07. August 2008 - Winkelgasse

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Lucius starrte in die Flammen. Gerade im Hochsommer war es nicht ungewöhnlich, dass es mal brannte, aber heute schien es ihn zu verfolgen. Erst der Fuchsbau, jetzt Eeylops. Das hier war aber etwas anderes, denn die Flammen waren offensichtlich magisch. In dem Moment stürzte Draco mit diesem Mädchen, das schon mit ihm im Cottage an der Küste gewesen war, auf die Straße, beide offensichtlich arg mitgenommen. Er überlegte kurz, was er tun sollte, denn er wollte sich eigentlich nicht groß in der Öffentlichkeit zeigen. Die meisten wussten zwar nichts davon, aber für manche steckte er ja noch in Azkaban, weswegen er auch zunächst beim Fuchsbau nach Weasley gesucht hatte und nicht direkt bei ihm zu Hause im Getümmel der Winkelgasse. Während er noch regungslos da stand, drehte Draco sich um und sah ihn direkt an, als ob er ihn unter dem Tarnumhang sehen könnte. Und wie schon ein paar Stunden zuvor legte er ohne ein Zögern die Tarnung ab. Einen winzigen Moment lang verharrte er regungslos, dann rannte er mit gezücktem Zauberstab auf seinen Sohn und die junge Frau zu.

„Was ist passiert? Seid ihr verletzt?"

„Explosion", keuchte sie, „Draco... Hermine ist da drin!"

„Was?", riefen sie beide gleichzeitig.

„Hermine... Die Schneekugel", sie hustete und ihre Augenlider begannen zu flattern.

„Schneekugel? Was soll das sein?", fragte Draco, doch er erhielt keine Antwort.

Die junge Frau war in Ohnmacht gefallen, was vermutlich mit der Menge Blut zu tun hatte, die von ihrer Schläfe herabtropfte. Lucius wusste dank Joan, was eine Schneekugel war. Er rannte auf die Tür zu, aus der die beiden gerade gekommen waren, aber dichter Rauch schlug ihm entgegen und er hörte, wie das Gebälk bedrohlich knarzte. Die Treppe war zu riskant. Mehr und mehr Zauberer und Hexen richteten ihre Zauberstäbe auf die Flammen, ihre Löschversuche zeigten jedoch keinerlei Wirkung, sondern ließen sie nur noch wütender auflodern. Er hatte so etwas schon einmal gesehen. Der Dunkle Lord hatte mit einer Art Griechischem Feuer einen ganzen See in Brand gesteckt und alles Leben darin vernichtet. Es konnte nicht durch Wasser gelöscht werden, brannte dadurch bloß heißer.

„Stop!", schrie er und versuchte, die Helfer auf sich aufmerksam zu machen, „Stop! Das sind Griechische Flammen! Wasser macht es nur noch schlimmer!"

Einige wenige senkten ihre Zauberstäbe, doch die meisten ignorierten ihn oder glaubten ihm nicht. Es half nichts, er musste selbst dort hinein, denn wenn diese Idioten weiter löschten, würde bald nicht mehr viel übrig bleiben.

Die kurzen Bildausschnitte, die er aus Hermines Geist aufgeschnappt hatte, blitzten wieder vor seinem inneren Auge auf, und einen Moment lang wollte er sie einfach ihrem Schicksal überlassen. Die Testphiole, die sich klärte... Er hatte es nicht gleich verstanden, war zu fixiert auf Hinweise zu ihrem Verschwinden gewesen, aber vorhin hatte ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag getroffen. Narzissa hatte ihm zwei Mal einen positiven Schwangerschaftstest gezeigt. Das erste Mal vor fast 30 Jahren, als es nach vielen erfolglosen Monaten endlich geklappt hatte. Damals hatte er sich unbändig gefreut und zugleich erleichtert gefühlt, denn sein Vater hatte schon damit begonnen, ihm vorzuhalten, dass er nicht einmal in der Lage war, einen Stammhalter zu zeugen. Das zweite Mal war noch nicht so lange her, hatte sich aber letztlich als Farce herausgestellt, da das Kind, das sie ihm anfangs als das seine verkauft hatte, in Wirklichkeit von diesem vermaledeiten Franzosen gewesen wäre. Verbittert dachte er daran, dass er ihn einmal als seinen Freund bezeichnet hatte.

Er wusste also, was die Phiole bedeutete. Er wusste, dass auch Hermine ein Kind erwartete, das nicht von ihm war. Er wusste, dass sie ihn betrogen hatte. Und er wusste, dass es Weasley war. Er wusste es einfach.

Die Erkenntnisse hatten ihn schwer getroffen. Wenn Weasley direkt vor ihm gestanden hätte, er hätte für nichts garantiert. Für gar nichts. Die ungewöhnliche Eifersucht, die seit kurzem in ihm brodelte, hätte sich entladen und diesen Wurm mit sich gerissen. Sein Zorn richtete sich aber nicht nur gegen den Jungen. Nein. Ein ziemlich lauter Teil in ihm tobte vor Wut und Enttäuschung über Hermine und in einem kurzen, finsteren Moment schob er es auf ihre Herkunft. Dachte sich, dass er es von einem Schlammblut nicht anders erwarten konnte. Dass sich ihre Niedertracht und Minderwertigkeit nun endlich gezeigt hatte und er es hätte wissen müssen. Dass er es eigentlich besser wusste. Doch der Moment war so schnell vorbei, wie er gekommen war und ließ ihn schuldbewusst zurück. Solche Gedanken hatte er hinter sich gelassen. Das Gift, das er sein ganzes Leben lang eingetrichtert bekommen hatte, ließ sich aber nun mal nicht von heute auf morgen aussaugen. Ein kleiner Rest war noch da und in Momenten wie diesen, wenn er ihn nicht kontrollieren konnte, brach er aus.

Aber dass Hermines Familie nichts damit zu tun hatte, änderte ja nichts an ihrem Verhalten selbst. Das Ergebnis blieb das gleiche - sie war schwanger und er konnte einfach nicht der Vater sein. Musste er nun dankbar sein, dass Abraxas ihn seinerzeit dem Ritual unterzogen hatte? Musste er dankbar sein, dass er dadurch sicher sein konnte, dass das Balg kein echter Malfoy war? Vielleicht. Aber er war nicht dankbar. Hätte es das Ritual nicht gegeben, hätte er ihr selbst ein Kind schenken können. Da er dazu nicht fähig war, hatte sie sich an einen anderen gewandt. So musste es gewesen sein. Es war dumm und egoistisch gewesen, zu denken, dass eine junge Frau unter diesen Umständen mit ihm glücklich werden könnte. Er hätte klüger sein müssen. Gerade als er sich zurückziehen wollte, kam ihm jedoch ein anderer Gedanke. Laut und klar. Er wusste eigentlich gar nichts. Nicht, ob er alles richtig gedeutet hatte. Nicht, ob es nicht doch eine Erklärung gab. Nicht, ob er falsch lag. Vielleicht war es doch anders. Und selbst wenn er Recht hatte, konnte er keine Frau, die er liebte, einfach so sterben lassen. Nicht seinetwegen. Nicht noch einmal. Das Gespräch mit Molly hatte ihm das eindrucksvoll verdeutlicht.

Geschickt schwang er sich in seinen grauen Nebelschwaden hinauf zu einem der schmalen Fenster. Er hörte noch, wie ihm Draco etwas warnendes hinterher rief, dann tauchte er in die Rauchschwaden ein. Die Hitze begann sofort, an ihm zu nagen, obwohl er nicht in seiner körperlichen Form war. Hektisch sah er sich um. Als Wohnraum war das hier kaum mehr zu erkennen, die Flammen, der Rauch und dazu noch seine Nebelgestalt verwirrten zudem seine Sicht. Er musste daraus auftauchen, aber dann wäre er dem Feuer schutzlos ausgeliefert. Nein, nicht schutzlos. Er war ein Zauberer. Und er musste Hermine retten. Das zählte. Sonst nichts. Als er mit seinen Füßen auf dem Boden des Raumes aufkam, züngelten sofort Flammen an seinen Hosenbeinen empor.

„Protego horribilis!"

Es war der mächtigste Schutzzauber, den er kannte, gemacht, um ein weites Gebiet vor Flüchen zu schützen, doch in der Regel wurde er von mehreren Zauberern gleichzeitig gewirkt und nicht gegen dunkelmagische Flammen wie diese. Aber es funktionierte. Eine Schutzglocke bildete sich um ihn herum und die Flammen wichen fauchend zurück, nur um immer wieder zu versuchen, darin einzudringen. Es war sehr kräftezehrend, den Zauber gegen das Feuer zu stemmen, doch sein unbändiger Wille trieb ihn an. In diesem Moment spürte er keine Zweifel, kein Zögern mehr, keine Wut, keine Eifersucht, keinen Stolz. Er hatte nur ein Ziel vor Augen: Hermine lebend finden und sie beschützen.

Lucius versuchte, das Inferno um ihn herum auszublenden und sich nur auf das Innere der Schutzglocke zu konzentrieren. Er stieg über ausgebrannte Möbel und Bücher, die schon beinahe zu Asche zerfallen waren. Es war kaum noch etwas von der Einrichtung übrig, was seine Hoffnung, die Schneekugel zu finden, schnell sinken ließ. Die Hitze des Feuers trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und der Rauch biss in der Nase. Lange würde er es nicht mehr aushalten. Ein Holzbalken krachte nur wenige Zentimeter vor ihm von der Decke und hätte ihn beinahe unter sich begraben. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Irgendwo hier war Hermine, vielleicht zum Greifen nah, aber es gab keinen Zauber, mit dem er sie finden konnte. Homenum revelio funktionierte nicht bei Verwandlungen und Accio nicht bei Menschen, selbst wenn, er kannte die genaue Form der Schneekugel nicht, ein Herbeirufen war also ausgeschlossen.

Eine letzte Möglichkeit gab es noch. Er schloss die Augen und drehte seinen Ehering, um noch einmal in Hermines Sicht der Welt um sie herum einzutauchen. Vor seinem inneren Auge loderten Flammen auf. Viel mehr konnte er nicht erkennen, aber das war schon einmal eine Hilfe. Erstens wusste er, dass sie noch am Leben war und zweitens konnte er es nun sehen, wenn sich die Schneekugel in der Schutzglocke befand, denn dann musste das Feuer verschwinden. Die Hitze wurde stärker. Sein Schutzzauber litt darunter, dass Lucius sich nun nicht mehr ganz auf ihn konzentrierte. Viel Zeit blieb ihm ohnehin nicht, denn das Gebälk drohte, jeden Moment über ihm hereinzubrechen. Er beschleunigte seine Schritte, stolperte dadurch einmal fast über etwas, das einmal ein Stuhl gewesen sein könnte, und hielt gerade so sein Gleichgewicht. Laute Schreie von draußen drangen zu ihm durch, vermutlich fingen die Flammen an, sich ihren Weg auf die Straße zu bahnen, angezogen von den Idioten, die immer noch mit Wasser löschen wollten. Hoffentlich kam bald der Einsatztrupp vom Ministerium. Die Fluchbrecher sollten sich mit der Bekämpfung von Flüchen wie diesem auskennen und dem Ganzen ein Ende bereiten können. Der Schweiß tropfte ihm inzwischen von der Stirn und er spürte, dass die Hitze immer stärker wurde. Seine Kräfte ließen mehr und mehr nach, aber er würde nicht aufgeben. Nein, er würde lieber sterben. Denn mit dem Wissen, Hermine im Stich gelassen zu haben, konnte er ohnehin nicht leben.

Die Magie zehrte von ihm und zwang ihn auf die Knie. Er kippte nach vorne, und für einen kurzen Moment klärte sich sein Blick, obwohl er die Augen noch geschlossen hatte. Um sich abzufangen, ließ er instinktiv den Ring los und die Verbindung brach ab. Als er aufsah, mit allen Vieren auf dem Boden, schimmerte eine kleine Glaskugel unter einem verkohlten Brett hervor, gerade so innerhalb der Schutzglocke. Mit letzter Kraft zog er die Kugel hervor, sie war so heiß, dass er sie beinahe fallen gelassen hätte, doch er hielt sie fest und drückte sie an sich. Er fühlte einen feinen, zarten Sprung an ihrer Oberfläche. Sie war beschädigt, verletzt, vielleicht irreparabel. Er war zu spät gekommen. Müde rollte er sich zusammen, darauf bedacht, dass die Kugel so gut wie möglich von den Flammen abgeschirmt war, sobald sie den Schutz durchbrachen. An Fliegen war nicht zu denken. Er hatte sich überschätzt, zwei Zauber dieser Intensität gleichzeitig zu wirken, hatte ihn ausgelaugt. Jetzt konnte er nur noch hier liegen, versuchen, den Schutz so lange aufrecht zu erhalten wie er konnte, und auf Rettung hoffen.

Als er spürte, dass es nur noch wenige Augenblicke dauern konnte, lenkte er seinen Geist zu schönen Erinnerungen. Zu Joan, die neben ihm im Gras lag, ihre Finger mit den seinen verzahnt, zu Draco, als er ihn das erste Mal im Arm hielt, zu Hermine, die ihn strahlend anlächelte. Er sah es ganz deutlich vor dem inneren Auge. Und dann, als er Frieden mit sich gefunden hatte, erlosch der Schutzzauber und das Flammenmeer brach über ihnen herein.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt