09. August 2008 - St.-Mungo-Hospital

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Draco hatte unruhig geschlafen. Seine frische Haut spannte unangenehm und der beißende Geruch der Flammen hatte sich so sehr in seine Nase eingebrannt, dass er ihn bisher nicht losgeworden war. Er hatte sich von einer Seite auf die andere gewälzt, wenn die Schmerzen wieder unerträglich waren, ab und an war er doch kurz eingenickt, aber meist sofort wieder hochgeschreckt. Soweit er das beurteilen konnte, war es Hermine nicht anders ergangen.

Sie hatte ihm Leid getan, als sie durch Rons Missverständnis von Lucius Tod erfahren hat. Er selbst war auch unsanft davon unterrichtet worden und konnte verstehen, wie überrumpelt sie sich gefühlt haben musste. Auch wenn man schon etwas Derartiges vermutet, man hofft doch bis zuletzt. Mit dem Tod seines Vaters war nicht nur sein letzter enger Verwandter gestorben, nein, auch die letzte Chance auf Versöhnung, auf Aussprache, auf ein reines Gewissen, auf eine heile Welt, auf Familie, auf bedingungslose Liebe, wie man sie nur von seinen Eltern erfährt - auf so vieles, was er gerne gehabt hätte. Er war nun endgültig allein. Und er erwischte sich bei dem Wunsch, dass Frank mit seinem Vorhaben doch nicht gescheitert wäre. Dass er gestorben wäre. Wofür sollte er schon leben?

Es klopfte und eine junge Hexe trat mit zwei Tabletts herein. Sie ließ die beiden zu ihnen schweben und sagte: „Guten Appetit." Und an Hermine gewandt fügte sie lächelnd hinzu: „Wenn Sie noch saure Gürkchen oder etwas anderes haben wollen, rufen Sie mich einfach."

Draco schaute stirnrunzelnd auf Hermines Teller, auf dem - wie auch auf seinem - gebutterter Toast, Honig und Zitronenmarmelade lagen. Sie folgte seinem Blick und wurde rot.

„Nein!"

„Was?"

Sie versuchte, ihm auszuweichen und begann damit, ihren Toast zu beschmieren. Er konnte ihr Herz jedoch wie wild pochen hören. Vermutlich hätte das sogar jeder Normalsterbliche gemerkt, so laut war es.

„Habt ihr deshalb geheiratet?"

„Was meinst du?"

„Komm schon. Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, was ich meine. Das würde zumindest erklären, warum er diesen Unfug..."

„Dein Vater und ich haben geheiratet, weil wir uns lieben", fiel sie ihm ins Wort, nur um sich selbst gleich wieder zu unterbrechen, „ich meine... Weil wir uns geliebt haben. Weil wir..."

Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Toll gemacht, Draco, schalt er sich selbst. Er stand auf und ging unter Schmerzen zu ihr hinüber. Vorsichtig setzte er sich ans Fußende des Bettes und tätschelte ihr Bein durch die Decke hindurch.

„Ich weiß nicht, was ich machen soll", schluchzte sie, „wie soll es denn jetzt weitergehen?"

Er schwieg einen langen Moment, dann sagte er: „Wenn es um Geld geht..."

„Natürlich geht es nicht um Geld, Draco!", fuhr sie ihn an, „warum sollte es?"

„Naja, ich dachte, dass ich... Aber nein, ich schätze, weil ihr geheiratet habt, bekomme ich gar nichts."

„Du kannst von mir aus alles haben, das ist mir egal. Lucius hat dir ohnehin das Manor und die Hälfte von allem anderen vermacht. Hast du wirklich geglaubt, er enterbt dich?"

„Ich... weiß nicht."

„Natürlich nicht! Bei Merlin, hast du ihn überhaupt gekannt?"

„Ich weiß nicht", wiederholte er, „hast du ihn denn gekannt?"

Hermine sah ihn mit ihren verquollenen Augen an und zuckte ein wenig verloren mit den Schultern: „Ich dachte es zumindest."

„Was hat er dazu gesagt?", er deutete auf ihren Bauch, „Du weißt schon, zu dem Baby."

„Er wusste es nicht", ihre Unterlippe begann wieder zu zittern, „ich weiß es selbst erst ein paar Tage. Und zu dem Zeitpunkt hatte der Zauber seine Wirkung schon verloren und..."

Draco erinnerte sich an das, was sie ihm im Cottage erzählt hatte. Dass Lucius wieder der alte geworden war.

„Hermine", er rückte ein Stück näher und griff nach ihrer Hand, „egal, was zwischen euch vorgefallen ist... Mein Vater hat sich Hals über Kopf in ein Inferno gestürzt, um dich zu finden und zu retten. Er hat dich rausgeholt und hat dabei sein Leben für dich gegeben. Und das hat er nicht getan, weil ein Zauber ihm das befohlen oder ihn manipuliert hat. Er hat das getan, weil er das wollte. Und ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er so etwas nur für seine Familie tun würde. Ich weiß nicht, wie er im ersten Moment auf die frohe Botschaft reagiert hätte. Vermutlich wäre sie ihm nicht besonders froh vorgekommen und er hätte eine Weile gebraucht, um damit klar zu kommen. Aber letztlich hätte er sich gefreut und wäre für dich und das Kind da gewesen. Er hätte es besser gemacht, als bei mir damals, weil er nicht von Angst getrieben worden wäre. Er hätte es geliebt. So wie er dich geliebt hat."

„Danke", sagte sie leise und wischte sich mit der freien Hand die Tränen von der Wange.

Es vergingen einige Stunden, bis am frühen Nachmittag Harry Potter ihnen einen Besuch abstattete. Draco wäre am liebsten aufgestanden und gegangen, um dem Ganzen zu entgehen, doch seine körperliche Verfassung ließ dies leider noch nicht zu. Er hatte sich aber immerhin die aktuelle Ausgabe des Tagespropheten geschnappt und sich dahinter verkrochen. Unweigerlich konnte er so dem Gespräch der beiden folgen, das sich natürlich um die Geschehnisse der letzten Tage drehte. Potter entschuldigte sich immer wieder bei Hermine dafür, dass er Mitschuld an allem trug und umsichtiger hätte vorgehen müssen. Sie beschwichtigte ihn zwar, doch ihr Tonfall ließ kaum Zweifel daran zu, dass sie ihm insgeheim beipflichtete. Sie erzählte ihm von Dracos Gespräch mit Frank und dessen Geständnis, Witherfork nicht getötet zu haben.

„Das kann doch nicht wahr sein", seufzte Potter und sank in sich zusammen, „das wars. Ich bin am Ende. So viel Leid und am Ende stehe ich noch dazu ohne eine Lösung da. Es war alles umsonst."

„Du kriegst den Mörder schon noch, Harry."

„Ach, ich weiß einfach nicht mehr weiter, Hermine. Witherfork ist ein Phantom. Es gibt nichts über ihn. Nirgends. Ich habe keinerlei Anhaltspunkte. Keine Hinweise, gar nichts... Aber bitte entschuldige. Ich sollte dich an einem Tag wie diesem absolut nicht mit so etwas belasten."

„Belaste mich ruhig damit. Es lenkt mich ab. Außerdem", sie stockte, „außerdem habe ich Lucius versprochen, dass ich den wahren Mörder finde."

Draco hatte aufmerksam zugehört. Sein Versuch, das Gespräch zu ignorieren war gescheitert und so konnte er gleich richtig hinhören. Er räusperte sich: „Versuch es mal mit Henry Chabot, Potter."

„Wie bitte?"

Er ließ die Zeitung sinken.

„Henry Chabot. So nannte er sich noch, als wir ihn in Frankreich kennengelernt haben und er mich zu einem Werwolf gemacht hat."

„Chabot... Warum sagt mir der Name etwas?"

„Ich habe ihn noch nie gehört", sagte Hermine und zuckte mit den Schultern.

„Aber natürlich!", rief Harry. Er kramte in seiner Tasche und zog eine Liste heraus. „Hier steht es. Francine und Zacharie Chabot. Sie stehen auf der Besucherliste. Sie waren an dem Tag auch in Azkaban."

„Zacharie?", fragte Hermine, „So hieß doch dieser merkwürdige Junge. Den habe ich ganz vergessen."

Sie erzählte ihnen von dem Kind und seiner Mutter, die sie im Besucherraum Azkabans getroffen hatte.

„Die Frau hat mir noch gesagt, dass der Kleine seine Meinung geändert hat und seinen Onkel doch nicht besuchen will. Ich habe fast eine Viertelstunde auf ihn aufgepasst, weil sie auf Toilette gegangen ist. Zumindest dachte ich das."

„Das muss es sein. Das muss es einfach sein", rief Potter und sprang auf, „Ich muss los und eine Fahndung nach den beiden rausgeben. Danke!"

Als sie wieder allein waren, fragte Hermine vorsichtig: „Was ist damals in Frankreich passiert? Wie bist du verwandelt worden?"

„Warum willst du das wissen?"

„Ich weiß nicht, vielleicht verstehe ich dich dann besser."

„Und warum willst du das?"

„Naja, ich denke, wir sollten anfangen, uns etwas besser kennenzulernen, meinst du nicht?"

Vermutlich hatte sie Recht. Was nützte es auch, sich weiter anzufeinden, wie sie es früher getan hatten. Also begann er zu erzählen, was sich zugetragen hatte, nachdem er und seine Eltern nach Frankreich ins Exil gegangen waren. Er wusste nicht, ob es an Hermine als Person lag oder einfach nur daran, dass ihm jemand zuhörte, doch er merkte mit jedem Satz, den er sprach, dass es ihm besser ging. Es fühlte sich gut an, sich zu öffnen und jemanden an seiner Geschichte teilhaben zu lassen. Er vertraute ihr. Wahrscheinlich, weil sie trotz allem, was er ihr angetan hatte, immer noch gewillt war, freundlich zu ihm zu sein. Das war eine Eigenschaft, die er in seinem Leben noch nicht oft in Menschen entdeckt hatte. Und daran könnte er sich gewöhnen.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt