05. August 2008 - Heimweg

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Heute war es endlich soweit und er durfte diesen unbarmherzigen Ort verlassen. Ein letztes Mal stand er von seiner harten Pritsche auf und kratzte mit einem stumpfen Stein einen Strich in die Wand. Der eintausendachthundertsechsundzwanzigste Tag war angebrochen. Ein letztes Mal klapperte es und schob einer der Wachleute ein Tablett mit kaltem Brei zu ihm in die Zelle. Heute schmeckte ihm sogar diese widerliche Pampe. Die Aussicht auf ein Leben in Freiheit versüßte ihm einfach alles. Er tauchte seine Hände in die Schüssel mit eisigem Wasser, die ihm in den nächsten Minuten zum Waschen bereitstand, und fuhr sich durch das strohige Haar, um es wenigstens ein wenig in Ordnung zu bringen. Er wollte den besten Eindruck machen, der ihm unter diesen Umständen möglich war. Gerade als er seine Katzenwäsche mit einem Stück Kernseife beendet hatte, verschwand die Schüssel schon wieder. Draco verstand nicht, warum sie ihnen diese Waschgelegenheit immer gleich wieder nahmen, damit konnte man nun wirklich kein Unheil anrichten. Jemand hatte ihm einmal erzählt, dass eine Insassin sich vor vielen Jahren in einem Waschzuber ertränken wollte und die Zeiten daher rigoros verkürzt wurden. Aber das war vermutlich nur eine von vielen Geschichten, die man sich hier drin erzählte. Unruhig ging er auf und ab. Wohin würde er als erstes apparieren? Natürlich in die Winkelgasse und etwas Gold aus seinem Verlies holen, sonst kam er nicht weit. Und dann? Eine große Portion Kürbispastete im Tropfenden Kessel und ein Humpen von Toms Spezialmet. Oh ja, und zum Nachtisch ein riesiger Eisbecher oder ein Stück Holundertorte. Eine ausgiebige Dusche oder ein Bad, eine Runde auf seinem Besen, ausgelassen zu lauter Musik tanzen, durch den Wald rennen, bis er nicht mehr konnte, endlich wieder zaubern. Sein Kopf explodierte bald vor Vorfreude auf die Freiheit. Jemand, der nie eingesperrt war, konnte dieses unfassbare Privileg gar nicht richtig würdigen. Er würde es von nun an hochschätzen und alles daran setzen, dass er nicht noch einmal in diese Lage kam.

Es knackte, als sich das Schloss gegen Mittag endlich öffnete. Dracos Knie zitterten vor Freude und es kam ihm fast so vor, als müsste er das Gehen neu lernen. Mit wackeligen Schritten trat er aus der Zelle, die er nach fünf Jahren nun das erste Mal wieder verließ.

„Komm mit, Malfoy", sagte die Wachhexe, „Du kriegst deine Sachen wieder und dann darfst du gehen. Holt dich jemand ab?"

Er schüttelte den Kopf: „Nein, ich denke nicht."

Sie ging voran in einen großen Lagerraum und nahm eine Metallschachtel aus dem Regal.

„Viel ist es ja nicht gerade."

„Nein", antwortete er und nahm seinen Zauberstab entgegen.

Die Hexe legte seine alte, sorgsam zusammengelegte Kleidung auf einen Tisch und sagte: „Lass die Häftlingsuniform einfach hier liegen. Ich warte draußen."

Es war seltsam, wieder eine normale Hose zu tragen, vor allem da er durch die Kost im Gefängnis einiges Gewicht verloren hatte, und die Kleidung nicht mehr wirklich passte. Er betrachtete sich im Spiegel und versuchte erneut, seine Haare ein wenig in den Griff zu bekommen und sich mit dem Hemdsärmel den gröbsten Dreck aus dem Gesicht zu schrubben. Man konnte wahrlich nicht leugnen, dass er eine harte Zeit hinter sich hatte. Auf einmal hatte er Angst. Angst vor draußen, vor der Reaktion der Leute, vor dem Alleinsein an einem Ort, an dem man normalerweise nicht allein sein musste. Aber an wen sollte er sich wenden?

Es klopfte.

„Fertig da drin?"

„Ja", sagte er zu seinem Spiegelbild und trat hinaus.

Er folgte der Wachhexe bis zum großen Tor. Dort gab es einen Wartebereich, in dem eine einzelne Person saß. Als sie näher kamen, erkannte er, wer es war. Granger. Die hatte vielleicht Nerven. Er blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Hermine hatte sie bemerkt und kam ihnen entgegen.

„Hallo, Draco", sagte sie und hielt ihm die Hand entgegen, „ich würde dich gerne nach Hause bringen, wenn ich darf."

Da er nicht reagierte, fügte sie hinzu: „Aber die Entscheidung liegt natürlich bei dir."

War das ihr Ernst? Glaubte sie wirklich, er würde mit ihr kommen? Er hatte nicht damit gerechnet, seinen Vater zu sehen, nachdem er ihm bei seinem Besuch vor zwei Tagen angespuckt hatte, aber dass dann ausgerechnet die Granger an seiner Stelle auftauchen würde... Andererseits, was waren seine Optionen? Er musste sich eingestehen, dass die Alternativen gerade begrenzt waren. Nach einer gefühlten Ewigkeit, ergriff er ihre Hand und schüttelte sie. Er war in diesem Moment einfach nicht in der Position, um freiwillig angebotene Hilfe auszuschlagen. Hermine nickte der Wachhexe zu, die sogleich das Tor öffnete. Auf einmal dröhnte es in seinen Ohren, die Brandung toste mit dem Wind um die Wette und salzige Gischt schlug ihnen entgegen, als sie seinen Arm packte und er das altbekannte Ziehen hinter dem Nabel spürte.

Sie tauchten in grellem Sonnenlicht wieder auf, das ihn nach der langen Zeit in seiner Zelle ziemlich schmerzte. Er kniff seine Augen sofort zusammen und schirmte sie mit den Fingern ab. Hermine legte ihm eine Hand auf den Rücken und lenkte ihn langsam vorwärts. Sie gingen ein paar Schritte, dann hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde.

„Beedy!", rief sie und fügte dann an ihn gerichtet etwas leiser hinzu: „Ich habe die Vorhänge zugezogen, ich denke, du kannst die Hände wegnehmen."

„Sie haben den jungen Herrn nach Hause gebracht!", hörte er eine piepsige Stimme hinter sich rufen und sah die alte Hauselfe Beedy aus der Küche kommen. Sie trug ein buntkariertes Kleid und strahlte bis über beide Ohren. „Es ist schön, Sie wiederzusehen, Master Draco!"

„Hallo Beedy."

„Möchtest du etwas essen? Oder vielleicht ein wenig schlafen?", fragte Hermine.

„Ein Bad wäre schön."

„Natürlich! Kommen Sie, kommen Sie, ich bringe Sie nach oben", sagte Beedy und wuselte davon.

Er warf Hermine einen fragenden Blick zu und die nickte lächelnd: „Fühl dich wie zu Hause."

Eigentlich lagen ihm jede Menge Fragen auf der Zunge, aber die mussten warten. Jetzt wollte er erst einmal ein wenig Kraft tanken. Mit Granger und allem anderen würde er sich danach beschäftigen.


Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt