03. August 2008 - Azkaban

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Es ist erstaunlich, was Menschen zu leisten im Stande sind, wenn sie für etwas kämpfen, das sie lieben. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob sie magischen Blutes sind oder nicht. Liebe hatte Harry Potter als Baby vor der Wirkung des Todesfluchs bewahrt. Es war Liebe, die Hermine dazu gebracht hatte, die Erinnerungen ihrer Eltern zu löschen und Lucius schließlich dazu, sie wiederherzustellen. Und es war die Liebe, die Professor Snape über viele Jahre hinweg dazu bewegt hatte, Harry einerseits zu hassen, weil er ihn jedes Mal an dessen Vater James erinnerte, und ihn andererseits vor jedem größeren Übel zu schützen, weil in dem Jungen ein Teil seiner Mutter noch immer am Leben war. Liebe war der Grund dafür, dass Petunia Dursley ihren Neffen nicht vor die Tür gesetzt hatte, um ihm weiterhin den Schutz zu gewähren, den er so dringend brauchte. Es war die tiefe Liebe einer Mutter, die dazu geführt hatte, dass Bellatrix Lestrange gestorben war, und die Narzissa Malfoy dazu gebracht hatte, Voldemort geradewegs ins Gesicht zu lügen. Aber auch nichtmenschliche Wesen konnten natürlich lieben und mit ihrem Leben diejenigen schützen, die ihnen im Herzen lagen. So war Dobby für seine Freunde gestorben und hatte auch Hedwig Harry nicht kampflos seinen Feinden überlassen.

Doch nicht immer sind es große Gesten, die große Gefühle widerspiegeln. Eigentlich sind es eher die kleinen Aufmerksamkeiten, die Blicke, die man einander in unbeobachteten Momenten zuwirft, die tröstenden Worte und die Gespräche, in denen man dem anderen ehrlich interessiert zuhört, die die Liebe am Leben halten und wachsen lassen. Diese Kleinigkeiten sind der Sauerstoff, der die anfängliche Glut anfeuert und sie zu einem starken Feuer werden lässt. Ohne sie erstirbt die Flamme und lässt einen erkalteten Alltag zurück. So war es Hermine und Ron ergangen und so sollte es diesmal nicht kommen. Die Voraussetzungen waren natürlich ein wenig anders, wenn man bedachte, dass die Zuneigung, die Hermine und Lucius für einander empfanden, nicht aus ihnen selbst, sondern aus einem Zauber heraus geboren worden war. Sie wussten jedoch nicht, wo die Wirkung dieses Zaubers aufhörte und wo die Gefühle begannen, die sie in den letzten fünf Jahren noch darüber hinaus entwickelt hatten.

Sie hatten gelernt, dass die Glut eben nicht ausreichte, um eine glückliche Beziehung führen zu können, vor allem, wenn es nicht wenige gab, die mit einem Löscheimer bereitstanden. Gerade im ersten Jahr hatten sie so viel Gegenwind erfahren, dass Hermine sich kaum noch in die Winkelgasse getraut hatte. In Hogwarts war es anders, die Schüler dachten sich zwar vermutlich ihren Teil, wenn sie die Geschichten ihrer Eltern gehört hatten, doch sie sprachen es nicht offen aus. Die erwachsenen Zauberer waren da wesentlich weniger zurückhaltend. Sie machten keinen Hehl daraus, was sie von Lucius und ihrer Verbindung hielten, sie senkten weder Stimme noch Blick, wenn sie über sie tuschelten. Die mysteriösen Umstände rund um das Rudel und ihr Wolfsbrut-Ritual, die das Zaubereiministerium so gut es ging unter der Decke hielt, um Unruhen in der Gemeinschaft zu vermeiden, taten ihr Übriges. Ganz konnte natürlich nicht verschwiegen werden, dass Greyback wieder sein Unwesen getrieben hatte, dass dabei mehrere Personen ihr Leben gelassen hatten und dass mehrere Werwölfe inhaftiert worden waren. Dazu Narzissas Tod, der noch immer nicht aufgeklärt worden war, und Draco hinter Gittern, während Lucius mit Hermine anbändelte - das alles bot genug Stoff für unzählige Theorien und Gerüchte. Lucius kam damit deutlich besser klar als Hermine. Zumindest ließ er es sich nicht so leicht anmerken. Es gab Momente, da bewunderte sie seine Contenance, in anderen wiederum machte er sie mit seiner scheinbaren Gleichgültigkeit schier wahnsinnig.

Nach und nach hatte das Gerede freilich nachgelassen und war schließlich zu einem kaum hörbaren Surren verkommen. Vielleicht hatten sich die Leute an den Gedanken und ihren Anblick gewöhnt, vielleicht hatten sie sich auch zu langweilig verhalten und keinen weiteren Anlass zu Tratsch gegeben. Das würde sich nun ändern, denn sie hatten Ende Juni geheiratet. Noch hatte es sich nicht herumgesprochen und abgesehen von den Freunden und Verwandten, die mit ihnen gefeiert hatten, wusste kaum jemand davon. Die Hochzeit war auch der Grund dafür, warum sie an diesem wunderbaren Sonntagmorgen auf eine raue Steininsel in der Nordsee appariert waren, um einen der grausigsten Orte zu besuchen, den die Zaubererwelt kannte. Lucius wollte seinen Sohn endlich auf den neuesten Stand bringen. Hermine hatte schon vor der Hochzeit lange auf ihn eingeredet und versucht, ihn dazu zu überreden, hatte es nach einem heftigen Streit aber schließlich aufgegeben. Nun stand Dracos Entlassung kurz bevor und Lucius hatte eingesehen, dass er besser vorher reinen Tisch machen sollte.

Hermine würde nicht mit zu Dracos Zelle kommen, da sie sich einig waren, dass das die Stimmung nicht gerade auflockern würde, doch sie wollte ihren Mann wenigstens nicht allein herkommen lassen. Auch wenn es ihr an diesem Morgen nicht besonders gut ging. Sie war bisher erst einmal hier gewesen und es war nicht gerade eine Erfahrung, die sie gerne wiederholte. Dass sie ihn nun trotzdem begleitete, war eine dieser kleinen Gesten, die ihre Beziehung festigten.
Obwohl es am Festland warm und sonnig war, hatte sie augenblicklich Gänsehaut, als sie den Fuß auf die Insel setzte und Azkaban vor ihnen auftauchte. Die Dementoren hatten das Gefängnis schon vor Jahren verlassen und wachten nicht mehr darüber, die Atmosphäre war daher im Vergleich zu früher wohl fast schon fröhlich. Hermine empfand sie trotzdem als unheimlich und bedrückend. Die Gischt stürzte sich immer wieder gegen die spitzen Felsen und außer den Gefangenen und ihren Wärtern gab es hier kein Leben. Kein Baum, keine Blume, nicht einmal ein Büschel Unkraut bahnte sich seinen Weg durch den kahlen Stein. Möwen oder andere Vögel mieden diesen Ort, nur ab und an brachte eine Eule Post. Sie stiegen die wenigen Stufen zur Pforte hinauf. Die Brandung war so laut, dass sie sich sicher hätten anschreien müssen, um einander zu verstehen. Als sich die schwere Eisentür kurz darauf wieder hinter ihnen schloss, war es dagegen fast totenstill. Ein paar Hexen und Zauberer saßen in einem kargen Wartebereich. Manche unterhielten sich gedämpft, die meisten von ihnen starrten jedoch nur auf ihre Hände, die Decke oder den Boden und mieden die Blicke der anderen Besucher. Sie alle strahlten dieselbe Abneigung gegen diesen Ort aus, die Hermine empfand. Lucius trat an den Empfang und sprach leise mit dem verhärmten Mann hinter der Scheibe. Der machte sich ein paar Notizen und strich etwas von einer Liste ab, dann wies er auf die letzten freien Plätze bei den anderen Besuchern. Sie warteten fast eine halbe Stunde, bis endlich ein schnauzbärtiger Wachmann kam und sie abholte.

Außer Hermine blieben noch zwei Hexen und ein kleiner Junge zurück, der sich wohl im letzten Moment umentschieden hatte und doch nicht weiter in dieses gruselige Gebäude hineingehen wollte. Seine Mutter tröstete ihn und versuchte ihn mit seinem Teddybären abzulenken. Sie ließ den Bären ein französisches Lied singen und dazu tanzen und schon bald beobachtete der Bub das Geschehen mit strahlenden Augen und wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel ab. Die zweite Frau schien in ihre Hexenwoche vertieft zu sein, doch als Hermine in ihre Richtung sah, bemerkte sie, wie ihre Augen schnell wieder auf das Papier zurück huschten. Offensichtlich hatte sie sie beobachtet. Sie kannte diese Hexe nicht, hatte sich aber schon lange daran gewöhnt, dass andersherum die meisten Leute sie sehr wohl kannten. Es war also nichts Ungewöhnliches am Verhalten der Frau, doch Hermines Nerven lagen an diesem Ort ohnehin schon blank und sie wünschte sich inständig, sie würde es lassen. Der Wachmann an der Pforte ließ sie alle vier nicht aus den Augen, er war scheinbar misstrauisch, weil sie zurückgeblieben waren. Nach einer Weile schien der Junge sich nicht mehr um die Trostlosigkeit zu scheren und spielte selig mit seinem Teddy. Seine Mutter lächelte erleichtert und fing Hermines Blick auf, die den Kleinen ebenfalls beobachtet hatte. Sie nickte ihr zu und sagte mit deutlich französischem Einschlag: „Es ist nicht einfach für unsere kleine Zacharie. Er wollte unbedingt mitkommen und seine Tonton, seine Onkel, sehen, aber ich denke, es ist besser, wenn er nicht..."

Sie stockte und blickte betreten zur Seite.

„Ich verstehe schon. Ich finde, er ist sehr tapfer."

„Oui, das finde ich auch", sagte die Dame und strich ihrem Sohn über den Kopf, „'aben Sie selbst Kinder?"

„Nein. Noch nicht."

„Sie sind auch noch so jung, lassen Sie sich Zeit für Sie selbst. Warum sind Sie denn 'ier, wenn ich das fragen darf?"

„Mein, ähm, mein Mann besucht seinen Sohn."

Es kam ihr noch ein wenig komisch vor, Lucius als ihren Mann zu bezeichnen. Daran würde sie sich genauso gewöhnen müssen, wie Mrs. Malfoy zu sein.

„Und Sie wollen ihn nicht sehen?"

„Wir verstehen uns nicht besonders gut", sagte Hermine knapp, sie wollte nicht darüber reden.

„Vous savez, es ist nicht immer einfach für Kinder, eine neue Partner an die Seite ihrer Eltern zu sehen."

Es schien so, als ob sie dabei aus Erfahrung sprach, doch Hermine fragte nicht nach.

„Mrs. Mayhem?"

Ein weiterer Wachmann war mit einem Klemmbrett aufgetaucht und sah sie alle fragend an. Die Frau mit der Hexenwoche stand auf und folgte ihm hinaus. Warum sie wohl nicht mit den anderen zusammen abgeholt worden war? Hermine sah ihr einen Moment nach, dann wand sie sich wieder der Französin zu, die etwas zu ihr gesagt hatte.

„Entschuldigen Sie, wie bitte?"

„Würden Sie eine Moment auf Zacharie achten, s'il vous plaît? Ich möchte nur kurz..."

„Natürlich."

Die Hexe stand auf und verschwand um die Ecke. Der Junge hatte sich inzwischen vollkommen von seinem Schreck erholt und kramte in der Tasche seiner Mutter nach weiterem Spielzeug. Zufrieden zog er einen großen, zotteligen Hund heraus und kläffte damit laut den Bären an, den er auf dem Stuhl abgelegt hatte. Hermine beobachtete eine Weile lächelnd, wie er sich ganz ohne Magie scheinbar prächtig amüsierte.

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Ein Geräusch riss ihn aus seinem Dämmerzustand und als er die Augen öffnete, umgab ihn nichts als Finsternis. Er lauschte in die Dunkelheit hinein und nahm deutlich noch etwas anderes als die übliche, allgegenwärtige Verzweiflung wahr. Auf einmal wurde er von einem hellen Licht geblendet.
„Wer ist da?"
Ohne weitere Vorwarnung spürte er etwas eisig Kaltes an seinem Hals, dann sagte jemand: „Schau mich an."
Auf einmal wurde es hell. Ein Messer blitzte auf und bevor ein Schrei seine Kehle verlassen konnte, wurde sie rasch und präzise aufgeschlitzt. Er konnte nur noch röchelnd in die gierigen Augen seines Mörders starren, während das Blut aus seinem Hals hervorquoll, wie Wasser aus einem angestochenen Schlauch, und quälend langsam das Leben mit sich nahm. Es gab ein metallenes Klirren und das Messer landete auf dem Boden, wo es bald von der sich ausbreitenden Blutlache erfasst wurde.

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Sie hatte nicht recht auf die Zeit geachtet, doch als auf einmal Lucius mit einem Wachmann im Schlepptau zurückkam und sie auf die Uhr sah, erkannte sie, dass bereits 15 Minuten vergangen waren, seit die Hexe zur Toilette gegangen war.

„Wir gehen."

„Was ist denn los?"

Hermine nahm ihn am Arm und hielt ihn fest, denn er war schon fast wieder auf dem Weg in Richtung Tür.

„Nichts", presste er zwischen den Zähnen hervor.

„Das sieht aber gar nicht nach Nichts aus."

„Ich erzähle es dir zu Hause, können wir jetzt endlich gehen!?"

„Nein, können wir nicht."

Sie nickte mit dem Kopf zu Zacharie, der gerade versuchte, mit dem Hund den Kopf des Bären abzureißen.

„Ich habe versprochen, auf ihn zu achten, bis seine Mutter zurückkommt."

Er kniff die Augen zusammen, schüttelte kurz genervt den Kopf und fuhr er sie herrisch an: „Dann wartest du eben. Ich verschwinde."

Ohne auch nur einen Moment abzuwarten, hastete er zur Eingangstür und der Wachmann öffnete sie, indem er seine Hand auflegte. Für ein paar Sekunden dröhnte das Rauschen des Windes und die tosende Brandung in ihren Ohren, dann herrschte wieder Stille und Lucius war fort. Das konnte nicht sein Ernst sein. Hermine spürte, wie Wut in ihr hochkochte. Sie war nur seinetwegen hier und er ließ sie nun einfach allein zurück? Ein unangenehmes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Jungen und sie sah, dass der Hund nun den Kampf gegen den Bären gewonnen hatte und die Füllwatte des unglücklichen Stofftieres herausquoll. Zacharie rupfte mit beiden Händen das weiße Zeug aus dem Körper des Teddys und auf dem Boden hatten sich schon einige Wölkchen gebildet. Hermine kniete sich hin, sammelte die Füllung des Bären auf und versuchte den Jungen zu bändigen, der inzwischen mit aller Kraft an den traurigen Überresten seines Spielzeuges zerrte, um auch noch die Beine und Arme zu entfernen. Zacharie wehrte sich und war viel stärker, als sie es von einem Kind in diesem Alter erwartet hätte. Er begann zu schreien und stierte sie wild an, als endlich seine Mutter zurückkam.

„Par la barbe de Merlin! Zacharie Chabot, qu'est-ce que tu fais là?"

Die Dame hob ihren Sohn mit einer Leichtigkeit hoch, die Hermine verblüffte, und setzte ihn auf einen der Stühle.

„Ich... gehe dann mal."

„Oui, oui, gehen Sie", sagte sie mit einer abwehrenden Handbewegung und versuchte, Zacharie zu beruhigen, der noch immer schrie und den zerfetzten Bären in seiner Hand weiter quetschte. Sie hörte, wie die Frau streng auf Französisch zu dem Jungen sprach. Dieses Kind machte sie auf einmal seltsam nervös und sie war froh, als sie kurz darauf draußen auf dem kargen Felsen stand und die Gischt in ihrem Gesicht spürte. Sie atmete noch ein paar Mal die salzige Seeluft ein, dann disapparierte sie.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt