03. August 2008 - Malfoy Manor

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Lucius saß im abgedunkelten Salon an seinem Flügel und ließ die Finger wie wild über die Tasten jagen. Das Instrument war über hundert Jahre alt und dürfte heutzutage gar nicht mehr hergestellt werden. Die weißen Tasten hatte man aus den Hörnern von Graphorn-Jungtieren geschnitzt. Es waren nur Tiere geeignet, die auf den Tag genau ein Jahr alt waren, da nur deren Hörner stabil, aber flexibel, groß genug, aber noch nicht schartig und abgenutzt waren. Die schwarzen Tasten bestanden aus den Zacken, die der schwarze Hebride auf seinem Rücken trägt. Es hatte einmal eine ganze Kolonie dieser Drachen auf den Hebriden gegeben, dann hatte man ihren Wert für das Handwerk, die Alchemie und Zauberstabfertigung erkannt, sie gefangen, ihnen ihre wertvolle Rüstung genommen, die Zähne ausgebrochen, ihr Blut in Flaschen gefüllt und ihre Herzen herausgeschnitten. Den Graphörnern war es ähnlich ergangen. Die Hörner dieser Tiere waren besonders begehrt, denn neben ihrer Eignung für Schnitzereien aller Art, waren sie zermahlen und zerstoßen eine mächtige Zutat für Zaubertränke. Ihre Haut ist noch robuster und widerstandsfähiger als die Schuppen der stärksten Drachen und daher beliebt bei allen, die sich vor Angriffen fürchten. Lucius Vorfahren hatten sich schon immer gefürchtet. Vor dem Neid und der Missgunst derjenigen, auf deren Kosten sie lebten. Daher waren die weißen Tasten nicht das einzige aus Graphorn in Malfoy Manor. Die Eingangstür bestand im Inneren aus der Haut von etwa vierzig Tieren. Gebraucht hatten sie diesen Schutz nie, denn die Malfoys hatten sich von jeher denen, die eine ernsthafte Bedrohung für sie darstellen könnten, angeschlossen, bevor es so weit kommen konnte.

Er spielte kein Lied, keine bestimmte Melodie, es klang nicht einmal gut. Vielmehr drosch er einfach mit aller Kraft auf das Instrument ein und genoss die disharmonischen Klänge, die er erzeugte. Seine Wut, seine Enttäuschung, seine Scham spiegelten sich in diesem Lärm wider und nach und nach spürte er, dass er wieder ruhiger wurde. Er verschränkte seine Arme und ließ sie und seinen Kopf schwerfällig auf die Klaviatur fallen. Die vielen dadurch angeschlagenen Töne verklangen allmählich und mit einem Schnipsen seiner Finger öffneten sich die Fensterläden schlagartig und ließen wieder Tageslicht herein. Er wusste nicht genau, wie lange er schon hier war, doch die Zeit im Dunkeln hatte jedenfalls ausgereicht, dass er seine Augen nun einige Sekunden lang vor der Sonne schützen musste. Quälend langsam stand er auf, ließ seine Schultern und den Kopf kreisen, bis es deutlich vernehmbar knackte. Ein ausgiebiges Bad wäre jetzt genau das Richtige, um seine müden Knochen wieder zu beleben. Der Streit mit Draco, Azkaban und dann... diese Sache. Er weigerte sich, auch nur daran zu denken. Mit aller Macht verschloss er seinen Geist vor allen Erinnerungen, die mit dem Schlammblut zu tun hatten. Damit würde er sich irgendwann beschäftigen, aber nicht jetzt, nicht heute.

„Beedy!", rief er. Als keine Antwort kam, hastete er zornig hinaus auf die Galerie und brüllte noch einmal den Namen der Hauselfe: „Beedy!"

Nichts. Natürlich. Sie war nicht mehr an ihn gebunden. Er presste seine Kiefer aufeinander, ballte die Fäuste und trat mit dem Fuß gegen eine steinerne Säule. Das tat weh und verärgerte ihn noch mehr. Früher hätte er seinen Zorn an dem Nächstbesten ausgelassen, das ihm über den Weg lief. Aber heute hatte er sich besser im Griff. Heute atmete er durch und schüttelte die Wut ab. Heute... Neben ihm zerbarst eine Vase. Es war ein Geschenk von Hermines Eltern zur Hochzeit gewesen, eine Antiquität aus Frankreich, die ihm sofort gefallen hatte. Doch jetzt brachte ihn der Gedanke an seine Muggel-Schwiegereltern endgültig zur Weißglut. Er riss den Kronleuchter aus seiner Verankerung, brachte Säulen zum Einsturz, ließ das Treppengeländer schmelzen und schrie sich dabei die Seele aus dem Leib. Schon ein paar Sekunden später stand er keuchend inmitten eines Schlachtfeldes und fühlte sich so befreit, wie lange nicht.

Als bald darauf der heiße Wasserdampf seine Sicht vernebelte und er ein paar Runden durch das Becken gedreht hatte, spürte er endlich die entspannende Wirkung des Badeelixiers. Immer wieder wollten unwillkommene Gedanken in sein Bewusstsein eindringen, doch die Blockade, die er errichtet hatte, hielt sie zurück. Er beherrschte sowohl Legilimentik als auch Oklumentik, hatte diese Magie jahrelang auf den Idioten Fudge und wenn nötig auch dessen Handlanger angewandt, was es um so erstaunlicher machte, dass er letztlich selbst das Opfer eines ganz ähnlichen Zaubers geworden war. Unwillkommene Gedanken abzuschirmen, war schon früh in seinem Leben eine seiner Spezialitäten geworden. Die Fähigkeit hatte ihn auch in Azkaban mehr als einmal davor bewahrt, dem Wahnsinn anheim zu fallen. Obwohl er seit vielen Jahren nicht mehr dazu gezwungen gewesen war, auf seine spezielle Technik zurückzugreifen, war es ihm in der Zeit seiner Gefangenschaft auf Anhieb wieder gelungen. Es war natürlich von Mal zu Mal schwieriger geworden, sich in seine Blase der Glückseligkeit zurückzuziehen, denn mit jeder Minute, die er im Gefängnis verbracht hatte, war seine Widerstandskraft etwas mehr geschwunden. Gerade befand er sich wieder einmal an seinem Rückzugsort.

Er lag auf einer leicht abschüssigen Wiese und befühlte mit den Händen jeden Grashalm, jedes Krümelchen Erde, jedes Blatt, das sich in seiner Reichweite befand und spürte, wie die Sonnenstrahlen seine Nasenspitze kitzelten. Und obwohl er niemanden sehen oder hören konnte, wusste er, dass er nicht mehr allein war, denn Joan war bei ihm. Er war wieder ein zwölfjähriger Junge und es war einer der letzten richtig warmen Tage des Jahres. Joan und er hatten sich hier an ihrem Lieblingsplatz verabredet. Es war ein sanfter Hügel, etwas abseitig gelegen und nah am verbotenen Wald, den sie beide zugleich unheimlich und wahnsinnig anziehend fanden. In ein paar Jahren sollte an diesem Ort die Peitschende Weide gepflanzt werden, doch noch war hier einfach ein ruhiges Plätzchen, wohin sich außer ihnen kaum Schüler verirrten. Er wusste sofort, dass sie in seiner Nähe war, denn er fühlte ihre Anwesenheit. Darum spielten sie nie Verstecken, Lucius gewann immer.

„Schläfst du?", hörte er sie fragen und schüttelte grinsend den Kopf.

„Ich träume."

„Wovon?"

Er spürte, dass sie sich neben ihn ins Gras legte, hielt die Augen aber weiter geschlossen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

„Von allem und von nichts."

„Wie soll das denn gehen?"

„Weiß nicht, aber ich kann das."

„Du bist verrückt, Lus, das weißt du aber?"

Lucius antwortete nicht, aber das musste er auch nicht. Er war verrückt. Sie waren es beide. Fast vom ersten Moment an, als sie sich als Erstklässler im Hogwarts Express begegnet waren, waren sie unzertrennlich gewesen. Sie hatten sich gegenseitig auserkoren und würden ihr Leben lang beste Freunde bleiben. Soviel stand fest. Wenn Joan bei ihm war, fühlte er sich mutiger, stärker, glücklicher, als sonst. Sie gab nichts auf Herkunft oder Tradition und war der einzige Mensch, der ihn einfach um seiner selbst willen gern hatte. Sie war sein Bollwerk, damals wie heute beschützte sie ihn vor ungebetenen Gästen, in Form von anderen Kindern, die ihre Freundschaft nicht verstanden, oder in Form von Gedanken, mit denen er sich nicht beschäftigen wollte.

„Ich glaube, das könnte wichtig sein."

„Was?"

„Mach die Augen auf, dann siehst du es selbst."


Er öffnete die Augen und sah drei Zauberer, die alle die Uniform der Magischen Strafverfolgungspatrouille trugen und die ihn alle mit ihren Zauberstäben im Visier hatten. Ein Stückchen hinter ihnen kniete Potter, der gerade Lucius Zauberstab vom Boden aufgehoben hatte und ihn in eine Sicherungsvorrichtung steckte.

„... gegen Sie verwendet werden. Haben Sie das verstanden?"

„Äh. Was bei Merlins Bart geht hier vor? Was soll das? Was suchen Sie in meinem Haus?"

„Hallo Lucius. Tut mir leid, dass wir hier so eindringen", sagte Potter, schob seinen Kollegen, der ihm am nächsten stand, ein Stückchen beiseite, und bedeutete den anderen, die Stäbe sinken zu lassen, „aber wir müssen dich leider bitten, uns ins Ministerium zu begleiten. Es hat einen Vorfall in Azkaban gegeben und wir befragen alle, die heute dort waren."

„Befragen? Und dafür schickt das Ministerium neuerdings keine Eule mehr, sondern lieber gleich die Eingreiftruppe?"

Mit einem abschätzigen Schnauben fügte er hinzu: „Und den Herrn Abteilungsleiter höchstpersönlich?"

Potter nickte in Richtung der Tür und sagte: „Ihr könnt draußen warten, Jungs, ich habe das im Griff."

Er wartete, bis seine drei Begleiter gegangen waren, dann nahm er ein Handtuch aus einem Regal und reichte es Lucius.

„Es gab einige Freiwillige, die sich gemeldet haben, um dich festzunehmen. Wenn es nach denen gegangen wäre, hätten sie dich nicht erst gebeten, mitzukommen."

„Soll das eine Drohung sein?", zischte Lucius und der junge Mann blickte ihn überrascht an.

„Nein, natürlich nicht."

„Klang aber verdammt danach.", knurrte er.

„Ich wollte dir nur klar machen, dass ich hier auf deiner Seite stehe."

Es passte Lucius so gar nicht, dass Potter so vertraut mit ihm sprach, aber es war ja nicht anders zu erwarten. Der jüngere Mann wusste sicher nicht, dass er nicht mehr unter dem Einfluss der Gehirnwäsche stand. Kurz war er versucht, ihm das sofort auf die Nase zu binden, mit den vielen anderen Dingen, die er ihm seit Jahren nur zu gerne gesagt hätte, es aber aus Rücksicht auf... Und da war der Gedanke nun doch. Der Gedanke an Hermine, den er seit dem Morgen so sehr zu verdrängen versucht hatte.

„Was ist los?"

„Was soll schon los sein? Ich werde aus meinem eigenen Badezimmer abgeführt, da wirst du verzeihen, dass ich keine Jubelschreie von mir gebe."

Potter wirkte ein wenig peinlich berührt.

„Mach dich fertig, wir warten unten auf dich. Das klärt sich sicher schnell auf."

Als er wieder allein war, stieg er aus dem Becken und hob seine Hose vom Boden auf. Eine Taschenuhr fiel heraus. Hermine hatte sie ihm zur Hochzeit geschenkt. Sie sah sehr elegant aus, das musste er zugeben - aus Weißgold mit feinen eingravierten Verzierungen und seinen Initialen. Im Inneren befand sich eine Fotografie von ihr, auf der sie sich nicht bewegte, denn es war ein Muggelfabrikat. Rund um das Bild stand „Zeit mit dir ist mir das Kostbarste auf der Welt" geschrieben. Er öffnete den Deckel und betrachtete ihr freundlich lächelndes Gesicht. Für einen Moment war er versucht, die Uhr einfach wieder einzustecken, doch dann verfinsterte sich sein Gemüt und er schleuderte sie mit aller Macht von sich. Sie prallte schallend von der Wand ab und blieb zerbrochen auf dem kalten Boden neben der Tür liegen. Nein, er würde nicht noch einmal solche Schwäche zeigen. Er überlegte kurz, ob er nicht lieber einfach verschwinden sollte. Er wollte sich nicht in die Hände dieser Zauberer begeben, die scheinbar vieles dafür geben würden, ihm etwas heimzuzahlen. Lucius war nicht dumm, er wusste, dass Hermine der einzige Grund war, warum Potter nicht selbst zu denen gehörte. Und so sehr er ihn auch verabscheute, es war gerade nicht besonders schlau, sich mit ihm anzulegen. Außerdem hatte er sich nichts vorzuwerfen, er hatte seinen Sohn in Azkaban besucht, sich von ihm anspucken lassen und war dann wieder verschwunden. Er wüsste nicht, was davon nicht erlaubt sein sollte. Oh, Draco. „Wie kannst du nur? Dieses Schlammblut? Du bist ein verdammter Blutsverräter!", hatte er ihm nachgebrüllt. Wie Recht er gehabt hatte. Lucius hatte die Familienehre beschmutzt und sein eigenes Fleisch und Blut im Stich gelassen. Das würde nicht noch einmal passieren. Das schwor er sich. Bevor er das Bad verließ, blieb er jedoch noch einen Moment in der Tür stehen.


Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt