Teil 19 - Bestechung

1.9K 102 34
                                    

Hisoka sagte lange nichts. Zwischenzeitlich war er, in das Telefonat vertieft, aufgestanden und zur Balkontür gegangen. Er hatte YN den Rücken zugedreht und schaute auf das nächtliche Yorknew City.
YN konnte hören, wie am anderen Ende der Leitung jemand sprach, aber sie verstand kein Wort.
"Ja, Chef. Verstanden." Er legte irgendwann auf und seufzte. "Ich muss morgen Mittag zu einer Mission aufbrechen, keine Ahnung wann ich zurück sein werde." Er machte ein übertrieben trauriges Gesicht. "Jetzt hat er die Stimmung ruiniert."

Er warf sich zurück auf sein Bett und landete neben YN, die sich halb aufgerichtet hatte. Mit dem Zeigefinger fuhr er über ihren Oberarm, was ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Irgendetwas schien ihm durch den Kopf zu gehen.

Ich habe ihn noch nie so nachdenklich gesehen. Was hat sein Chef ihm wohl gesagt? Wird es eine lange andauernde Mission werden?

"Komm morgen nach der Arbeit wieder zu mir!" Das war keine Bitte. "Auch wenn ich morgen noch nicht zurück kommen sollte, warte hier auf mich, du hast eine Karte, um rein zu kommen."

YN wusste nicht, was sie antworten sollte. Einerseits wollte sie bei ihm sein, andererseits schien es ihr komisch, alleine in seiner Wohnung auf ihn zu warten. Im Grunde wollte sie nicht, dass er überhaupt gehen musste, aber Arbeit war Arbeit. "Wenn du nicht weißt, wann du zurück kommst, dann ist es doch absurd, dass ich mich hier tagelang einquartiere. Das kann ich nicht machen. Das ist doch total komisch."

Schmollend verzog Hisoka das Gesicht, er setzte sich in den Schneidersitz und stützte seinen Ellenbogen aufs Knie. Sich ebenfalls aufrichtend setzte YN sich ihm gegenüber und berührte gedankenversunken seine Verletzungen, die er vom Kampf davongetragen hatte. Sie hatte den Eindruck, dass sie schon wesentlich kleiner geworden waren. Die einzelnen Schnitte der Eiskristalle waren feiner als vorhin und längst nicht mehr gerötet wie frische Wunden.

"Was muss ich tun, dass du einwilligst?", fragte er erregt. In seine Augen trat ein aufgeregtes Funkeln, als ob man einem Kind ein Spielzeug versprochen hatte, und ganz unruhig wippte er von links nach rechts.

Mir versprechen, dass du mich nicht verletzen wirst.
Dass du bei der Mission nicht verletzt wirst.
Dass du wieder kommst.

"Was ist das für eine Mission, auf die du morgen gehst?" Sie lenkte vom Thema ab und wollte ihre wahren Gedanken lieber für sich behalten, hakte aber aus Neugier nach. Dass Hisoka und sie sich so nahe gekommen waren, war für sie Grund genug, genauer nachzufragen.

"Du kannst meine Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten." Sein Grinsen wurde breiter, er unterbrach ihren Finger, der fortwährend auf seiner Brust entlanggefahren war, und legte ihre Hand auf seine Herzseite. YN spürte ein kräftiges Schlagen und ihr eigenes Herz setzte für einen Moment aus. Niemand sagte etwas und so lauschte sie dem rhythmischen Beben durch ihre Handfläche durch. Die Wärme seiner Haut raubte ihr den Atem und das Flattern der Schmetterlinge verstärkte sich.

"Sobald ich zurück bin, verrate ich es dir. Deal?" Bevor sie etwas entgegnen konnte, hatte er seine Lippen bereits auf ihre gepresst.

Für den Anfang würde mir auch etwas anderes reichen.

"Deal, aber nur wenn wir da weitermachen, wo wir eben aufgehört haben", forderte sie mutig, als er ihr eine Atempause gönnte. Sie wurde rot. Das ließ Hisoka sich nicht zwei Mal sagen und zog sie umarmend zu sich.

"Mir gefällt es, wenn du sagst, was du willst. Das ist heiß." Sie errötete noch mehr und ihr Gesicht wurde ganz warm. Als er ihre Reaktion bemerkte, musste er schmunzeln. Dieses Mal küsste er sie auf die Haare, bevor er sich erneut ihren Lippen zuwandte.
Seine Hand fuhr von ihrem Knie Richtung ihrer Körpermitte. Mit einer zielgerichteten Bewegung drückte er sie ein wenig von sich weg und unterbrach ihren Kuss, so dass er ihr in die Augen schauen konnte.
"Du willst aber nicht in deiner Jeans und dem T-Shirt hier schlafen, oder?", fragte er plötzlich. "Zieh dich um."

Meint er mit 'hier schlafen' hier mit ihm in einem Bett? Etwa in seinem Bett?!

Verunsichert und ohne etwas zu entgegnen, löste sie sich aus seiner Umarmung und verließ sein Zimmer. Eilig holte sie ihren Rucksack und verschwand im Gästezimmer, drückte die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken an sie. Ihr Herz klopfte und sie bekam weiche Knie.

Was jetzt? Was jetzt? Ich muss einen klaren Gedanken fassen. Bin ich bereit? Warum nicht... Aber dann wird es ernst und es gibt kein Zurück.

Sie kramte in ihren Sachen und holte einige der Dinge hervor, die sie mitgenommen hatte. Sie beschloss, sich die Zähne zu putzen und ihr Gesicht zu waschen, das würde ihren Puls normalisieren. Als sie sich gesammelt hatte, ging sie die letzte Minute mental durch. Nachdem sie im Bad fertig war, konnte sie nicht drum herum, als sich einzugestehen, dass sie sich umziehen musste. Mehr Zeit konnte sie nicht schinden. In ihrem Hals war ein Kloß, zumindest fühlte es sich so an, denn das Schlucken fiel ihr schwer.

Was soll's?! Er hat mich gestern schon so gesehen und außerdem geht es gerade... heiß her. Da muss ich mir doch deswegen keine Sorgen machen. Oder?

YN holte Hisokas Shirt hervor, welches er ihr geliehen hatte, sie entledigte sich ihrer Kleidung und zog sich das graue Oberteil an. Im Badezimmer betrachtete sie sich im Spiegel und stellte fest, dass sie ein wenig überfordert war.

Warum verhalte ich mich so? Das ist doch keine große Sache, entspann dich.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, war Hisoka auch schon ins Gästezimmer getreten und stand in der Tür zu ihrem Bad.
"Alles in Ordnung oder brauchst du Hilfe?" Seine Frage war natürlich nicht ernst gemeint. "Ich dachte schon, du bist eingeschlafen. Ohne mich."

YNs Augen weiteren sich und sie blickte auf den Boden.

"Ah, du trägst mein Shirt. Ich dachte mir schon, dass ich es nie wieder sehe", scherzte er und umarmte YN von hinten. "Es steht dir sowieso viel besser als mir." Seine Nase berührte kaum spürbar ihr Ohr und sein Atem setzte die Achterbahn in ihrem Magen wieder in Bewegung. Langsam glitten seine Hände an ihre Schultern und drückten sie herunter. YN hatte nicht gemerkt, wie verspannt sie war. Mit einer bestimmten Bewegung fing er an, sie zu massieren und nach einer Weile lockere sich jeder Muskel in YNs Körper. Es war, als würde ein leichter Stromschlag durch sie hindurch fegen; seine Finger wussten, was sie taten. Hoch und runter an ihrer Wirbelsäule und ihren Schulterblättern setzte er seine gekonnte Technik ein. YN entfuhr ein erleichtertes Stöhnen.

Im nächsten Moment drehte Hisoka sie elegant um und zog sie hinter sich her, zurück in sein Schlafzimmer - seine Hand fest um ihre geschlossen.

Gelegenheit macht LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt