Teil 4 - Here we go again

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Die bekannte Stimme ließ YN zusammenschrecken, sie drehte sich um und lässig an der Ecke der Bank lehnte Hisoka.

"H-hallo" , stammelte YN.

"Ich dachte schon, du kommst nie wieder hierher", sagte Hisoka sanft. Seine Mundwinkel waren zu einem selbstbewussten Lächeln verzogen. "Hm, man könnte meinen ich habe dich ... vermisst." Sein Gesichtsausdruck ließ ihn irgendwie bizarr wirken. "Mir ist aufgefallen, dass es mich stört, wenn du mit anderen Männern sprichst."

Was?!

Die Röte stieg ihr in den Kopf und ihre Ohren fingen an zu kribbeln. Hisoka beugte sich zu ihr herunter und sein rechter Ellenbogen lehnte auf der Rückenlehne der Bank. Sein Kinn ruhte in seiner rechten Hand, während er ihr von der Seite einen fragenden Blick zuwarf.

YN war gar nicht aufgefallen, dass sie ihn regelrecht anstarrte. Diese plötzliche Aussage seinerseits hatte sie nicht erwartet. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand so direkt mit ihr sprach. Schon gar nicht ein wildfremder Mann wie Hisoka.

Was hat er gerade gesagt?! Hoffentlich steht mein Mund nicht offen.

Mit seinem linken Zeigefinger näherte er sich schlagartig ihrem Gesicht. Sie versuchte auszuweichen, doch er war schneller. Sein Finger lag unter ihrem Kinn und schob es vorsichtig nach oben.

Mein Mund stand offen. Verdammt!

"Was?" , fragte YN erstaunt, immer noch unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

"Du bist", fing er an, "seit dem Abend vor fast drei Wochen nicht mehr draußen gewesen. In der Bibliothek wäre es unangebracht gewesen, dich so direkt anzusprechen und angerufen hast du auch nicht.“ Hisoka holte ein Kartendeck hervor und fing an, es geistesabwesend zu mischen.

"Stopp! Stopp! Stopp?" YN war irritiert. "Bibliothek? Woher weißt Du, wo ich arbeite?" Ihre Augen wurden magisch von seinen Karten angezogen. Nun dämmerte es ihr. "Ist es deine Jokerkarte in meiner Wohnung? Wie zum Teufel hast Du sie dort reinbekommen?"

"Shh, schrei bitte nicht so. Die Leute gucken ja schon" , sagte er ruhig, aber mit einem hochgezogenen Mundwinkel.

Sie hielt sich vor Schreck beide Hände vor den Mund und schaute hektisch in alle Richtungen, ob sie nicht zu viel Aufmerksamkeit erregt hatte. Zwar schaute ein vorbeigehendes Pärchen kurz zu ihnen herüber, schenkte ihnen jedoch keine weitere Beachtung. Hisoka verließ seine Position und setzte sich - mit etwas Abstand - neben sie auf die Bank.

War er etwa in meiner Wohnung?! Ein wildfremder Kerl? Er muss durch das offene Fenster hineingestiegen sein und vorher über den alten Ahornbaum heraufgeklettert.
Moment, ich war zu dem Zeitpunkt duschen.

"Hast du gespannert?" schrie YN leise, sie war aufgebracht, wollte aber so eine heikle Sache nicht in aller Öffentlichkeit ausdiskutieren.

"Ich gebe zu, dass ich an dem Abend auf dich warten wollte, aber dann ist mir etwas ... dazwischen gekommen." Seine Augen blitzten auf.

Gelegenheit macht Diebe.

"Was soll der Satz 'Gelegenheit macht Diebe.'?" , fragte YN skeptisch. Hisoka schmunzelte in sich hinein: "Das erkläre ich dir ein andermal. Wäre es nicht langweilig, alles sofort zu verraten?"

Blitzartig rückte Hisoka näher ohne ihre Antwort abzuwarten. Zwischen ihnen war kaum mehr als ein halber Meter Abstand. YN versuchte, zurückzurutschen, merkte dann aber, dass sie bei dem Versuch auf dem Boden landen würde. Sie schluckte. "Verrätst Du es mir jetzt oder nicht?"

Er blieb regungslos sitzen, nur sein Grinsen wurde zu einem amüsierten Lächeln. "Du weißt, was du willst, das gefällt mir."

Er nimmt mich nicht ernst, er findet das wohl lustig.

Zwei Minuten vergingen und YN räusperte sich, sie hatte sich wieder beruhigt. Aus heiterem Himmel fiel ihr ein, dass sie sich noch gar nicht bei ihm bedankt hatte:" Danke, dass du mir geholfen hast, Hisoka. Ohne deine Hilfe ..." Sie fummelte unbeholfen am Gurt ihrer Tasche.

"Na na", unterbrach er sie. Er wandte den Blick von ihr ab, als ob es in der Ferne ein Spektakel gab, welches er sich ansah. Sein Blick wurde auf einmal kalt und ernst, als ob er sich gerade entschlossen hatte, eine Sache in Angriff zu nehmen.

"Komm, wir gehen ein Stück." Das war keine Frage. Hisoka erhob sich und YN folgte ihm aufs Wort. Beide gingen auf den Ausgang des Parks zu.
Die Sekunden, bevor jemand etwas sagte, schienen ewig zu dauern. Doch dann ergriff Hisoka das Wort: "YN, ich brauche dich."

Sie hatte kaum zugehört, denn es war das erste Mal, dass er ihren Namen sagte. Er sprach ihn melodisch aus, wie eine Zeile aus einem Gedicht. Als wäre die Anordnung der Buchstaben etwas, was er in diesem Moment neu erschaffen hätte.

So bewusst hatte sie ihn noch nie gehört.

Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck blieb er auf einmal stehen. In Gedanken analysierte YN immer noch die Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach.

"Vielleicht brauchst du mich doch mehr als ich dich." Als YN wieder in der Gegenwart war, bemerkte sie, dass sie fast mit einer älteren Dame zusammengestoßen war.

"Entschuldigen Sie bitte, ich habe Sie nicht gesehen", sagte YN mit einer kleinen Verbeugung und die ältere Dame war auch schon grimmig dreinschauend weitergegangen.

Wieso nur musste ich mich so peinlich verhalten? Sonst war ich doch auch nicht diejenige, die ständig in ihren Tagträumen unterwegs war.

Ob es wohl an Hisokas Anwesenheit lag? Einschüchternd war er ja schon. Immerhin war er fast zwei Köpfe größer als sie.
Jetzt erst musterte YN den Mann, der so unerwartet in ihr Leben getreten war.

Hisoka hatte neonpinke Haare, die schräg nach oben gestylt von seinem Kopf abstanden. Eine ungewöhnliche Haarfarbe für einen Mann, jedoch nicht so ungewöhnlich, dass es jemanden in Yorknew City gekümmert hätte.
Seine bernsteinfarbenen Augen waren wachsam und allein in diesen Augen lag ein besonderer Ausdruck. Er redete mit ihnen. Jeder, der nur genau hinsah, würde seine momentane Stimmung darin lesen können.
Unter seinem weißen T-Shirt konnte YN seinen muskulösen Körperbau erkennen und seine Oberarme bestärken sie in ihrer Beobachtung. Hisoka hatte gerade die richtige Mischung aus durchtrainiertem Körper und doch nicht zu viel davon.

"Gefällt dir, was du siehst?", fragte er, indem er sie aus ihren Gedanken riss. Beschämt und mit hochrotem Kopf wandte YN schnell ihren Blick ab.

Ich habe ihn mir doch wohl nicht gerade attraktiv geredet, oder? Was glaubt er eigentlich, wer er ist?
Wo sind wir eigentlich? ... Das muss ganz in der Nähe meiner Wohnung sein, aber wir müssen von der anderen Seite gekommen sein. Hier bin ich noch nie gewesen.

Sie standen in einer Seitenstraße, die fast parallel zu YNs üblichem Nachhauseweg verlief.

Eine gewisse Spannung lag zweierlei in der Luft. Jeden Moment musste es zu regnen beginnen und Yorknew City konnte hoffen, dass einiges vom Himmel herunter kam. YN konnte spüren, wie der Geruch der Luft sich veränderte.
Gleichzeitig stand sie mit Hisoka unweit ihrer Wohnung und niemand hatte seit seiner frechen Frage wieder etwas von sich gegeben.

Sein Blick wurde mit einem Mal drängend, als ob er auf den passenden Zeitpunkt wartete, eine Frage zu stellen.

Er hat etwas Einzigartiges an sich...


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