinem Koffer Zahnbürste und Zahnputzzeug und putze schnell meine Zähne um den ekligen Geschmack los zu werden.

Als ich aus dem Bad komme sitzt Corbyn auf dem Bett und schaut auf sein Handy.

"Wie spät ist es eigentlich?", frage ich ihn, da ich gar kein Zeitgefühl mehr habe. "17:30 Uhr." Ich nicke und stehe dann unschlüssig vor ihm. Wie soll es denn jetzt weitergehen? Als hätte Corbyn meine Gedanken gelesen fragt er plötzlich ernst: "Du wirst morgen trotzdem fliegen, oder?"

Ich atme tief durch und nicke dann langsam. "Ja... Ich brauche einfach Abstand. Von dem Ganzem hier." Auch wenn sich zwischen Corbyn und mir offensichtlich irgendetwas verändert hat, um zu wissen wie es mit ihm und Jonah und den ganzen anderen Jungs weiter geht, muss ich erst mal einen klaren Kopf bekommen. Und das ist hier leider nicht möglich.

"Und ich glaube es ist auch besser für dich... Du musst dir darüber klar werden was du wirklich willst. Aber eins solltest du dabei bedenken: Du hast nun mal ein paar sehr... verletzende Dinge zu mir gesagt und das kann man leider nicht einfach so rückgängig machen." Corbyn nickt seufzend. "Ich weiß. Und das tut mir wirklich Leid." Für einen Moment schauen wir uns stumm an, dann wendet Corbyn seinen Blick ruckartig von mir ab. "Okay, ich glaube ich sollte jetzt runtergehen."

Ich nicke und beiße mir auf die Unterlippe um nichts unüberlegtes zu sagen, was Corbyn dazu bringen würde doch noch ein wenig hier zu bleiben. Bei mir. Denn - auch wenn ich es nur sehr ungern zugebe - ich genieße seine Anwesenheit. Was total bescheuert ist, wenn man bedenkt was auf der Party vorgefallen ist. Nicht zu vergessen all das davor.

Also bleibe ich still, denn es ist besser so. Morgen früh bin ich sowieso weg.

An der Tür bleibt Corbyn nochmal stehen und blickt sich zögernd nach mir um. Er murmelt leise: "Du wirst mir fehlen, Cass.", dann verschwindet er endgültig aus meinem Zimmer. "Du wirst mir auch fehlen, Corbs.", flüstere ich und mit einem Schlag wird mir bewusst, wir sehr das stimmt.

Denn es ist eben doch wie Bell gesagt hat: Obwohl wir uns andauernd streiten und verletzen, können Corbyn und ich anscheinend nicht ohne einander.

𝐈 𝐡𝐚𝐭𝐞 𝐲𝐨𝐮, 𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 || 𝐖𝐡𝐲 𝐃𝐨𝐧'𝐭 𝐖𝐞 𝐅𝐅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt