07. August 2008 - Unterschlupf

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Er hatte erst Draco, dann Ron und eine junge Frau aus dem Fenster blicken sehen, aus dem er selbst nur wenige Momente zuvor geflohen war. Die Frau war auch ein Mitglied des Rudels gewesen, soweit war er sich sicher, an ihren Namen konnte er sich gerade nicht erinnern. Der war auch unwichtig. Was ihn beunruhigte war, dass sein Sohn sich wieder mit einer alten Weggefährtin abgab, nur wenige Tage, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war. Und was hatte Weasley bei den beiden zu suchen? Hatte er am Ende etwas mit der Entführung zu tun? Lucius hatte nie daran geglaubt, dass die Gefühle dieses Versagers für seine Exfreundin jemals aufgehört hatten. Und als Lucius aus dem Weg war, hatte er die Gunst der Stunde genutzt. Draco hätte ihm sicher gerne geholfen, Hermine war ihm ohne Zweifel ein Dorn im Auge.

Er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren und er hatte nun, was er brauchte, um seine Frau aufzuspüren. Vorsichtig holte er seinen Ehering aus der Brusttasche seines Hemdes, fast als ob ihm das Metall jeden Moment einen Schlag verpassen könnte.
Tatsächlich durchzuckte ihn etwas, als er den Ring an den Finger steckte, aber es war kein Schock, sondern eine Erinnerung. Er sah, wie seine strahlende Braut auf ihn zu schritt, wie er den Schleier von ihrem Gesicht nahm und sie ihn nervös anlächelte, bis er ihre Hand nahm und sie sich sofort entspannte. Er fühlte noch einmal, wie er nicht nur dazu bereit war, nein, wie er sich nichts anderes vorstellen konnte, als den Rest seines Lebens an diese wunderbare Hexe gebunden zu sein. Wie er sich endlich ganz fühlte, als sie neben ihm stand.

Ärgerlich rief er seine Gedanken zur Ordnung. Das half ihm jetzt nicht weiter. Er schloss die Augen und drehte den Ring an seinem Finger dreimal gegen den Uhrzeigersinn. Vor seinem inneren Auge formte sich sofort ein Bild. Hermine trug ihren Ring also noch, wo auch immer sie war. Paranoid und ängstlich wie er war, hatte er die beiden Eheringe heimlich mit einem Zauber belegt, der es ihm ermöglichte, zu sehen, wo sie sich aufhielt. Nicht aus Misstrauen ihr gegenüber, sondern weil er befürchtete, dass sie ihm ein weiteres Mal entrissen werden könnte. Wie es nun auch geschehen war.

Lucius sah viele Farben, die in ständiger Bewegung und seltsam gekrümmt waren, als betrachte er sie durch ein Fischauge. Hermine konnte er aber nirgends entdecken. Das war seltsam. Sie musste körperlich dort sein, denn der Zauber wirkte nur, wenn sich die Ringe an ihren Fingern befanden, und gab dann einen Einblick in die Umgebung, in der sich der Träger befand. Nein, das würde ihm so nicht weiter helfen. Er musste versuchen, in ihren Geist vorzudringen. Vielleicht konnte er so mehr darüber herausfinden, was mit ihr geschehen war. Eigentlich hatte er das vermeiden wollen. Er war sich nicht sicher, was er dort vorfinden würde, und außerdem war das Eindringen in den Geist eines anderen Menschen ein großer Vertrauensbruch. Nach einem tiefen Atemzug tauchte er dennoch in die Gedankenwelt ein. Er raste an vielen Stimmen und Bildern vorbei, die ihn nicht interessierten und erreichte kurz darauf eine rot pulsierende Kugel, die sein Ziel war. Ohne Zeit zu verlieren, tauchte er ein und fand sich in einem Wirrwarr wieder, das er in dieser Form noch nie gesehen hatte. Normalerweise war jeder Kopf auf seine ganz individuelle Weise sortiert und geordnet. Manche verwendeten dabei eine Art Schubladensystem, andere ein Labyrinth aus vielen hohen Regalen, in dem nur sie sich zurechtfanden und das gleichzeitig zur Abschreckung von Eindringlingen wie ihm dienen sollte. Einfacher gestrickte Zauberer legten alle ihre Gedanken einfach auf Haufen ab und taten sich dann schwer, etwas spezielles wieder zu finden. Cornelius Fudge zum Beispiel hatte seinen Geist in Aktenschränken sortiert und dabei manche mit schweren Vorhängeschlössern gesichert, damit ja keiner der darin festgehaltenen Gedanken herauskommen konnte. Dadurch war es Lucius und den anderen Todessern damals ein Leichtes gewesen, ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Er hatte sich schlichtweg geweigert, die Bedrohung zu sehen.
Bei Hermine hätte er eigentlich etwas ähnliches erwartet: eine fein säuberliche Ordnung, Zauber, Erinnerungen und anderes nützliches Wissen jederzeit zugriffsbereit, vielleicht in Form einer schier endlosen Bibliothek. In etwa so, wie es bei ihm aussah. Doch das hier war das größte Wirrwarr, das ihm jemals in einem Kopf begegnet war. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass sie nicht wirklich sie selbst war, dass etwas ihren Verstand vernebelte und dadurch auch ihm den Zugriff verwehrte. Er bemühte sich, wenigstens ein paar Fetzen aufzufangen, denn ab und zu schwirrte ein klarer Gedanke an ihm vorbei, der in dem Dunst wie verloren wirkte. Es dauerte nicht lange, bis er die wenigen brauchbaren Informationen aufgesogen hatte. Wie in einem Denkarium öffnete sich ihm die Welt, wie sie sich Hermine präsentiert hatte. Er sah sich selbst, wie er drohend über ihr stand, sah Weasley, der sie mit diesem idiotischen Hundeblick anschmachtete, sah das Chaos, das er selbst in Malfoy Manor verursacht hatte, das Porträt seiner Mutter, wieder sich selbst, wie er mit wutverzerrtem Gesicht im Besucherraum Azkabans saß, sah Draco, der widerwillig Hermines Hand ergriff, sah eine Phiole, deren Inhalt sich klärte, sah einen roten Lichtblitz aus der Baumkrone herab schießen und danach nur noch Nebel.

Schwer atmend zog er sich aus ihrem Verstand zurück. Weasley, diese kleine Ratte. Er hatte es geahnt. Dieser Wicht hatte nicht lange gewartet, bis er es wieder bei Hermine versucht hatte. Lucius schlug mit voller Wucht auf den klapprigen Schreibtisch, über den er sich gebeugt hatte. Der konnte was erleben. Wahrscheinlich hatte er sie irgendwie betäubt und hielt sie jetzt gefangen. Er war blind vor Eifersucht, die auf einmal in geballter Form aus ihm herausbrach. Hermine gehörte zu ihm und er würde sie sich nicht wegnehmen lassen. Schon gar nicht von diesem rothaarigen Schwachkopf.

Er hielt einen Moment inne. Was war los mit ihm? Eifersucht? Wirklich? Nein. Das war nicht möglich. Gerade erst hatte er sich damit abgefunden, dass er Respekt für Hermine empfand, für sie und vor dem Leben, das sie geführt hatten. Aber Eifersucht? Auf gar keinen Fall. Das war nicht möglich, wiederholte er in seinem Geiste, und außerdem nicht hilfreich, denn ein solches Gefühl vernebelte den Verstand und würde ihm bei seiner Suche nicht helfen. Also weg damit. Lucius bemühte sich, die unwillkommenen Gedanken beiseite zu lassen und sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Er rekapitulierte das, was er gesehen hatte, wobei er Weasley beflissentlich ignorierte, denn es gab ja doch keinen Grund, ihn ernsthaft zu verdächtigen.

Der rote Lichtblitz konnte in diesem Zusammenhang nur ein Schockzauber gewesen sein. Hermine hatte den Angreifer offenbar selbst nicht erkannt. Was enttäuschend war, aber immerhin hatte Lucius gesehen, dass jemand den Fluch aus dem Geäst abgegeben hatte. Wenn er Glück hatte, fand er dort oben einen Hinweis. Also zurück, dachte er seufzend und machte sich schon bereit zum Apparieren, doch er zögerte. Draco und die anderen beiden hätten ihn vorhin beinahe erwischt. Vielleicht suchten sie noch nach ihm oder einem Eindringling. Es wäre nicht klug, sich von ihnen entdecken zu lassen, daher sollte er noch etwas warten. Er ließ sich zurück in seinen Stuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war an der Zeit, über einiges nachzudenken.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt