Teil 8 - Verabredung

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Am nächsten Morgen wachte YN voller Zuversicht auf. Heute würde sie sich mit Kaito auf einen Kaffee treffen. Da Samstag war, hatte sie lange geschlafen, die vergangene Woche war anstrengend gewesen. Noch im Bett liegend ging sie in Gedanken die Optionen in ihrem Kleiderschrank durch. Hauptsächlich befanden sich dort Kleidungsstücke, die sie bei der Arbeit tragen konnte, ihre Uniform sozusagen. Trotzdem hatte sie einige Teile, in denen sie ausgehen und sich hübsch fühlen konnte und da das Wetter sich in den letzten Wochen nicht verändert hatte und extrem heiß geblieben war, entschloss sie sich, etwas Sommerliches anzuziehen.

Sie war fast zu aufgeregt, um etwas zu frühstücken. Hastig zwang sie sich ein kleines Brötchen rein und trank einen großen Kaffee mit Milch. Nachdem sie ausgiebig geduscht hatte, föhnte sie sich die Haare und schminkte sich, wie an jedem Tag. In ihrem Schrank hing ein knielanges Sommerkleid, welches sie sich letztes Jahr gekauft hatte, aber bislang nicht zum Einsatz gekommen war. Da sie seltenst zu Verabredungen mit Männern ging, befürchtete sie, dass ihr Outfit zu viel des Guten sein könnte.

Ob das Kleid zu mädchenhaft wirkt? Sonst trage ich bei der Arbeit und auch sonst nur Hosen. Ich möchte ja auch nicht verkleidet wirken.
Wir treffen uns nur auf einen Kaffee, warum verschwende ich schon wieder so viele Gedanken daran? Heute habe ich aber Lust dazu, mich ein bisschen chicer zu machen und außerdem ist es zu warm für eine Hose.

Als sie sich fertig gemacht hatte, hatte sie noch genügend Zeit, bevor sie zu ihrer Verabredung losmusste. Sie überlegte, was sie noch anstellen könnte, um die verbliebenen zwei Stunden sinnvoll zu nutzen. In Gedanken ganz woanders, fing sie an, ihre Wohnung aufzuräumen, doch das war zügig erledigt. Eigentlich musste sie auch mal wieder einkaufen gehen, ihr Kühlschrank war so gut wie leer und nach der Arbeit hatte sie meistens nicht mehr die Lust, ihren Wocheneinkauf zu erledigen. Seufzend musste sie sich eingestehen, dass sie besser heute diesen unliebsamen Punkt auf ihrer To-Do-Liste aufhaken sollte, ansonsten würde sie sich spätestens am nächsten Montag ärgern.

Und so verließ sie ihre Wohnung und trat nach draußen in die brütende Hitze. Zum Glück war der kleine Laden, wo sie üblicherweise einkaufen ging, nicht weit entfernt. Die Straßen des Bezirkes waren wie leergefegt; nur diejenigen, die keine Wahl hatten, hielten sich in der Hitze draußen auf.
Im Laden angekommen suchte sie sich ihre gewohnten Dinge zusammen, nahm sich einen frischen Strauß Tulpen mit und stand auch schon bald an der Kasse. Geistesabwesend schweife ihr Blick umher und unwillkürlich blieben ihre Augen am Kaugummiregal kleben.

Bungee Gum. Hisokas Nen-Fähigkeit hieß doch so.

Sie griff nach einer Packung, ihre Neugier war geweckt. Nachdem sie bezahlt hatte, war sie auch schon wieder draußen auf dem Weg nach Hause. Unterwegs öffnete sie die Kaugummipackung und steckte sich eines davon in den Mund.

Schmeckt sehr süß.

Wieder in ihren vier Wänden angekommen, räumte sie die Sachen, die sie besorgt hatte, in den Kühlschrank. Die Tulpen schnitt sie bei den Stängeln an und stellte sie sorgsam in eine Vase voll Wasser.
Ab und zu kaufte sie sich Blumen, um ihr tristes Zuhause wenigstens ein wenig ansprechender zu gestalten. Sie seufzte, irgendwann, wenn es auch das Geld zuließ, wollte sie aus diesem Bezirk wegziehen. Dunkle Gedankenströme wirbelten in ihrem Kopf umher. YN war eine Meisterin, wenn es darum ging, sich in etwas hineinzusteigern, ganz egal ob positiv oder negativ. Wer längere Zeit mit ihr verbrachte, würde schnell dahinterkommen, dass 'Was wäre wenn?' und 'Ja, aber...' ihre Königsdisziplin waren.

Nein, ich darf mich jetzt nicht in sowas Negatives reinsteigern. Ich will das jetzt nicht, ich darf meine gute Laune nicht verfliegen lassen. Das wäre auch Kaito gegenüber unfair.

YN schaute auf die Uhr. Sie hatte sich wieder zu lange in ihren Tagträumen aufgehalten, denn sie musste jetzt wirklich los, um ihre Bahn noch zu erwischen. Schnell griff sie nach ihrer Tasche, packte ihr Buch ein und machte sich auf zur Straßenbahnhaltestelle. Dort war es - Gott sei Dank - deutlich kühler, weil die Bahn unterirdisch verlief.
Am Ziel angekommen und wie immer deutlich zu früh, setzte sie sich vor dem Café auf eine Bank und holte ihr Buch hervor. Sie schaffte es, ein halbes Kapitel zu lesen, als sie Kaito schon von Weitem auf sie zumarschieren sah.

"Hallo YN", begrüßte er sie freundlich. Sie legte ihre Lektüre in ihre Tasche, richtete sich auf und strich den Stoff des Kleides zurecht. Ihr entging nicht, wie Kaito sie anschaute und seine Ohren dabei rot wurden. "Du solltest öfter ein Kleid tragen, das steht dir."

Verlegenheit machte sich in ihr breit. Mit einem solchen Kompliment, und das auch noch von einem Mann, wusste sie nicht umzugehen. Betreten blickte sie auf den Boden. Sie wusste noch nie, wie man angemessen auf Komplimente zu reagieren hatte. Sie murmelte ein kleinlautes "Danke" und beide betraten das Café.
Kaito hatte am Abend zuvor vorgeschlagen ein gerade neu eröffnetes Lokal zu besuchen. Er kannte den Besitzer und sie würden spontan noch einen Tisch bekommen. Es stellte sich heraus, dass das Café eins der gemütlichen Sorte war: keine laute Musik, keine extravagante Einrichtung, keine aufgedrehten Kellner, die um einen herumschwirrten wie Wespen um ein Marmeladenglas.
Eine gute Wahl.

Sie setzten sich an einen Tisch, der sich im hinteren Teil befand, abseits der Menschenmenge. Kaito bestellte sich einen schwarzen Kaffee und YN einen Moccachino.
YN fiel auf, dass Kaito heute seine Haare wuscheliger trug. Sein sonst ordentlich gekämmtes schwarzes Haar zeigte wild in alle Richtungen und bedeckte seine Stirn. Seine großen dunkelgrauen Augen ruhten auf ihr. "Du bist öfter in deinen Tagträumen anzutreffen als in der Realität", lachte ihr Gegenüber. Weitere Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, vergingen, bevor jemand etwas sagte.

"Ja, das höre ich ständig. Tut mir Leid." YN lächelte ertappt, sie wollte den Nachmittag nicht ruinieren. Sie war es schon ein wenig Leid, ständig auf ihre Verträumtheit angesprochen zu werden.

Die nächsten 20 Minuten verbrachten sie damit, über alles und nichts zu reden. Etwas was YN absolut nicht mochte. Belanglose Geschwätz empfand sie auch früher schon als lästig, wusste jedoch, dass das zum guten Umgangston gehörte und so praktiziert wurde.

"Wenn du bei der Arbeit demnächst einem festen Bereich zugeteilt wirst, wo würdest du gerne hin? Vorausgesetzt du dürftest dir etwas wünschen." Sie wollte ihre Unterhaltung auf ein Thema lenken, wozu beide einen Bezug hatten, der Rest würde sich ergeben.
In dem Moment, als sie die Frage gestellt hatte, antwortete er unverzüglich: "Das ist mir egal, solange du auch da bist, YN." Kaitos Gesicht wurde knallrot und seine linke Hand berührte YNs, die am Moccachino-Glas ruhte.

Das hat er jetzt nicht wirklich so gemeint?!

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