04. August 2008 - Zaubereiministerium

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Nach einer unruhigen Nacht erwachte sie in ihrem Zimmer im Blinden Troll. Ihr Schädel brummte und sie fühlte sich ziemlich schlapp. Das Gespräch der drei Männer hatte sich in immer bizarrer werdenden Formen seinen Weg in ihre Träume gebahnt und sie regelmäßig schweißgebadet aus dem Schlaf gerissen. Im letzten Traum hatten ihr tanzende Schrumpfköpfe wilde Verdächtigungen zugerufen, bis sie von einer Feuerwalze überrollt wurden, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie hatte im Aufwachen ihren Zauberstab gepackt und einen Schwall Wasser beschworen, um sich zu schützen, und saß deswegen jetzt wach und nass wie ein begossener Pudel auf dem Bett. Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand und seufzte. 10.30 Uhr, deutlich später, als sie gedacht hätte. Geduscht hatte sie ja immerhin schon. Sozusagen. Am Abend zuvor hatte sie sich überlegt, dass es wohl das beste wäre, in Azkaban anzufragen, ob etwas und wenn ja, was genau mit Witherfork passiert war, und das hieß, sie würde Harry einen Besuch abstatten, da er für das Gefängnis zuständig war. Sie stand auf und schwankte, ihr war seltsam schwindelig, wahrscheinlich hatte sie den Ingwerwein vom Abend zuvor nicht gut vertragen. Wie zur Bestätigung wurde ihr übel und sie rannte ins Bad, um sich zu übergeben.

Das Ministerium hatte sich in den letzten Jahren nicht wirklich verändert, die Zauberer und Hexen, die hier arbeiteten, liefen immer noch wie ferngesteuert durch die Flure und erledigten ihr Tagewerk erschreckend mechanisch. Es herrschte keine drückende Atmosphäre, das nicht, doch es schien als würde jeder einfach für sich seine Aufgaben erledigen und dabei nicht groß nach rechts oder links schauen.

„Hermine!"

Sie zuckte zusammen, drehte sich um und hielt nach demjenigen Ausschau, der sie gerufen hatte. Natürlich erkannte sie ihn sofort. Doc kam wild mit den Händen gestikulierend auf sie zu und schloss sie gleich in die Arme.

„Hermine, wie schön, dich zu sehen! Was führt dich her? Sag nichts, du willst Will zu seinem Geburtstag überraschen? Da freut er sich bestimmt wie verrückt! Wir haben dich so lange nicht gesehen. Wie geht es dir? Gefällt es dir noch in Hogwarts? Harry hat immer wieder kurz von dir erzählt, wenn ich nach dir gefragt habe, aber er hat ja immer so viel zu tun. Hier geht es drunter und drüber, seit du nicht mehr hier bist. Keiner hat den Laden so im Griff, wie du. Das muss dir mal jemand sagen. Entschuldige, ich plappere zu viel, aber ich freue mich so, dich zu sehen!"

Paul Ignuts, wie Doc ja eigentlich hieß, strahlte seine ehemalige Chefin mit großen Augen an und hatte sich bei ihr eingehakt, um sie sanft aber bestimmt in Richtung Aufzüge zu ziehen.

„Manchmal vermisse ich die gute alte Zeit mit dir, das muss ich wirklich sagen. Wir hatten so viel Spaß miteinander, der alte Zauselkopf Fanning kann da mal so gar nicht mithalten. Er lässt uns immerhin so ziemlich freie Hand mit allem, da kann man nichts sagen. Hast du ihn einmal kennengelernt? Nein? Nun, da hast du nicht wirklich viel verpasst. Schrullig ist er. Schrullig! Und das aus meinem Munde, ich weiß!"

Es kam Hermine so vor, als hätte Doc seit Tagen nicht mehr geredet, sodass alle Wörter nun verzweifelt aus seinem Mund drängten. Ein wenig hibbelig wirkte er obendrein und trat von einem Fuß auf den anderen, während sie auf den Fahrstuhl warteten. Endlich ertönte ein lautes Ping und die Türen öffneten sich für zwei Memos, die gefolgt von einem geschäftigen jungen Mann, der einige Aktenstapel balancierte und sich wortlos an ihnen vorbeidrängte, herausflatterten. Doc stieg in den Aufzug und zog Hermine mit einem festen Griff mit sich. Er plapperte noch immer belangloses Zeug, doch als sich die Türen schlossen, änderte sich sein Gebaren auf der Stelle.

„Warum bist du wirklich hier?"

„Ich, äh, was?"

„Wir haben nicht viel Zeit! Bist du wegen Lucius hier?"

„Wieso..."

„Sag schon, Hermine!"

„Nicht direkt, also schon irgendwie, aber hauptsächlich bin ich hier, weil ich mit Harry über etwas sprechen wollte. Wie kommst du denn darauf, dass ich wegen Lucius hergekommen sein könnte?"

„Dann... Weißt du es gar nicht?"

„Was denn?"

„Erster Stock - Zaubereiminister und Assistenzkräfte"

Doc wartete kurz, ob jemand zustieg, dann sagte er: „Sie haben Lucius nach Azkaban gebracht. Sie glauben, er hat diesen Werwolf getötet, du weißt schon, der der damals den Wolfsbrut-Kult angeführt hat."

„Wie könnte ich den vergessen?"

„Ich habe nur mitbekommen, dass sie ihn gestern aus Malfoy Manor abgeführt haben. Er soll gerade in der Badewanne gelegen haben, als sie dort angekommen sind. Rolce, Flinch und Bavery von der Strafverfolgungspatrouille und Harry haben ihn bei der Vernehmung nicht gerade zimperlich behandelt, wie ich gehört habe. In der Zwei sind alle nervös, keiner weiß, wie er es geschafft hat, in die Isolationszelle zu gelangen."

„Was? Aber das ist doch vollkommener Schwachsinn! Warum sollte er..."

In dem Moment kündigte die Stimme den zweiten Stock an und die Türen glitten auf.

„Ich muss hier raus", sagte Hermine zu Doc, doch der hielt sie fest.

„Fahr doch kurz erst mit runter in mein Büro, dann können wir..."

Zwei sichtlich überarbeitete Hexen schickten sich an, den Fahrstuhl zu betreten.
Hermine sagte nachdrücklich: „Ich komme später nach unten. Verrate Will ja nicht, dass ich ihn überraschen möchte."

Doc schüttelte den Kopf und sie machte sich auf den Weg zu Harrys Büro. Sie war wütend auf ihn. Wie konnte er nur Lucius festnehmen und ihr nicht Bescheid geben? Und warum hatte Paul so ein Geheimnis draus gemacht? Woher wusste er überhaupt davon? Hier ging offensichtlich etwas seltsames vor sich.

In Harrys Büro angekommen dauerte es nicht lange, bis ein ausgewachsener Streit zwischen ihnen entbrannte, denn Hermine hielt sich nicht mit Vorwürfen zurück.

„Ich muss mich an die Vorschriften halten!", rief Harry genervt.

„Ach ja? Und welche Vorschrift verbietet es dir, die Frau eines Beschuldigten darüber zu informieren, dass ihr Mann verhaftet wurde? Wann hätte ich davon erfahren, Harry? Wann?"

„Meine Güte, Hermine! Es hat einen Mord in Azkaban gegeben! Das ist verdammt noch mal keine Kleinigkeit. Wenn das rauskommt, dann bricht wieder ein Panik aus. Wir haben keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber es gibt eine ganze Menge Indizien, die gegen Lucius sprechen. Wir mussten schnell handeln und wir mussten zusehen, dass nichts nach draußen dringt. Verstehst du denn nicht? Die Leute haben immer noch Angst!"

„Und die Angst nehmt ihr ihnen, indem ihr einfach irgendjemanden festnehmt und nach Azkaban steckt? Das macht doch absolut keinen Sinn!"

„Er ist nicht einfach irgendjemand, das weißt du ganz genau."

„Na, jetzt hast du es wenigstens selbst zugegeben!"

„Was?"

„Dass du anders gehandelt hättest, wenn es nicht um ihn gehen würde", sagte Hermine und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der vor Harrys Schreibtisch stand. Ihr war auf einmal schlecht vor Wut und Verzweiflung. „Hört das denn nie auf? Ich dachte wirklich, ich hätte dieses Thema hinter mir, und jetzt bricht es auf einmal wieder über mich herein."

Dass Lucius in sein altes Ich zurückgefallen war, änderte nichts daran, dass sie sich große Sorgen machte und Angst um ihn hatte. Außerdem ließ es sie verzweifeln, dass Harry auf diese Weise gehandelt hatte, obwohl er gar nicht wusste, dass der Zauber nicht mehr wirkte. Was hätte er wohl angeordnet, wenn er es gewusst hätte?

„Hermine, ich weiß, du willst das jetzt nicht hören, aber das renkt sich alles wieder ein. Ich bin mir sicher, dass wir bald wissen, wer wirklich dahintersteckt und dass ihr bald wieder zusammen sein könnt. Ich hätte jeden anderen genauso festnehmen lassen, gegen den wir etwas in der Hand gehabt hätten, das musst du mir glauben! Aber ich konnte nicht aus Rücksicht auf dich anders handeln, nicht diesmal. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ich hätte gar nicht mit dir reden dürfen."

Er öffnete eine Schublade, nahm ein Formular heraus und füllte es aus.

„Du kannst ihn besuchen, wann du möchtest. Zeig einfach das hier vor. Das ist alles, was ich gerade für dich tun kann."

Hermine nickte stumm und nahm den Besuchsschein.

„Es tut..."

„Ist schon gut, Harry. Mach einfach deine Arbeit. Und denk noch mal darüber nach, ob es wirklich notwendig war, dass ich mir die ganze Nacht Sorgen machen musste, weil er nicht nach Hause gekommen ist."

Das stimmte zwar nicht, aber das musste er ja nicht wissen. Hermine war sauer auf ihn und seine Erklärungen hatten sie nicht besänftigt. Wenn er sich jetzt wenigstens ein bisschen schlecht fühlte, war ihr das nur recht. So konnte man einfach nicht mit den Leuten umgehen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, mit Harry über Witherfork zu sprechen, ihm zu erzählen, dass der Zauber seine Wirkung verloren hatte und dass sie nicht so recht wusste, was sie jetzt tun sollte, doch das musste warten. Davon abgesehen, dass er nicht mehr sagen wollte, hätte sie nun ohnehin nicht mit ihm reden wollen. Aber immerhin hatte sie erfahren, dass Witherfork tatsächlich tot war.

Sie fuhr hinunter in den vierten Stock und machte sich auf die Suche nach Doc, der ja einiges über die Sache zu wissen schien. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn gefunden hatte. Er besah gerade den Inhalt eines kleinen Glasflakons. Als er sie kommen sah, verschloss er das Gefäß eilig und stellte es beiseite.

„Und?"

„Es war kein besonders angenehmes Gespräch."

„Kann ich mir denken", sagte Doc und wies auf eine schon deutlich abgewetzte Couch, die überraschend bequem war.

„Wie hast du denn überhaupt davon erfahren?"

„Ich habe gestern zufällig beobachtet, wie der Eingreiftrupp zurückkam. Besonders dezent sind sie nicht vorgegangen, ehrlich gesagt wundert es mich, dass es nicht schon in allen Zeitungen steht. Wie eine Trophäe haben sie ihn vor sich hergeführt, mit dem Zauberstab im Anschlag und in Uniform."

„Von wegen Geheimhaltung", schnaubte sie.

„Naja, Rolce war dabei. Der hat seine Tochter damals in Hogwarts verloren und ist bekannt dafür, nicht gerade zimperlich mit... Na, du weißt schon... umzugehen."

„Todessern?", fragte sie.

Doc nickte.

„Aber an dieser Schlacht war Lucius doch so gut wie gar nicht beteiligt."

„Du sagst es, so gut wie gar nicht. Aber das kleine bisschen reicht eben aus."

Sie schwiegen einen Moment betreten, dann fragte Hermine: „Weißt du sonst noch etwas, das mir helfen könnte?"

Er schüttelte den Kopf: „Nicht wirklich. Es gab Anweisungen... Alles, was irgendwie mit Azkaban zusammenhängt, unterliegt neuerdings strenger Geheimhaltung. Gerade wenn so etwas passiert, das man nicht sofort erklären kann. Ich hätte dir eigentlich gar nichts erzählen dürfen, aber es erschien mir nicht richtig. Ich selbst habe es auch nur aus Polly herausgequetscht. Polly Midgens? Arbeitet in der Zwei als Sekretärin?", fügte er hinzu, als er Hermines fragenden Blick bemerkte.

„Sagt mir nichts."

„Ist ja auch nicht so wichtig. Sie hat mir jedenfalls erzählt, dass man diesen Werwolf mit aufgeschlitzter Kehle in seiner Zelle gefunden hat. Die Tür wurde nicht gewaltsam geöffnet und Magie kann dort drin nicht gewirkt werden."

„Dann hat eine der Wachen etwas damit zu tun?"

„Es sieht zumindest danach aus, dass es nicht ganz ohne Hilfe ging."

„Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit Lucius zu tun hat."

„Ich kann dir nur sagen, was ich von Polly weiß. Mehr hat sie mir nicht erzählt, aber ich vermute, dass man noch etwas anderes gefunden hat, das ihn belastet. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir nicht helfen kann."

„Nein, bitte, das muss es nicht! Ich bin dir so dankbar, dass ich überhaupt etwas erfahren habe. Ich hoffe, du bekommst deswegen jetzt keinen Ärger."

„Keine Sorge. Aber vielleicht posaunst du nicht zu sehr herum, dass du das von mir hast."

„Oh, das ist jetzt blöd, eigentlich hatte ich vor, die Story exklusiv an den Tagespropheten zu verkaufen. Ich kenne da eine vortreffliche Reporterin", erwiderte sie mit einem Augenzwinkern.

Doc lachte über ihren Scherz und nur ein paar Sekundenbruchteile später hörte Hermine einen spitzen Schrei, der sie zusammenzucken ließ. Jemand packte sie von hinten und drückte sie an sich.

„Chefin! Das ist ja eine tolle Überraschung! Was machst du denn hier?"

Sie erinnerte sich daran, was Paul gesagt hatte, und antwortete: „Na, du hast doch Geburtstag und da ich zufällig in der Stadt war, dachte ich, ich komme persönlich vorbei und gratuliere dir."

„Dass du daran gedacht hast!"

Will ließ sie los und strahlte bis über beide Ohren.

„Komm, du bekommst ein besonders großes Stück von meiner Torte. Kennst du eigentlich schon unseren neuen Abteilungsleiter?"

Und ohne Widerworte zuzulassen, schleifte Will Frogham seine ehemalige Vorgesetzte in sein Büro und plauderte ungezwungen und fröhlich mit ihr. Hermine hatte alle Mühe, ihm zu folgen, denn in Gedanken war sie an einem düsteren Ort. Sie brachte es jedoch nicht übers Herz gleich wieder zu gehen und verbrachte daher einige Zeit im Ministerium, bis sie endlich entlassen wurde, aber nur gegen das Versprechen, sich bald wieder blicken zu lassen.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt