04. August 2008 - Malfoy Manor

91 15 4
                                    

Als sie wenig später die Tür zu ihrem Cottage öffnete, kam ihr sofort eine aufgewühlte Beedy entgegen. Hermine bekam auf der Stelle ein schlechtes Gewissen, denn an die Hauselfe hatte sie nicht mehr gedacht. Das arme Wesen hatte sich sicher große Sorgen gemacht, als auf einmal niemand mehr zu Hause war.

„Sie sind wieder da! Ich bin so froh, dass Sie wieder da sind!", Beedy nahm den Zipfel ihrer Schürze und schnäuzte sich mit einem lauten Tröten ihre große Nase, „Es war niemand mehr hier, als ich am Abend zurückkam und auch am Morgen keine Spur von Ihnen beiden. Nur das zerbrochene Fenster im Bad. Dann bin ich zum großen Haus gegangen, um nach Ihnen zu suchen, aber da war auch niemand, nur dieses ganze Chaos, und..."

„Chaos? Was meinst du, Beedy?"

„Ich dachte, es gab vielleicht einen Kampf", die Elfe brach in Tränen aus.

„Schon gut, schon gut", tröstete Hermine das kleine Wesen und klopfte ihr sanft auf die Schulter, „Ich sehe mir das gleich an, ja? Du bleibst hier und trinkst eine Tasse Tee, um dich zu beruhigen, in Ordnung?"

Sie ging jedoch erst hinauf ins Schlafzimmer, um ihren Koffer und Alvas Käfig auszupacken. Die winzige Eule war unterwegs und würde ihren Weg nach Hause finden. Als sie den Koffer aufklappte, fiel ihr als erstes das Bild von ihrer Hochzeit ins Auge. Lucius war darauf auf die Knie gesunken und hielt sich den Kopf, während sie selbst unschlüssig schien, ob sie sich ihm nähern und ihn trösten oder ihn in Ruhe lassen sollte. Immer wieder ging sie einen Schritt näher und streckte eine Hand nach ihm aus, nur um dann wieder zurückzuweichen. Ihr Gesicht zeigte deutlich die Besorgnis, die sie gerade auch fühlte. Das Porträt war wie ein Spiegel ihrer Gefühlswelt. Und da sie nicht mehr unversöhnlich an den beiden Enden der Fotografie standen, schöpfte sie ein klein wenig Hoffnung. Sie stellte es zurück auf die Kommode, wo es hingehörte.

Malfoy Manor lag in einem freundlichen und einladenden Park, der extra für die Hochzeitsfeier umgestaltet worden war. Büsche mit großen, bunt leuchtenden Blüten säumten die Kieswege und die Steintreppe zur Eingangstür. Die Fassade war weiß getüncht und strahlte im sommerlichen Sonnenlicht. Die bedrohlichen Statuen und dunklen Hecken waren verschwunden und blühende Ranken verzierten nun die meterhohen Mauern. Hermine hörte das Wasserspiel der vielen Brunnen plätschern und die Bienen von Blume zu Blume summen, als sie das gusseiserne Tor quietschend hinter sich geschlossen hatte. Das Haus hatte hier draußen nichts mehr von seiner ehemals so unbehaglichen Atmosphäre und sie hatte dafür viel Lob von den Gästen eingeheimst, die mit ihnen gefeiert hatten.

Sie betrat das Gebäude und in der leeren Eingangshalle schallte jeder ihrer Schritte von den Wänden wieder zurück zu ihr. Schon von hier aus konnte sie erkennen, was Beedy gemeint hatte. Durch den Bogen, der in das offene Treppenhaus führte, sah sie die Überreste einer umgestürzten Säule. Ihr stockte der Atem, als sie schließlich das gesamte Ausmaß überblicken konnte. Es wirkte beinahe, als hätte es eine Explosion gegeben. Glasscherben und Holzsplitter hatten sich mit feuchter Erde und abgebrochenen Pflanzenstängeln vermischt, eine Seite des Treppengeländers war offenbar geschmolzen und wieder erkaltet, während sie noch nach unten tropfte, uralte Gemälde hingen schief oder lagen mit zerborstenen Rahmen auf dem Marmorboden. Mitten auf den Stufen ruhte der Lüster, dessen schwere Kette mit aller Macht aus der Deckenverankerung gerissen worden war. Vorsichtig stieg Hermine darüber hinweg und folgte der Spur der Verwüstung hinauf bis zum Treppenabsatz. Dort lag eine zerbrochene Vase neben ihrem Sockel. Sie hob eine der Scherben auf und fuhr mit dem Finger über die eingebrannte Fleur-de-Lis. Sie war ein Geschenk ihrer Eltern gewesen, die wussten, dass Lucius sich für Antiquitäten interessierte, und worüber er sich sehr gefreut hatte.

„Da hat mein Sohn ganze Arbeit geleistet", hörte sie ein zartes Stimmchen und drehte sich zu einem kleinen Porträt um, das hinter ihr an der Wand hing - im Gegensatz zu den anderen, die ringsum auf dem Boden lagen, war es vollkommen unberührt.

Sie kannte das Bild, es zeigte eine junge Frau, kaum älter als sie selbst, in einem dunkelblauen Samtkleid, das ein Stück von ihrer Schulter gerutscht war. Den Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet, eine einzelne Träne im Augenwinkel, ein Strauß getrockneter Rosen im Arm, gedämpfte Stimmung - Freude strahlte es nicht gerade aus. Dennoch, die Frau war eine Schönheit, hatte makellose, bleiche Haut mit leicht erröteten Wangen, einen vollen Mund und Augen, die den gleichen Blauton hatten, wie das Kleid, das sie trug. Ihr Haar glänzte in einem satten Schokoladenbraun und rahmte ihr Gesicht mit perfekten Locken. Anders als die meisten magischen Porträts hatte sich die Fotografierte so selten und so wenig bewegt, dass Hermine beinahe geglaubt hätte, es könnte ein Muggel-Bild sein. Nur ab und zu hatte sie bemerkt, dass ihre Augen traurig blinzelten. Die Traurige, so hatte sie sie deswegen getauft. Lucius war ihren Fragen dazu immer ausgewichen und ihre Versuche, mit dem Porträt zu sprechen, waren stets mit Schweigen beantwortet worden.

„Ihr Sohn?"

Die Frau nickte.

„So habe ich Lucius seit Jahren nicht gesehen. Ich hatte gehofft, dass er endlich..."

„Lucius hat das getan?"

Die Frau nickte erneut. Ein kalter Schauer lief Hermine den Rücken hinunter, als sie den Blick über das Trümmerfeld schweifen ließ, und sie war froh, dass sie diesen Ausbruch nicht am eigenen Leib erfahren hatte.

„Du hast Angst, mein Kind, das sehe ich."

„Ich...", sie schluckte. Die Frau blickte nicht mehr in die Ferne, sondern sah ihr direkt in die Augen, und Hermine hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie verstanden wurde. „ich habe Angst, dass ich ihn verliere."

„Mein Tod war für meinen Gatten weniger ein Unglück als vielmehr eine Schande. Ein Zeichen der Schwäche. Eine Unannehmlichkeit, mit der umzugehen war. Für mich hätte mein Tod eine Erlösung sein sollen. Der ersehnte Ausweg aus einem Leben, das ich so nie gewollt habe. Viel zu oft habe ich daran gedacht, es selbst zu beenden. Viel zu oft habe ich erst kurz vorher den Mut verloren. Dann wurde ich schwanger und auf einmal hatte ich etwas, hatte ich jemanden, für den es sich lohnte, zu leben. Ich wollte für mein Kind da sein, es beschützen, es lieben, wie es mein Mann niemals gekonnt hätte. Und dann, als ich endlich bereit war, mich der Herausforderung zu stellen, mich in mein Schicksal zu ergeben und das Beste aus dem Leben zu machen, an das ich gegen meinen Willen gekettet worden war, starb ich. Nie durfte ich meinen Sohn in Armen halten und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Nie durfte ich ihm sagen, dass er sein Herz nicht in denselben eisigen Käfig stecken solle, wie sein Vater. Nie durfte ich ihn tröstend halten, wenn er wieder einmal so bitterlich weinte, weil er einsam war. Ich starb bei Lucius Geburt und musste Tag für Tag zusehen, wie er sich und später auch andere quälte. Ich konnte nicht für ihn da sein, als er mich am Nötigsten gebraucht hätte."

Hermine lauschte der Erzählung mit einem Kloß im Hals. Sie hatte tiefes Mitgefühl mit der jungen Frau und glaubte einmal mehr etwas besser zu verstehen, warum Lucius so geworden war.

„Ich beneide dich. Du hast die Möglichkeit, genau das zu tun. Du kannst ihm aus seinem Käfig heraushelfen. Einmal hast du es schon geschafft, ich bitte dich, gib ihn nicht auf. Er ist ein guter Junge. Ein guter Mann, das weiß ich, das weißt du auch."

„Was, wenn wir uns nur etwas vormachen? Wenn er in Wirklichkeit genau so ist?", flüsterte Hermine und deutete auf das Chaos, „was, wenn das der wahre Lucius ist?"

„Wir müssen daran glauben, dass er es nicht ist."

Hermine schwieg betreten und sagte nach einer Weile: „Vielen Dank, dass Sie mit mir gesprochen haben."

„Bitte, nenn mich Valerica", sagte die Frau und nahm wieder ihre ursprüngliche Haltung ein, womit das Gespräch offenbar beendet war.

Hermine betrachtete sie noch einen Moment, dann öffnete sie die Tür zu Lucius Salon, in dem der große schwarze Flügel stand. An den frischen Spuren auf dem staubigen Deckel konnte sie erkennen, dass vor kurzem jemand daran gespielt haben musste. Am Fenster stand der wuchtige Schreibtisch, der wie immer abgesehen von einem Tintenfässchen und einer weißen Pfauenfeder leer war. Im Vergleich zu der Verwüstung im Treppenhaus war es hier drin regelrecht friedlich. Im Badezimmer duftete es noch angenehm nach Sandelholz und Zitrone, ein süßlich frischer Duft, den sie liebte. Sie machte einen Schritt hinein und sah sich um. Wonach sie eigentlich suchte, wusste sie nicht. Nach irgendetwas, das ihr einen Hinweis darauf gab, was sie tun sollte. Es dauerte nicht lange, bis sie einsah, dass es hier nichts gab, was ihr weiterhalf. Als sie das Bad und den Salon hinter sich lassen wollte, fiel ihr Blick auf eine geöffnete Vitrine, in der Lucius ein paar seiner wertvollsten Sammlerstücke aufbewahrte und die sonst immer verschlossen war. Erst fiel ihr nicht auf, was anders war, dann entdeckte sie neben einem Stück Occamy-Eierschale und einer Phiole mit Einhornblut die Taschenuhr, die sie ihm zur Hochzeit geschenkt hatte. Sie lag wie die anderen Dinge auf schwarzem Samt gebettet und glänzte, als wäre sie frisch poliert worden.


Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt