Es war noch nicht viel los in der Nocturngasse an diesem Sonntagvormittag. Die meisten Läden hatten geschlossen und für das Mittagessen war es noch zu früh. Sie begegnete daher niemandem, als sie sich auf den Weg zum Blinden Troll machte. Der Pub war menschenleer und es dauerte einen Moment, bis der Kobold namens Buck aus einem der Hinterzimmer an die Theke kam. Sie kannte ihn recht gut, Lucius und sie waren häufig in diesem Pub eingekehrt und waren beinahe so etwas wie Stammkunden geworden.
„Na, das ist aber eine Überraschung", grinste er und reichte Hermine seine langfingrige Hand.
„Hallo Buck. Hast du ein Zimmer für mich frei?"
„Klar, für wie lange?"
„Kann ich noch nicht sagen", murmelte sie.
„Mhm", grunzte Buck, der sich sicher schon beim Anblick des Koffers und der Eule seinen Teil gedacht hatte. Er sagte jedoch nichts weiter und nickte in Richtung Treppe: „Zimmer 34, im dritten Stock, das erste rechts."
„Danke", sagte sie und nahm den Schlüssel, den er ihr über den Tresen entgegen schob.
Das Zimmer war überraschend geräumig und rundherum mit dunklem Holz getäfelt. Gleich rechts von der Eingangstür war eine Bank in die Wand eingelassen, daneben stand ein schmaler, hoher Schrank, der den Eindruck erweckte, beim geringsten Luftzug umzukippen. Durch das große Fenster konnte Hermine die vielen verschiedenen Dächer der Winkelgasse und unzählige Schlote sehen. Dahinter ragte die Skyline des Londons der Muggel empor, ein deutlicher Kontrast zur Architektur der Zaubererwelt. Dort erschien alles glatt und glänzend, symmetrisch und penibel geplant. Hier in der Winkelgasse müsste man dagegen lange suchen, um auch nur einen rechten Winkel zu finden. Auch in diesem Raum schienen Decke und der Fußboden nicht direkt übereinander zu liegen, sondern sich zueinander zu neigen. Sie stellte Alvas Käfig auf einer Kommode ab und öffnete ihn und das Fenster, damit die Eule ein paar Runden an der frischen Luft drehen konnte. Hermine ließ sich selbst auf das Bett fallen, das für ihren Geschmack ein wenig zu weich war. Die vier Bettpfosten waren aus geschnitztem Ebenholz und von außen betrachtet schien es so, als ob der dazugehörige Baldachin fehlte, doch als sie nun nach oben in Richtung der Decke blickte, konnte sie dort einen sternenklaren Nachthimmel sehen. Der Stoff war so ähnlich verzaubert, wie die Decke der Großen Halle, nur dass er hier wohl stets ein langsam vorüberziehendes Himmelszelt zeigte. Sie beobachtete das magische Firmament nur für ein paar Augenblicke und spürte schon, wie sie von Müdigkeit übermannt wurde. Sie gab sich dem Gefühl hin und schlummerte bald so tief und fest, dass sie nicht mitbekam, wie Alva mit einem Grashüpfer im Schnabel ins Zimmer geflogen kam und nach einem kurzen Kontrollblick auf den schlafenden Menschen erneut davonzog.
Als es einige Stunden später auf den Abend zu ging und von der Straße laute Stimmen nach oben durch das Fenster drangen, machte sie sich bereit, um zum Essen hinunter zu gehen. Die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen, trat sie an den Tresen und bestellte „toad in the hole" und einen Ingwerwein und setzte sich mit ihrem Getränk in eines der Schlupflöcher, die bisher noch unbesetzt waren. Es war insgesamt wenig Betrieb, doch sie wollte ihre Ruhe haben und diese Logen, in denen jeweils nur ein Tisch und zwei Bänke standen und die durch einen Vorhang vom Rest des Pubs abgeschirmt werden konnten, waren perfekt dafür. Hier konnte sie essen, ohne sich ständig beobachtet zu fühlen, selbst wenn das gar nicht der Fall war. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann brachte schon ein pickliger, junger Bursche einen Teller mit zwei dicken Würsten in einem dampfenden Eierteig und wünschte ihr kurz angebunden einen guten Appetit.
Sie zog den Vorhang zu und begann zu essen. Eigentlich mochte sie dieses typisch englische Gericht nicht besonders, aber heute hatte es sie richtig danach gelüstet. Die wenigen Stimmen waren nur noch gedämpft zu hören und bald nahm sie sie gar nicht mehr wahr. Gerade, als sie die letzte Gabel in den Mund schob, wurden direkt vor ihrem Schlupfloch Stühle gerückt und eine kleine Gruppe setzte sich.
„Hab die alte Ravepott noch nie so außer sich gesehen."
„Ravenport."
„Ich weiß, wie die Vettel heißt, Frank. Danke. Also, was glaubt ihr? Wie haben sie's angestellt?"
„Ich tipp auf Bestechung."
„Bestechung?"
„Jo. Wie sollen'se sonst reingekommen sein? Man kann ja nich gerade einfach rein und raus spazieren, oder?"
„Was soll das heißen, willst du mir sagen, ich hab mich bestechen lassen?"
„Vielleicht, du brauchst doch immer Geld."
„Halt dein dreckiges Maul!"
„Ey, Jungs! Kommt mal runter, sonst schmeißt Buck uns raus."
„Das will ich sehen, wie der laufende halbe Meter mich rausschmeißen will."
„Halt die Luft an, Moe. Wir hatten alle nen Scheißtag. Lass uns einfach in Ruhe unser Butterbier trinken und dann nach Hause gehen."
Eine Weile sagte niemand mehr etwas und Hermine lugte vorsichtig hinter dem Vorhang hervor, um sich einen Eindruck von den Streithähnen zu machen. Es waren drei Männer, die alle übermüdet und erschöpft aussahen. Sie schienen in etwa gleich alt zu sein, sie schätzte, dass sie um die 60 waren. Einer von ihnen hatte einen dicken Schnauzer, in dem nicht wenig Butterbierschaum klebte, und außerdem eine Glatze, auf der sich das tanzende Licht der Kerzen ringsherum spiegelte. Der Mann neben ihm trug eine quadratische Brille und war recht bullig. Der dritte im Bunde saß mit dem Rücken zu Hermine, sodass sie im Gegensatz zu seinen Kollegen sehen konnte, dass er unter dem Tisch seinen Zauberstab umklammert hielt.
Dieser brach schließlich das Schweigen und sagte: „Also ich denk, es war Malfoy."
Der Glatzkopf antwortete: „Senior oder Junior?"
„Sie könnten es zusammen geplant haben."
„Nee", sagte der Mann mit der Brille, „Die haben sich nicht mehr viel zu sagen."
„Könnte Tarnung sein."
„Glaub ich nich. Ich war die ganze Zeit dabei. Der Junge hat dem Alten ins Gesicht gespuckt und ihm hinterher gebrüllt, dass er ihn hasst und er sich zum Höllentroll scheren soll. Ohne die Magieunterdrückung wär das bestimmt übel ausgegangen, das sag ich euch."
„Na gut, wenn Giles sagt, er hat den Besuch überwacht, dann müssen wir das wohl glauben", sagte der Mann mit dem Zauberstab in der Hand mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme.
„Was ist eigentlich dein Problem, Moe?", fragte der Brillenträger namens Giles, „Welcher Gnom hat denn in deinen Garten gepinkelt?"
„Ach, ihr könnt mich alle mal", sagte Moe, trank seinen Humpen aus und stapfte davon.
„Was zum..."
„Lass gut sein", sagte der Schnauzbärtige, der dann wohl Frank hieß, „der kriegt sich schon wieder ein. Was meinst du? Trinken wir noch eins?"
„Nee, Imelda wartet auf mich. Ist vermutlich eh schon total sauer, weil ich noch nicht zu Hause bin."
„Na dann, grüß sie von mir."
„Mach ich! Wir sehen uns morgen. Bis dahin hat sich das Ganze hoffentlich aufgeklärt."
„Jo. Hoffentlich."
Auch Giles verließ den Pub und ließ Frank allein zurück, der bis eben noch einen relativ ruhigen und sympathischen Eindruck gemacht hatte. Er sah seinem Kollegen nach und als er den Blick wieder nach vorne auf den Krug in seiner Hand richtete, hatte er etwas fieses. Hermine konnte nicht direkt sagen, was es war, aber etwas an ihm beunruhigte sie auf einmal. Noch mehr beunruhigte sie, was die drei gesagt hatten. Offensichtlich war in Azkaban etwas passiert und sie glaubte zu wissen, dass es etwas mit Amando Witherfork zu tun hatte. Das würde jedenfalls erklären, warum der hypnokratische Zauber nicht mehr wirkte.
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Lumine III - Feuerprobe
FantasyACHTUNG! Enthält Spoiler zu Lumine I - Dornröschenschlaf und Lumine II - Wolfsbrut. Hermine und Lucius haben allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Beziehung fortgesetzt und sind glücklich zusammen. Doch ihr Glück wird jäh zerstört, als ein Mord geschieh...