12. August 2008 - Zaubererfriedhof

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Es war ein warmer Sommertag und die Vögel zwitscherten in den knorrigen Bäumen, die auf dem alten Zaubererfriedhof über die Gräber wachten. Ihr fröhlicher Gesang spiegelte so gar nicht die gedrückte Stimmung wider, die unter den Trauernden herrschte. Sie hatten sich um einen neuen Grabstein versammelt, der im Gegensatz zu den verwitterten um ihn herum beinahe strahlte. Neben dem Geburts- und dem Sterbedatum stand nur „Lucius Malfoy" darauf. Hermine hatte mit Dracos Zustimmung entschieden, auf den zweiten Vornamen zu verzichten, um ihn im Tod von seinem Vater Abraxas zu befreien. Eine ganze Menge Leute war gekommen - viele Schüler und deren Eltern, das gesamte Kollegium, Hagrid, alle Weasleys, Andromeda Tonks und Teddy Lupin, Paul und Will, der wie einige andere endlich Frieden mit Lucius geschlossen hatte, als er von dessen Heldentat gehört hatte, die Potters, Hermines Eltern und ein paar Schaulustige, die irgendwie von dieser Trauerfeier Wind bekommen hatten und ihre Neugier nicht im Zaum halten konnten. Hermine war es gleich, sollten sie zusehen, wenn sie wollten. Sie nahm von ihrer Umwelt ohnehin kaum etwas wahr. Draco dagegen fühlte sich unwohl. Es gefiel ihm nicht, wie einige der Zauberer starrten und tuschelten, und er fühlte sich fehl am Platz. Ja, es war die Beisetzung seines Vaters, also hatte er wie kaum jemand hier das Recht, daran teilzunehmen, aber er kam sich vor wie ein Fremdkörper. Der alte Zauberer, der eine viel zu beweihräuchernde Trauerrede gehalten hatte, war gerade fertig geworden und die Menschentraube löste sich mehr und mehr auf. Die Leute kamen zu Hermine und sprachen ihr ihr Beileid aus. Für ihn hatten sie dagegen nur einen schnellen und meist peinlich berührten Blick übrig. Er wäre lieber weit hinten gestanden oder am besten erst dann gekommen, wenn schon alle anderen gegangen waren, aber Hermine hatte darauf bestanden, ihn bei sich zu haben. Und obwohl er ihr nichts mehr schuldig war und sein Leben nach seinem Gusto leben könnte, hatte er es ihr nicht abschlagen können. Irgendwie gehörten sie jetzt zusammen. Bisher wusste außer ihm noch niemand von dem Kind, das sie erwartete. Und auch wenn er sich noch nicht ganz an den Gedanken gewöhnt hatte, würde er in einigen Monaten ein großer Bruder sein. Halbbruder, ja und vermutlich würde er aufgrund des Altersunterschieds lieber Onkel genannt werden, aber dennoch - er hatte bald wieder so etwas wie eine Familie.

Vor dem Grabstein lagen bereits viele Blumenkränze, die die Teilnehmer der Trauerfeier zu Lucius Ehren beschworen hatten, und noch immer materialisierten sich weitere. Neben einem besonders schönen Exemplar aus rotem Klatschmohn von Hermines Eltern lag eine große, gefleckte Feder. Teddy Lupin hatte sie dort vorsichtig drapiert, damit sie keine Knicke bekam und nicht von den vielen Blumen verdeckt wurde. Hermine lächelte ihn an. Sie und Lucius hatten ihm zum Geburtstag einen jungen Uhu geschenkt und sie war sich sicher, dass die Feder von diesem Tier stammte. In den alten Zaubererfamilien war es üblich, einem Kind zum 10. Geburtstag das Tier zu schenken, das es ein Jahr später in die Schule begleiten würde. So sollten sie genügend Zeit haben, um sich anzufreunden und sich aneinander zu gewöhnen.

„... jederzeit bei uns willkommen, das weißt du ja", sagte Molly und holte Hermine aus ihren Gedanken.

„Ja. Ich danke dir", antwortete sie monoton. Sie hatte kaum einen guten Wunsch der anderen Hexen und Zauberer wahrgenommen.


Ron stand bei Harry, Ginny und deren beiden Söhnen. Er hatte Hermine am Tag ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus besucht und ihr ein kleines Päckchen überreicht. Darin hatte ein Erinnerungsalbum gelegen, ein absoluter Verkaufsschlager aus seinem Laden. Sie selbst hatte George damals auf die Idee gebracht, denn sie hatte davon geträumt, dass er Gegenstände verkaufte, an die Erinnerungen gebunden werden konnten. Sie hatte damals von einem Spiegel geträumt, der den Betrachter mit Fred-typischen frechen Sprüchen beleidigte. Das Album war nun das neueste Produkt dieser Kollektion und wurde von den Hinterbliebenen wie ein Denkarium mit ausgewählten silbernen Erinnerungsfäden gefüllt, die sich dann entweder als Bilder oder Szenen auf den Seiten des Albums verteilten. Sie hatte schon damit begonnen und die ersten Seiten mit ihren liebsten und wertvollsten Erinnerungen geschmückt. Sogar Gerüche oder die Stimme ließ sich auf diese Weise einfangen. Wenn sie das Buch nun aufschlug, würde sie als erstes seinen Duft wahrnehmen und ihn dann sehen, wie er sie in der Nocturngasse angrinste. Der Anblick hatte sich eigentlich vor ihrem inneren Auge eingebrannt, doch so war es auch wieder für die äußeren sichtbar - das schwarze, leger geöffnete Hemd, die helle Hose und der verschmitzte Gesichtsausdruck, weil er sie dabei erwischt hatte, wie sie sich in einem Schaufenster frisch machte. Es war ihr erstes richtiges Treffen gewesen, nicht zufällig oder geträumt, sondern wirklich und geplant. Damals hatte es begonnen und egal, wieviel Schmerz es ihr bereitet hatte, sie würde es um Nichts in der Welt missen wollen.

Ginny Geburtstag tags zuvor war dieses Jahr ausgefallen. Hermine hatte sich vor ein paar Tagen noch mit Ron darüber unterhalten, wie mies die Stimmung an diesem Festtag werden würde, da Harry Lucius nach Azkaban gebracht hatte. Was würde sie dafür geben, dass es so gekommen wäre. Ginny hatte eigentlich die Trauerrede halten wollen, doch ihr Mann hatte sie davon abgebracht. Wenn Hermine sich die hochschwangere Hexe so ansah, die tränenüberströmt von ihrem Bruder im Arm gehalten werden musste, verstand sie auch, warum. Die anderen Weasleys umarmten Hermine und gesellten sich dann zu einer größeren Gruppe, die sich noch im Blinden Troll treffen würde. Sie selbst hatte ihre engsten Freunde und die Familie dazu geladen, da sie es als ihre Pflicht angesehen hatte, doch inzwischen bereute sie es. Sie wollte eigentlich einfach nur ihre Ruhe.

Andromeda Tonks kam auf sie zu und sprach ihr ihr Beileid aus:„Es war so schön, euch zusammen zu sehen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man geliebte Menschen verliert. Es tut mir unendlich leid für dich", sagte sie, „und für dich natürlich auch, mein Junge", fügte sie hinzu und war damit die erste, die wirklich Notiz von Draco zu nehmen schien.

Sie ging zu ihm und nahm ihn in den Arm. Er war vollkommen überrascht. Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet, denn er hatte bisher nie auch nur ein Wort mit seiner Tante gewechselt. Seine Tante. Er hatte vollkommen vergessen, dass sie auch eine Schwester seiner Mutter war. Ganz im Gegensatz zu Bellatrix strömte sie eine einnehmende Freundlichkeit und Wärme aus und er fühlte sich sofort geborgen. Teddy, dessen Haare passend zum Anlass pechschwarz und zahm waren, streckte Draco schüchtern die Hand entgegen.

„Das ist dein Cousin Draco, er ist auch ein Werwolf, genau wie dein Papa einer war."

Das Gesicht des Jungen hellte sich auf. „Wirklich? Ich habe noch nie einen echten Werwolf getroffen. Darf ich dich etwas fragen? Tut es weh, wenn..."

Seine Großmutter legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu unterbrechen. „Nicht jetzt, Schatz. Wir sehen uns bestimmt bald wieder. Du kommst uns doch ganz bald einmal besuchen, mein Junge? Du darfst dich nicht verkriechen, hörst du? Das hat noch nie jemandem gut getan."

„Andromeda, begleitest du mich einen Moment?", fragte Molly, die eben zurückgekommen war und entschuldigend in die Runde blickte. Sie hielt einen Wildblumenstrauß in der Hand.

„Was ist?"

„Ich möchte den hier auf Joans Grab legen."

„Joan?", fragte Andromeda überrascht, „Bitte entschuldigt uns, ihr beiden. Passt auf euch auf, ja?"

Sie und Teddy folgten Molly in einen anderen Teil des Friedhofs und die drei verschwanden aus ihrem Blickfeld. Hermines Eltern, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, kamen nun zu ihnen.

„Bald hast du es überstanden, meine Kleine", sagte ihr Vater zu ihr und an Draco gerichtet, „wir kennen uns noch nicht. Ich bin Robert und das ist meine Frau Elisa. Wir sind Hermines Eltern."

„Ich weiß. Ich habe Sie schon einmal in der Winkelgasse getroffen, vor vielen Jahren."

„Das ist Lucius Sohn", klärte Hermine auf.

„Oh, aber natürlich. Bitte entschuldige. Ich hätte dich sofort erkennen sollen, du siehst deinem Vater sehr ähnlich. Mein herzlichstes Beileid."

„Danke."

„Der Verlust muss sehr schwer für dich sein", sagte Mrs. Granger. „Dein Vater war noch nicht alt genug, um von uns zu gehen."

„Er hat uns zwei Mal unser Mädchen wieder gebracht, dafür werden wir ihm immer dankbar sein", sagte Mr. Granger und drückte seine Tochter fest an sich.

„Geht schonmal vor, wir treffen gleich uns draußen vor dem Tor."

Hermine wollte wenigstens einen Moment der Ruhe haben, bevor sie mit ihren Eltern in den Blinden Troll aufbrach. Sie würde mit ihnen Seit-an-Seit dorthin apparieren, was immer ein riesiges Erlebnis für die beiden Muggel war.

Als sie und Draco allein vor dem Grab standen, schwiegen sie eine ganze Weile, jeder in seine eigenen Erinnerungen und Gedanken vertieft.

„Denkst du, er wird als Geist wiederkommen?", fragte er schließlich.

„Nein. Ich denke, er hatte letztlich mit dem Leben abgeschlossen und will seinen Frieden."

Er nickte: „Ich denke auch, dass er weitergegangen ist. Es ist nur... Ich vermisse ihn."

„Ich weiß. Ich auch."

Hermine hakte sich bei Draco ein und so verließen sie den Friedhof. Sie wussten nicht, was die Zukunft bringen würde, waren noch weit davon entfernt, richtige Freunde zu sein, und doch - sie hatten nun einander, um gemeinsam allein zu sein, um gemeinsam zu trauern, um gemeinsam in ein neues Leben zu starten. Und um bald ein ganz neues Leben in dieser verrückten Welt willkommen zu heißen. Das Ende einer ungeheuerlichen und unglaublichen Reise hatte sie schließlich an diesen Ort namens Familie gebracht.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt