07. August 2008 - Aufbruch

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Lucius kauerte sich in die Felsnische, aus der er gerade hervorgekrochen war, und lauschte dem Tosen der harschen Brandung nur wenige Meter unter ihm. Glücklicherweise war es an diesem Tag nicht so stürmisch, wie am Sonntag zuvor, das Meer kam daher nicht an sein Versteck heran und die paar Spritzer der Gischt, die es dann doch zu ihm herauf schafften, störten ihn nicht weiter. Das Treiben der Naturgewalt hier draußen in der Nordsee war so laut, dass er wohl nicht hören würde, wenn sie das große Tor öffneten. Er trug zwar Potters Tarnumhang, aber er traute weder diesem magischen Artefakt noch seinem Herrn und wollte daher eigentlich nicht in Sichtweite der Wachen vordringen. Aber es half ja nichts. Er konnte nicht endgültig von diesem tristen Felsen fliehen, solange er nicht wusste, ob die Magieunterdrückung aufgehoben war, denn wenn er es versuchte, obwohl der Zauber noch aktiv war, würde sofort der Alarm losgehen. Ihm blieb also nur das kleine Zeitfenster, in dem Besucher auf den Vorplatz oder davon weg apparierten und in dem er sich ihnen unbemerkt anschließen konnte.

Vorsichtig und den Tarnumhang fest umklammernd wagte er sich Schritt um Schritt weiter aus seinem Versteck heraus. Die natürlichen Steinstufen waren äußerst rutschig und ein paar Mal hätte er fast sein Gleichgewicht verloren. Gerade als er sich mit klopfendem Herzen mit dem Rücken gegen den Felsen lehnte, spürte er den Fluss der Magie zurück in seinen Körper strömen. Sein Kopf, sein Bauch, seine Fingerspitzen und Zehen waren wieder erfüllt von ihrer alten Kraft und Lucius wusste, ohne sich vergewissern zu müssen, dass seine Chance gekommen war. Mit einem Lächeln disapparierte er und ließ Azkaban unbemerkt hinter sich.

Sekundenbruchteile später tauchte er nur wenige Meter vom Gartentürchen des Cottages an der Küste entfernt auf. Es war niemand hier draußen, der das leise Plopp hätte hören können und da er noch immer den Umhang trug, war er unsichtbar. Außer Beedy und Draco, den Hermine wahrscheinlich hergebracht hatte, sollte eigentlich niemand im Haus sein, doch auch den beiden wollte er sich nicht zeigen. Er traute seinem Sohn nicht und er glaubte nicht daran, dass die Hauselfe ein Geheimnis lange für sich behalten konnte.

Das Schlafzimmerfenster stand einen Spalt breit offen, was Lucius sehr entgegen kam. Er wollte nur schnell das holen, weswegen er gekommen war und dann wieder verschwinden. Je kürzer er hier verweilen musste, desto besser. Er schwang sich in einem Strudel grauer Nebelschwaden hinauf und landete elegant auf dem Boden. Die Kunst des Fliegens war etwas, das er gerne vom Dunklen Lord gelernt hatte und das ihm immer wieder half. Die alten Holzdielen knarzten leise, als er so vorsichtig wie möglich auf ihnen landete. Das Cottage war eben schon viele Jahre alt und es war praktisch unmöglich, sich ganz lautlos darin zu bewegen. Aber das machte nichts, er konnte schließlich einfach stehen bleiben und die Magie den Rest machen lassen. Er brauchte den Zauber gar nicht auszusprechen, der Gedanke allein genügte und schon flog ihm das gewünschte Objekt in die ausgestreckte Hand. Er ließ den Blick über das Zimmer schweifen. So viele Erinnerungen hafteten an den Bildern, den Möbeln, jedem einzelnen Gegenstand, der sich darin befand. Sie waren doch glücklich gewesen, oder? Konnte man überhaupt glücklich sein, wenn man nicht man selbst war? War er denn nicht er selbst gewesen? Vielleicht hatte er ja in den wenigen Jahren mit Hermine zu seinem wahren Ich zurückgefunden, das von falschen Entscheidungen, den Umständen und seiner eigenen Schwäche unterdrückt worden war. Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, doch sein Blick blieb an ihrem Hochzeitsfoto hängen. Es stand auf der Kommode, direkt neben ihm. Hermine lag zusammen gerollt auf dem Boden und er selbst hockte neben ihr, eine ihrer Hände in den seinen haltend. Das war merkwürdig. So verhielt sich normalerweise kein Porträt. Spiegelte es gerade ihre Beziehung zueinander wieder? Er konnte sehen, dass sich der Brustkorb der Porträt-Hermine hob und senkte, sonst gab sie aber keine Regung von sich. Schlief sie? Oder war sie ohnmächtig? Jedenfalls lebte sie noch. Aber eigentlich musste das nichts heißen, denn die Porträts von Verstorbenen „lebten" schließlich auch weiter. War es ein gutes Zeichen, dass er sie an der Hand hielt? Oder trauerte er tief drinnen bereits um sie? Hatte er sie verloren, wie er damals Joan verloren hatte?

Laute Stimmen rissen ihn in die Wirklichkeit zurück. Wer war noch da unten? Hatte man seinen Ausbruch so schnell bemerkt und suchte ihn bereits? Er wollte es lieber nicht herausfinden und stahl sich hastig davon.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt