08. August 2008 - Halbmond - Cottage an der Küste

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Beedy hatte sofort verstanden, dass Draco lieber in Ruhe gelassen werden wollte, und ihm daher nur eine dampfende Tasse heißen Kakaos auf sein Zimmer gebracht und sich gleich wieder zurückgezogen. Er wusste nicht, ob Potter noch geblieben war, um sie über das Geschehene zu informieren, es war ihm auch egal. Irgendwie war ihm gerade alles egal. Es war nicht so, dass sein Leben vor ein paar Tagen in Ordnung gewesen wäre, das war es schon lange nicht mehr. Aber er hätte nicht erwartet, dass es noch weiter den Bach runter gehen würde. Er verspürte keinerlei Hoffnung, wenn er an seinen Vater dachte. Der kurze Blick, den er auf ihn erhaschen konnte, bevor er von den Heilern fortgebracht worden war, hatte vollkommen gereicht. Der versehrte Körper auf der Bare und ihre besorgten Mienen hatten Bände gesprochen. Seine Nacht war daher kaum erholsam gewesen. Immer wieder war er aufgewacht - mit Sorgen, die seinen Magen verkrampften. Als er am Morgen in die Küche gehen wollte, kam ihm bereits auf der Treppe die nervöse Hauselfe entgegen. Sie hielt einen kleinen schwarzen Umschlag in der Hand. Er musste ihn eigentlich nicht öffnen, um zu wissen, was darin geschrieben stand.

„Sehr geehrter Mister Malfoy,

wir bedauern sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Vater heute Nacht von uns gegangen ist."

Der Rest der Nachricht verschwamm in seinen Tränen und er ließ sich von Beedy hinunter führen und sanft auf einen Stuhl drücken. Er war allein. Endgültig allein. Er hatte keine Familie mehr, die Wert auf seine Existenz legte, keine Freunde, niemanden. Die alte Hauselfe tätschelte ihm mitfühlend die Hand, während sie selbst leise schluchzte. So würde sein Leben aussehen. Allein mit Beedy. Da ließ der Wahnsinn sicher nicht lange auf sich warten.

Es klopfte. Keiner von ihnen reagierte. Besuch konnten sie gerade gar nicht gebrauchen.

Es klopfte erneut, lauter diesmal. Beedy seufzte und ging zur Tür. Ihre elfischen Pflichten erlaubten es ihr vermutlich nicht, einen Besucher einfach zu ignorieren. Als sie wiederkam, hatte sie gleich drei Personen im Schlepptau, an deren Anwesenheit er sich inzwischen beinahe gewöhnt hatte.

„Hallo Draco", sagte Ginny und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. Mit belegter Stimme fügte zu sie hinzu: „Es tut mir so leid."

Zu seiner Überraschung sah er, dass sie Tränen in den Augen hatte. Potter und Weasley standen betroffen drein blickend im Hintergrund und schienen unentschlossen, was sie tun sollten.

„Woher wisst ihr, dass", Dracos Stimme brach ab. Er konnte es nicht aussprechen. Wenn er es einfach nicht sagte, dann war es vielleicht nur in seinem Kopf und nicht in der echten Welt passiert.

„Ron war heute früh im Krankenhaus, um nach Hermine zu sehen, bevor er den Laden aufschließen wollte", antwortete Ginny leise, „er kam gleich zu uns und ich dachte, du möchtest vielleicht etwas Gesellschaft haben. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst."

„Ich brauche euer Mitleid nicht."

„Das ist kein Mitleid, sondern Mitgefühl, Draco."

Er hatte einen Kloß im Hals. Einerseits traute er keinem von ihnen so richtig über den Weg, dafür war sein bisheriges Leben zu sehr von Verrat und Hinterlist geprägt gewesen, andererseits war er seltsam froh, dass sie da waren. Selbst Potter.

„Wie geht es der Granger?", fragte er und versuchte, dabei so beiläufig wie möglich zu klingen, was ihm allerdings nicht wirklich gelang.

„Sie waren vorhin gerade damit fertig, ihre Form wieder zu reparieren und wollen so in einer Stunde die Rückverwandlung wagen", antwortete Weasley.

„Und wie stehen die Chancen?"

„Die Beschädigung war wohl ziemlich tief..."

„Also nicht gut."

„Nein", die drei schüttelten den Kopf. „Nein, nicht besonders gut."

Potter setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl und sah ihm fest in die Augen: „Du musst auf der Hut sein."

„Auf der Hut? Ich? Warum das denn?", fragte er und dachte an Susans Warnung. Er wird dich umbringen.

Endlich legte Potter seine Karten auf den Tisch und weihte ihn und die anderen in den Stand seiner Ermittlungen ein.

„Ihr habt inzwischen alle mitbekommen, dass es einen Mord in Azkaban gegeben hat. Amando Witherfork, oder der Großmeister, wie ihn das Rudel nennt", sagte er in Dracos Richtung, „wurde in seiner Zelle mit einem Dolch getötet. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn fast ausbluten lassen. Abgesehen von der Tatwaffe und der Leiche war die Zelle leer, keine Spuren, keine Hinweise auf den Täter. Witherfork war ein Hochsicherheitsgefangener, es gab also spezielle Zauber, die ihn und seine Zelle zusätzlich eindämmten, die nur jemand von Innen aufheben konnte. Die Magieunterdrückung wirkt auch für Besucher, nur die Wachen tragen Amulette, die ihnen das Zaubern ermöglichen. Allerdings waren zum Zeitpunkt des Mordes alle Wachen nachweislich auf ihren Posten oder mit Besuchern unterwegs. Die einzige Möglichkeit war also, dass einer der Wachleute mit einem Komplizen gehandelt hat. Und siehe da, auf der Besucherliste des Tages stand unter anderem der Name Caroline Mayhem. Sie ist die Frau von Frank Mayhem, einem Wachmann. Er ist erst seit ein paar Jahren in Azkaban angestellt, davor hat er im Eeylops gearbeitet. Wir haben allerdings keine Verbindung zu Witherfork gefunden und wie gesagt, Spuren gab es keine."

„Tja, ich hätte dir die Verbindung sofort sagen können. John Mayhem war ein Mitglied des Rudels. Ich schätze, er ist der Sohn von diesem Frank?"

„Warum ist er dann nicht in den Unterlagen aufgeführt?", fragte Ginny verwundert.

„John ist während eines Kampfes umgekommen. Mein Vater und ein paar Ministeriumszauberer haben das Hauptquartier angegriffen. Ein Schockzauber hat ihn erwischt, er ist aus einem Turmfenster der Ruine gestürzt und war sofort tot. Ich war nicht dabei, aber ich gehe davon aus, dass die anderen nicht viel von ihm übrig gelassen haben... Greyback jedenfalls nicht", sagte Draco mit deutlichem Ekel in der Stimme.

„Und da haben wir unser Motiv", murmelte Ron.

Harry nickte langsam: „Hermine und Lucius waren bei dem Angriff dabei, die anderen Werwölfe haben den Leichnam geschändet und Witherfork war vermutlich derjenige, der John überhaupt erst gebissen hat."

„Ich gehe davon aus. Er hat uns alle gewandelt, bis auf Greyback und Scarface natürlich."

„Hätte ich dich doch gleich befragt. Dann hätte das alles verhindert werden können."

Draco erwiderte zu seiner eigenen Überraschung: „Ich denke nicht. Erstens weiß ich nicht, ob ich zu dem Zeitpunkt mit dir geredet hätte und zweitens stand ich noch unter dem Bann des Großmeisters. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den ganz losgeworden bin."

„Danke, Draco", sagte Harry, sah aber immer noch sehr niedergeschlagen aus.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum Susan daran beteiligt war", sagte Ron.

„Susan und John waren zusammen. Ich denke, dass es für Mayhem dadurch leicht war, sie auf Vater und Hermine anzusetzen. Den Großmeister hat sie sicher nicht getötet, kein Mitglied des Rudels hätte ihm etwas antun können, da bin ich mir sicher. Ich weiß aber inzwischen, dass sie Hermine entführt und verwandelt hat, denn ich habe ihre Spur in der Baumkrone gewittert. Von dort kam der Angriff, das hat Vater herausgefunden. Harry meinte, sie hat einen Unbrechbaren Schwur gebrochen. Ich schätze, Mayhem hat sie schwören lassen, niemandem davon zu erzählen. Am Ende hat sie es uns aber doch gesagt und sich dadurch selbst geopfert. Und jetzt war es vielleicht komplett umsonst."

Er schlug frustriert mit der Faust auf den Tisch. Sie schwiegen betreten, bis Ron sagte: „Verdammt mutig von ihr."

„Sie hätte den Schwur niemals leisten dürfen", sagte Harry.

„Du kannst ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Bis zu seinem Tod stand sie genau wie ich unter dem Einfluss des Großmeisters und war nicht sie selbst."

„Und wie geht es jetzt weiter?", fragte Ginny.

„Jetzt schnappen wir diesen Mistkerl und seine Frau", brummte Harry und stand auf, „kommst du mit uns?"

„Nein", Draco schüttelte den Kopf, „ich habe keine Kraft mehr. Ich brauche eine Pause von alldem hier."

„Natürlich", sagte Ginny und lächelte matt, „es ist sicher bald vorbei und dann kannst du ein neues Leben anfangen."

„Ich denke nicht, dass es so etwas für mich geben wird. Jeder Vollmond wird mich an diesen ganzen Trollmist erinnern", sagte er leise zu sich selbst.

Die drei Besucher verabschiedeten sich und ließen einen nachdenklichen Draco zurück. Er musste den Kopf frei kriegen und schwang sich deswegen kurz darauf auf den glänzend polierten Rennbesen seines Vaters, der jetzt wohl ihm gehörte. Schon als er den Stiel in die Hand nahm, spürte er die Kraft des Besens. Das Holz stand unter Spannung und vibrierte beinahe vor Vorfreude, endlich wieder einen Zauberer in die Luft tragen zu dürfen. Als er sich vom Boden abstieß, wurde er innerhalb kürzester Zeit in die Höhe katapultiert, in einer Geschwindigkeit, die ihm den Kopf schwirren ließ. Er genoss das Gefühl und geriet beinahe in einen Rausch, während er blind immer höher und weiter hinaus aufs offene Meer flog, Loopings drehend und Rollen vollführend. Vermutlich müsste er sich übergeben, sobald er landete, aber das war ihm egal. Er schrie aus Leibeskräften, um der Trauer und der Wut in seinem Herzen Luft zu machen, die vom Rauschen in seinem Kopf unberührt geblieben waren. Und beinahe war er versucht, einfach loszulassen. Er war inzwischen so weit draußen und droben, dass er den Sturz niemals überlebt hätte. Es wäre ein Leichtes gewesen, sich einfach fallen zu lassen, aber er konnte es nicht. Er war nicht mutig genug.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt