06. August 2008 - Nebelrauschen

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Sie war sich noch immer nicht sicher, wo oder was sie gerade war. Hatte sie nun einen Körper? Sie konnte ihn nicht sehen und auch nicht spüren, nur manchmal hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass er da war. Könnte aber auch eine Art Phantomschmerz sein. Wenn sie versuchte, sich zu bewegen, reagierten jedenfalls keine Muskeln auf ihre Befehle. Der farbenfrohe Nebelwirbel wechselte sich noch genauso mit der grauen Tristesse ab, wie Stunden zuvor, falls überhaupt Stunden vergangen waren. Es hätten genauso gut Sekunden oder Jahrhunderte gewesen sein können. Wahrscheinlich war sie wirklich tot. Sie kannte keinen Zauber, keinen Fluch, der einen solchen Effekt hatte, und sie kannte sehr, sehr viele. Eigentlich alle, denn sie hatte sich in den letzten Jahren auch intensiv mit der schwarzmagischen Lektüre in der Bibliothek von Malfoy Manor auseinandergesetzt. Es konnte nie schaden, mehr zu wissen.

Wirklich helfen tat es aber auch nicht.

Hin und wieder bildete sie sich ein, dass sie Umrisse von, ja wovon eigentlich, erkennen konnte. Waren das Menschen? Möbel? Bäume? Relativ groß schienen sie zu sein, vielleicht waren das die anderen Seelen, die in diesem Strudel herumtrieben. Sie konnte ja schließlich nicht die Einzige sein. Auf einmal kam ihr ein urkomischer Gedanke. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie gelacht, aber ohne Körper ging das schlecht. Das alles hier erinnerte sie unheimlich an Wahrsagen bei der übergroßen Fledermaus Trelawney: der wabernde Nebel, die vielen Farben, das Gefühl, der Kopf würde langsam aber sicher von den Dämpfen eingelullt. Sie stellte sich vor, dass sie das Innere einer Kristallkugel war und es einem unglücklichen Schüler schwer machte, etwas aus sich zu lesen. Sie. In einer Kristallkugel.

Da spürte sie mal wieder ein Ziehen in der Brust, doch als sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, war da nichts. Kein Schmerz und erst recht keine Brust. Es ärgerte sie, dass sie sich einfach keinen Reim daraus machen konnte, was gerade mit ihr geschah. Falls sie wirklich tot war, dann wollte sie wenigstens eindeutig gezeigt bekommen, dass es so war. Irgendwie schienen alle immer davon auszugehen, dass man das dann schon wissen würde, sobald man tot war. Dass man sofort ein Zeichen oder so bekommen würde, am besten eine Durchsage und ein großes Leuchtschild mit „Herzliches Beileid, Sie sind tot" oder „Willkommen im Jenseits" oder etwas in der Art. Aber nichts dergleichen. Sollten die neuen Seelen doch selbst rausfinden, was mit ihnen passiert ist und wo sie waren. Dafür hatten sie ja jetzt eine Ewigkeit Zeit.

Immerhin war sie so darum herum gekommen, Lucius zu beichten, dass sie ein Kind erwartete. Selbst wenn sie sich nicht zerstritten hätte, sofern man das so nennen konnte, wäre das ein unüberbrückbares Hindernis für ihre Beziehung geworden. Er hätte ihr niemals geglaubt, dass sie ihn nicht betrogen hatte. Aber das hatte sie nicht. Wie durch ein Wunder musste das Ritual umgangen worden sein. Aber wie? Sie selbst hatte es lange studiert und war zu keiner Lösung gekommen, die nicht mit Muggel-Medizin zu tun hatte.

Das alles war ja nun hinfällig. Lucius würde nie hiervon erfahren und selbst wenn, würde es ihn vermutlich nur in seiner Abneigung bestätigen. Warum dachte sie überhaupt noch darüber nach? Erlöste der Tod seine Opfer nicht einmal von den Gedanken, die sie quälten? War sie dazu verdammt, den Rest der Zeit über ihr vergangenes Leben zu grübeln? Darauf hatte sie definitiv keine Lust.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt