07. August 2008 - Der Blinde Troll

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Draco war mal wieder wütend auf sich selbst. Er hätte es gleich erkennen müssen. Es hätte ihm gleich auffallen müssen. Sie hätte ihn nicht so einfach täuschen dürfen. Es war Susan. Oder besser gesagt, ihr Geruch, den er schon am Baum auf dem Hügel wahrgenommen hatte, bevor sie mit Ron zu ihm gerannt war. Ihr Geruch, den er unter den ganzen frischeren Spuren zwar nur schwach aber dennoch unverkennbar wahrgenommen hatte, dort oben in der Baumkrone. Sie hatte Hermine entführt, daran hatte er nun keine Zweifel mehr. Und vermutlich hatte sie auch Witherfork getötet. Als Mitglied des Rudels hatte sie zumindest ein Motiv für den Mord - Rache. Wie sie das angestellt hatte und was sie gegen Hermine haben könnte, wusste er nicht, aber das war jetzt zweitrangig.

Er betrat den Blinden Troll, der bis auf drei ältere Zauberer in einer Ecke wie leergefegt war. Buck kam aus der Küche, um nach dem neuen Gast zu sehen und nickte ihm freundlich zu.

„Na? Schon so früh durstig?"

„Ne, ich bin eigentlich auf der Suche nach deiner Bedienung, Susan."

„Ach so? Hat es dir wohl angetan, die Kleine. Naja, wenn man bedenkt, was ihr beide durchmacht, ist das ja auch kein Wunder, oder? Sie ist aber nicht da. Tut mir leid, Kumpel."

Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?"

„Nee. Interessiert mich nicht, was meine Angestellten in ihrer Freizeit treiben."

„Hast du dann wenigstens ihre Adresse?"

„Eigentlich geb ich solche Informationen ja nicht heraus", sagte Buck und Draco rollte innerlich mit den Augen, weil der Kobold am Ende ja doch immer mit allem herausrückte, „aber ich habe mitbekommen, dass du ihr auch nicht aus dem Kopf gegangen bist..."

„Was meinst du damit?", fragte er überrascht. War Susan in der Zwischenzeit noch einmal hier?

„Sie hat seit Wochen immer wieder über dich gesprochen", zwinkerte Buck ihm zu, „konnte deine Entlassung kaum erwarten."

Draco schluckte. Auf ihn hatte sie es also auch abgesehen. Aber warum? Und warum hatte er davon nichts bemerkt?

„Susie ist bei den Mayhems untergekommen. Die wohnen über dem Eulenkaufhaus in der Winkelgasse", raunte Buck ihm zu und zwinkerte verschwörerisch.

„Danke", antwortete er ihm mechanisch, seine Gedanken rasten. Mayhem. Wie John Mayhem? Das konnte kein Zufall sein. Langsam fügten sich die Puzzleteile zusammen.

Seine Füße trugen ihn wie ferngesteuert an ihr Ziel, während er fieberhaft darüber nachdachte, was das bedeuten sollte. Susan und John waren selbst Teil des Rudels gewesen, warum sollte sie es jetzt auf ihn abgesehen haben? Den Großmeister hatte sie sicher nicht getötet, er bezweifelte, dass einer seiner Anhänger dazu fähig gewesen wäre. Der Schleier, mit dem Witherfork sie alle belegt hatte, war erst durch seinen Tod gelüftet worden. Er schnupperte mit geschlossenen Augen und konnte deutlich Susans Spur wahrnehmen. Sie war dort oben im ersten Stock und sie war allein, wenn ihn seine Nase nicht täuschte.

Eine schmale, unauffällige Tür am Rand des Hauses führte ihn in ein altes Treppenhaus. Vorsichtig und darauf bedacht, sein Kommen nicht durch zu lautes Knarzen der Stufen anzukündigen, schlich er hinauf. Er hatte seinen Zauberstab gezückt, denn vermutlich würde Susan ihn sofort attackieren, wenn sie ihn hier sah. Wie sollte er vorgehen? Versuchen, sich hineinzuschleichen? Nein, er setzte lieber auf den Überraschungseffekt. Draco konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Duftfaden, der unverkennbar hinter der Tür auf ihn wartete. Sie war nur ein paar Meter entfernt, fast direkt in seiner Schusslinie. Er brachte sich in die richtige Position und feuerte sofort einen Entwaffungszauber ab, sobald er die Tür öffnete.

„Expelliarmus!"

Susans Zauberstab flog in hohem Bogen in seine ausgestreckte Hand. Lässig fing er ihn auf und zielte nun mit beiden Stäben auf die überraschte Frau. Zu seinem großen Glück hatte sie nicht mit einem Angriff gerechnet und ihn auch nicht bemerkt. Wenn sie auf der Hut gewesen wäre, hätte sie seine Anwesenheit genauso wahrnehmen können, wie er die ihre. Der Raum, in dem sie sich befand, war ein schäbiges Wohnzimmer mit schmalen, angelaufenen Fenstern, die kaum Licht herein ließen, mit zerschundenen, leicht muffigen Möbeln. Susan starrte ihn mit großen Augen an und die Farbe wich aus ihrem Gesicht.

„Draco!", ächzte sie, „du musst auf der Stelle von hier verschwinden!"

„Das hättest du wohl gerne", schnaubte er, „du schuldest mir ein paar Antworten und ich gehe nicht, bis du mir alles erklärt hast."

„Nein, bitte... Du verstehst nicht..."

„Ich verstehe sehr wohl. Und jetzt fang endlich an!"

„Bitte, Draco! Du darfst nicht hier sein, es ist gefährlich! Wenn er dich findet, bringt er dich um."

„Wenn wer mich findet?"

Sie hatte die Hände erhoben und schien fieberhaft nachzudenken. Wahrscheinlich überlegte sie, welche Lüge sie ihm auftischen sollte. Er machte einen Schritt über die Türschwelle hinweg, um seiner Frage Nachdruck zu verleihen. Doch bevor sie antworten konnte, brach die Hölle los - ein ohrenbetäubender Knall, eine Druckwelle, die sie unbarmherzig von ihren Füßen riss, Flammen, die sich im ganzen Raum ausbreiteten und an allem hoch züngelten, das sich ihnen in den Weg stellte. Draco spürte einen stechenden Schmerz in seinem Arm, und dass sein Ellenbogen nicht mehr da war, wo er hingehörte. Die Zauberstäbe hatte er bei seinem Sturz fallen lassen, sie mussten irgendwo in der Nähe sein. Sehen konnte er sie nicht, denn Staub und Rauch vernebelten ihm die Sicht. Er tastete hastig danach, verbrannte sich dabei aber nur die Finger und gab es schnell auf, als das Feuer immer wütender loderte. Unter Schmerzen rappelte er sich auf, schirmte seine Augen ab und versuchte zur Tür zu gelangen. Ein leises Stöhnen ließ ihn zurückblicken und er sah, dass Susan auf dem Bauch lag, die Beine unter einem massiven Bücherschrank begraben, dessen Inhalt sich rings um sie und auf ihr verteilt hatte. Ein Buch hatte sie offenbar an der Schläfe erwischt, denn ein feines, blutiges Rinnsal lief an ihrer Stirn herunter. Das Feuer fraß sich bereits durch die Buchdeckel und das schwere Holz und auch ihre Kleidung begann schon zu kokeln.

„Ach verdammt", brummte Draco und stürzte durch den dichter werdenden Rauch zu ihr. Zum Glück hatten sie beide die Stärke des Wolfs in sich, sonst wäre sie gleich zerquetscht worden und er hätte sie nicht befreien können. Er stemmte sich mit aller Macht mit den Schultern gegen den Schrank und Susan schaffte es, sich an den Armen darunter hervor zu ziehen. Draco packte sie mit seinem heilen Arm und gemeinsam schafften sie es hinaus, wo sie nur mit Mühe die Flammen auf ihrem Rock ersticken konnten.

„Nein... Zurück... Muss zurück!", japste Susan, doch es war offensichtlich, dass sie das nicht tun konnten. Feuer und Raum schlugen ihnen aus der Tür entgegen und sie mussten sich schleunigst entfernen. Keuchend schleppte Draco sie beide die Treppe hinunter auf die Straße, wo sich schon eine kleine Menschenmenge gesammelt hatte. Die Erwachsenen hatten die Zauberstäbe gezückt und versuchten, die Flammen zu löschen, doch das Feuer schien sich kaum bändigen zu wollen. Susan sträubte sich immer noch und wollte zurück hinein, aber das war unmöglich. Was hatte dieses Inferno ausgelöst? Ein Instinkt ließ Dracos Blick in eine schmale Gasse wandern, wo aus dem Nichts plötzlich sein Vater auftauchte, düster dreinblickend, ebenfalls mit gezücktem Zauberstab, aber ohne Anstalten zu helfen.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt