Die Morgendämmerung brach bereits an, als YN endlich eingeschlafen war. Hisoka und sie hatten bis in die Nacht hinein geredet. Alles, was sie beschäftigte, völlig egal ob es mit Hisokas beruflichen Aktivitäten oder YNs Zweifel zu tun hatte, sie hatten darüber gesprochen - überwiegend ging es um sie beide und ihre Zukunft.
Seine eigenen Worte hallten in seinem Kopf wider: "Hab keine Angst, manchmal muss man Risiken eingehen und wenn du scheitern solltest, dann bin ich da, um dich aufzufangen." Allein diese Worte hatten ihr das Gefühl gegeben, dass er sie verstanden hatte, das hatte sie ihm zumindest versichert. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie zerrissen sie war und obwohl sie ein ernstes Gespräch geführt hatten, konnte er nicht anders, als die Situation schlussendlich aufzulockern. "Und solltest du dich wirklich mit jemandem anlegen", dabei hatte er seine geballte Faust in seine Handfläche geschlagen, "dann pauke ich dich raus."
Obwohl sie beide gelacht hatten, war es die Wahrheit gewesem und indem er ihr die Gewissheit gab, dass sie Seite an Seite standen, nahm er ihr die Angst; und gleichzeitig hatte sie mit ihrer Zustimmung seine Sorge aufgefangen. Diese bestand darin, dass sie ihn irgendwann nicht mehr brauchen könnte, dass sie entweder von alleine gehen würde oder ihm genommen werden könnte und natürlich dass sie nie wieder den Schlaf nachholen konnte, der ihr fehlte.
Hisoka lag auf dem Rücken und starrte zur Decke, sein gleichmäßiger Atem hatte YN auf seiner Brust in den Schlaf getrieben. Lange hatte sie sich geweigert, doch irgendwann hatte die Müdigkeit sie übermannt, sodass ihre schweren Lider zuklappten.
Er schmunzelte, als er daran dachte, wie sie kaum mehr einen zusammenhängenden Satz von sich geben konnte und augenblicklich bekam er die Retourkutsche, denn dort wo Ryus Eiszapfen ihm die halbe Brust aufgeschlitzt hatte, durchfuhr ihn ein ziehenden Schmerz. Zwar hatte er sich nach seiner kurzen Abwesenheit selbst verarztet und äußerlich war nichts mehr davon zu erkennen, doch Texture Surprise legte sich nur schützend über die Wunde. Heilen konnte ihn das nicht.
Hisoka sog die Luft scharf ein und verzog das Gesicht. Er wollte seine Liebste unter keinen Umständen wecken. Ihr friedlicher Schlaf trog und auch wenn sie allmählich wieder zu ihrer gewohnten Stimmung zurückgekehrt war, war dennoch etwas anders. Hisoka spürte, dass sie mit sich selbst einen Pakt geschlossen haben musste. Sie wollte stark sein und selbst wenn sie es nicht zugeben wollte, man konnte nicht, nur weil man etwas beschlossen hatte, von heute auf morgen ein anderer Mensch sein. Das war harte Arbeit.Außerdem war es anstrengend, ein in sich neu entfachtes Feuer aufrecht zu erhalten und so war sie mit der Zeit weggedöst. In Gedanken versunken malte er diffuse Formen auf ihre Schulter und obwohl er ebenfalls müde war, konnte er selbst keine Ruhe finden.
Ihn beschäftigte die Frage, warum Chrollo YN geküsst hatte. Ganz davon abgesehen, dass Hisoka als ihr Freund eifersüchtig war und es ihm natürlich nicht gefiel, wenn ein anderer Mann ihr nahe kam, fragte er sich, ob es den leisesten Hinweis gab - und Hisoka war sich sicher, dass, wenn er einer merken würde, es seinem Chef aufgefallen sein müsste - dass YN Nen wirken konnte. Wollte Chrollo sie so in Rage versetzen, dass ihre potentiellen Fähigkeiten ausbrachen? Was versprach er sich dadurch? Es konnte nur mit seiner Obsession zusammenhängen, sich seltene und mächtige Fähigkeiten aneignen zu wollen. Das brachte YN in größere Gefahr als bisher angenommen.
Diese Theorie ließ ihn nicht los, aber wenn sie welche hätte, welche wäre es dann? Man könnte nachhelfen, um ihre Nen-Fähigkeit zum Vorschein zu bringen, doch er entschied sich zunächst dagegen. Er wollte ihr fürs Erste ein bisschen Normalität gönnen und außerdem hatten sie ihre gemeinsame Wohnung zu beziehen. Um jeden Preis wollte er verhindern, dass irgendjemand oder irgendetwas dazwischen kam, dafür würde er sorgen.
"Hisoka, ist was? Du bist so angespannt." Mit schläfrigen Augen und müden Armen versuchte sie sich aufzurichten, doch Hisoka hinderte sie daran, indem er sie an seine Brust zog.
"Habe ich dich geweckt?" Liebevoll drückte er einen Kuss auf ihre Haare, um sie an ihrem Vorhaben zu hindern. Sie sah ihn lächelnd an, dankbar für das, was er für sie getan hatte - nicht nur dankbar für die vergangenen Stunden, sondern auch für seine unbeschwerte Art, wie er die Dinge anging.
Sie griff ihm in die Haare, obwohl sie wusste, dass er es nicht leiden konnte, aber da seine Frisur sowieso ruiniert war, sah er darüber hinweg und nachdem YN seine Haare endgültig verwuschelt hatte, setzte er sich auf und sie auf seinen Schoß. Es war wieder an der Zeit, die unbeschwerten und schönen Momente aufleben zu lassen.Sein neckisches Grinsen verriet ihn, doch ehe sie etwas unternehmen konnte, umfassten seine Hände zärtlich ihren Nacken und sein Mund näherte sich ihrem.
Ihr Kuss entlud eine Woge von angestauten Emotionen, die nur darauf gewartet hatten, dass diese freigelassen wurden und mit ihr kehrte ihre Unbeschwertheit allmählich zurück.Widerwillig lösten sie sich voneinander. "Heute machen wir nur das, was Spaß macht. Die letzten 48 Stunden waren aufregend genug", bestimmte Hisoka ausgelassen.
Die letzten 48 Stunden? Aber es stimmt: Unser Date im Mafiapalast, die Überraschung mit der Wohnung, die Überraschung in der Wohnung, der Anruf, Chrollo, Hisokas Mission, Chrollos Kuss, Hisokas Rückkehr, unsere Aussprache...
Bevor ihr bei diesen Gedanken schwindelig werden konnte, erhob er sich zusammen mit YN, die noch immer auf seinem Schoß saß und sich nun mit beiden Beinen an seiner Körpermitte festklammern musste, um nicht herunterzurutschen. Dass sie sich wieder so nahe waren, versetzte YN in den Zustand, den sie vor ihrer Beziehung verspürt hatte: Sie fühlte sich, als hätte sie durch ihr Verhalten einen Rückschritt gemacht, doch Hisoka schien euphorischer denn je zu sein und verhielt sich, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen.
Sie seufzte erleichtert, denn sie hatte die Befürchtung, dass er sich ebenfalls distanzieren könnte, aber dem war nicht so.Er setzte sie auf der Küchenzeile ab und inspizierte den Inhalt des Kühlschrankes. "Hm, wenn wir demnächst zusammen wohnen, müssen wir uns besser organisieren. Wir werden in Zukunft nicht mehr auf Agatha bauen können." Er ging zum Telefon, welches in der Nähe der Wohnungstür hing, und rief die Angestellte an.
"Agatha bringt uns gleich das Frühstück, aber zuerst sollten wir uns wenigstens fertig machen." Sein Blick wanderte an YN herab, die in ihrem völlig zerknitterten T-Shirt und der kurzen Jeansshorts dasaß, die er ihr ausgesucht hatte. Ohne Umschweife warf er sich seine Freundin über die Schulter und trug sie in sein Badezimmer.
Obwohl er am Abend zuvor bereits geduscht hatte, hüpfte er mit ihr drunter.
Der heiße Dampf entspannte YNs Muskeln, die sich nach einigen Stunden auf dem Sofa und Hisokas Brust steif anfühlten. Während das warme Wasser auf sie prasselte, konnte er nicht die Finger von ihr lassen und auch als sie sich abtrocknete und die nassen Haare kämmte, wich Hisoka ihr nicht von der Seite; er schwirrte wie eine Motte um die einzige Lichtquelle weit und breit, dass es beinahe lästig war. Doch YN beschwerte sich nicht, sie liebte es, wie er ihr Aufmerksamkeit schenkte und sie auf Händen trug.Bevor sie bereit waren zu frühstücken, schlug Hisoka vor, dass sie sich gegenseitig Symbole ins Gesicht malten. YN durfte den Anfang machen und suchte sich pink für den Stern und grün für die Träne aus.
Konzentriert setzte sie an und schwang den Pinsel über seine Wange. Dieses Mal war sie geübter und weniger zittrig, sie wollte ihn beeindrucken; voller Stolz wartete sie auf sein Lob, sobald sie fertig war.
"Es ist dir besser gelungen als beim letzten Mal", gab er zu, "aber du hast die Seiten vertauscht. Stern rechts, Träne links - nicht umgekehrt." Ein leicht spöttisches Grinsen lag auf seinen Lippen, als er ihr hochrotes Gesicht sah. Sie wollte einen schlagfertigen Spruch abfeuern, aber ihr fiel keiner ein und so murmelte sie ein kleinlautes 'Idiot' und boxte ihm liebevoll auf den Oberarm.
"Das wird schon zur Gewohnheit", stellte er übertrieben klagend fest und rieb sich mit seinem ganzen schauspielerischen Repertoire den Arm.Als nächstes durfte er YN bemalen, sie hatte es ihm zuliebe, wenn auch zähneknirschend, versprochen. Sie wollte keine Spielverderberin sein, obwohl sie es ein wenig albern fand.
Hisoka drehte sie vom Spiegel weg, damit sie nicht sehen konnte, was er fabrizierte und sie hatte schon die schlimmsten Befürchtungen, dass er sich für ihren Schlag rächen wollen würde. Nach einer knappen Minute drehte er sie um und schaute sie erwartungsvoll an. Ein kleines, rotes Herz zierte die Stelle unter ihrem rechten Auge. "Du bekommst nur ein Herz, weil ich im 'Team Morrow' über dir stehe", erklärte er ihr mit ernster Stimme, als würde er ihr gerade die Naturgesetze der Physik erläutern; ein Lächeln konnte er sich jedoch nicht verkneifen.Ihr Bauchkribbeln flammte von Neuen auf und sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn besser umarmen zu können. Ein Gefühl der tiefen Verbundenheit durchströmte sie. "Du bist ein Idiot, aber dafür liebe ich dich umso mehr."
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Gelegenheit macht Liebe
FanfictionFanfiction in Arbeit. Hisoka × Reader Du führst ein völlig normales Leben - fast schon ein langweiliges. Bis plötzlich Hisoka in dein Leben tritt und einiges durcheinander bringt. Es beginnt ganz harmlos, aber früher oder später könnt ihr nicht me...