07. August 2008 - Cottage an der Küste

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Ron und Susan beobachteten Draco, der fluchend im Wohnzimmer auf und ab lief. Er hatte in der letzten halben Stunde nicht mit ihnen geredet, sondern nur leise vor sich hin gemurmelt. Etwas stimmte nicht, passte nicht zusammen, sollte ihm auffallen, das jedenfalls sagte ihm dieses unbestimmte Gefühl, das ihn beschlichen hatte, seit er der Spur seines Vaters bis zum Hügel hinauf gefolgt war. Abgesehen davon, dass der in Azkaban sitzen und nicht frei herumlaufen sollte, natürlich. Nein, das war es nicht. Es war etwas anderes, etwas das nicht hätte sein dürfen, etwas...

„Hat noch jemand so einen Kohldampf?", fragte da Weasley plump.

Draco wurde dadurch aus seinen Grübeleien gerissen und funkelte den anderen wütend an: „Hast du gerade nichts anderes im Kopf? Man sollte meinen, dass ihr beide euch mindestens genauso viele Gedanken darüber machen solltet, was mit der Granger passiert ist. Immerhin wart ihr beide mit ihr befreundet, oder?"

Ron lief leicht rosa an und blickte verlegen auf den Boden, etwas Unverständliches nuschelnd. Susan dagegen beobachtete Draco noch genauso nachdenklich, wie sie es die ganze Zeit getan hatte. Irgendetwas schien in ihr zu arbeiten, das konnte man förmlich sehen, doch sie schwieg weiterhin.

„Wisst ihr was? Es ist besser, ihr verschwindet jetzt von hier. Ihr seid mir keine große Hilfe und ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ihr hier herum hockt und mich anglotzt", keifte Draco und wies mit dem Finger in Richtung Flur.

Beinahe erleichtert sprang Ron auf und ging hinaus, während Susan noch einen Moment zu zögern schien. Vielleicht hoffte sie, dass Draco sie zurückhalten würde, sobald Weasley verschwunden war, doch das tat er nicht. Er war vorhin seltsam froh gewesen, als sie durch den Besucher unterbrochen worden waren, denn er hatte sich zunehmend unwohl gefühlt. Ja, er musste sich eingestehen, er mochte Susan, sie war nett, sie hatten beide einiges zusammen durchgemacht und sie war durchaus hübsch, aber die Situation war irgendwie unbehaglich gewesen. Wahrscheinlich war er menschliche Nähe einfach nicht mehr gewohnt.

Er hatte beobachtet, wie die beiden kurz nacheinander disappariert waren und sich die nächsten Stunden mit seinen Gedanken beschäftigt. Einmal war er hinauf ins Schlafzimmer gegangen, wo sein Vater ja vermutlich etwas gesucht hatte. Es wirkte unberührt und der Geruchsfaden bestätigte ihm, dass Lucius nur dort am Fenster gestanden hatte. Draco hatte sich dort umgesehen, doch nichts Auffälliges gefunden. Das einzige, was ihm dabei ins Auge gefallen war, war ein gerahmtes Foto, das die beiden scheinbar am Tag ihrer Hochzeit zeigte, denn Hermine trug ein elegantes Brautkleid und Lucius einen feinen Zwirn. Sie lag jedoch eingerollt auf dem Boden, ruhig atmend, als ob sie sich in einem tiefen Schlaf befand. Ihr Kopf ruhte in seinem Schoß und er strich ihr sanft über das Haar. Es hatte friedlich gewirkt und ihn doch tieftraurig gestimmt, was ihn selbst am meisten überraschte.

Es war inzwischen schon Nachmittag, als er sich dazu entschloss, noch einmal zum Hügel hinauf zu gehen. Vielleicht kam ihm ja dort die Erkenntnis, was ihn das letzte Mal gestört hatte. Beedy werkelte mit betrübter Miene im Gemüsegarten und schniefte deutlich hörbar, als er an ihr vorbeiging. Sie wollte vermutlich mit ihm reden und ihren Kummer mitteilen, aber dafür hatte er gerade absolut keinen Nerv. Dass die Hauselfe überhaupt so aktiv am Alltag teilnahm und nicht nur Anweisungen ausführte, war ohnehin neu und ungewohnt für ihn. Er erinnerte sich da an ganz andere Zeiten.

Der Baum wog ganz sanft im lauen Sommerwind und strahlte Ruhe und Friedlichkeit aus. Draco konnte verstehen, warum man einen Ort wie diesen gerne immer wieder aufsuchte. Man fühlte sich automatisch etwas leichter und die Sorgen wurden kleiner. Seufzend sank er zwischen zwei großen Wurzeln auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen denn massiven Stamm. Genau hier hatte Hermine gesessen, als man sie angegriffen hatte. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Wolfssinne, die scharfen Ohren und die feine Nase.

Und auf einmal nahm er die Welt ganz anders wahr. Gerüche und Geräusche, die gerade noch einfach ein Teil des großen Ganzen gewesen waren, fest ineinander verwoben und kaum voneinander trennbar, präsentierten sich nun vor seinem inneren Auge als einzelne Geruchsfäden und Töne. Er konnte hören, wie Grashalme aneinander rieben und dadurch leise, zarte Melodien erzeugten. Er konnte jedem Blatt lauschen, das sich durch den Wind aufbauschte und wieder entspannte. Er folgte mit den Ohren dem Pfad der Ameisen, die einen Meter entfernt von ihm in Richtung des Baumes und daran hinauf marschierten. Er konnte riechen, was sie dabei mit sich trugen, Honigtau, den zerlegten Panzer eines unglücklichen Käfers, Pilze und Veilchensamen. Er roch das Salz der Gischt unten am Fuß der Klippe und die Kreide der Felsen, die vier Möwen, die dort oben über dem Wasser kreisten, und den Fisch, um den sie sich stritten. Diese und andere Bilder strömten sofort auf ihn ein und machten es ihm schwer, die darunter liegenden, schwächeren, beinahe verblassten Gerüche zu erkennen. Er konnte beim besten Willen nichts anderes erschnüffeln, als das, was er schon vor ein paar Stunden erkannt hatte. Ron, Susan, Beedy...

Und dann war da plötzlich noch etwas anderes. Noch ein Stück entfernt, aber für seine Nase ohne Probleme wahrnehmbar. Er konnte auch deutlich die Schritte hören, die sich von der dem Haus abgewandten Seite des Hügels näherten. Schnell, um nicht seinerseits entdeckt zu werden, tippte er sich mit dem Zauberstab auf den Kopf und wirkte den Desillusionierungszauber. Obwohl er seit langem nicht mehr gezaubert hatte, gelang es ihm auf Anhieb. Seine zwischen die Wurzeln gekauerte Gestalt verschmolz mit dem Hintergrund und war für einen flüchtigen Blick unsichtbar geworden. Vorsichtig spähte er um den Stamm herum, in der sicheren Erwartung, seinen Vater dort zu sehen, doch da war nichts. Mit geöffneten Augen verschwand der Geruchsfaden und die Geräusche der Welt verwoben sich wieder zu einem Ganzen. Draco schloss die Augen und da war er, ganz deutlich, nur wenige Meter von ihm entfernt.

„Finite!", rief er und zielte blind auf den Ort, an dem sein Vater sein musste, doch nichts geschah.

Das konnte doch nicht sein, seine Sinne konnten ihn nicht so sehr betrügen, oder? Während er noch an sich zweifelte, hörte er ein Zischen und spürte, wie der Zauber von ihm abfiel und er wieder sichtbar wurde. Idiot, verfluchte Draco sich selbst, denn er hatte durch seinen Zauber seinen Standort preisgegeben und nicht auf sein unsichtbares Gegenüber geachtet.

„Vater", sagte er trocken und umklammerte seinen Zauberstab unwillkürlich ein bisschen fester, als Lucius endlich in seinem Blickfeld erschien, einen fließenden Umhang von seinen Schultern ziehend.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt