*98* / Hold on...

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Während Flo ein Pflaster auf den Cut klebt schaut Karin sich unseren Sohn einmal an. Sie kann auch echt super mit Kindern. <Baby? Wir bringen euch beide gleich einmal zum Durchchecken ins Krankenhaus. An sich scheint es momentan aber so, dass ihr Beide wie durch ein Wunder Nichts abbekommen habt.> erklärt Flo und ich zucke mit den Schultern. Natürlich könnte ich mit ihm diskutieren und wären Andere Sanis hier würde ich meine Behandlung vermutlich auch verweigern. Bei Flo würde es aber spätestens heute Abend daheim ausdiskutiert werden. Und das seeehr sehr lange. Da ich da gut drauf verzichten kann bleibe ich friedlich.
Papa kommt wieder in den Patientenraum und sagt <Wir holen deinen Bruder gleich achsengerecht aus seinem Wagen. Er wird mit dem Hubschrauber transportiert. Du kannst ihn nicht mehr sehen Em. Es tut mir...> Weiter kommt er nicht, denn Björn schreit von draußen <Oli Crash Rettung!!> Papa springt wieder raus und ich hinterher. Weder Karin, welche auf der anderen Seite der Trage steht, noch Flo, welcher an einem Schrank ist können schnell genug reagieren.
Unelegant verlasse ich selber den RTW und sehe, dass Jonas grade mitten auf der Kreuzung reanimiert wird. Mir entfährt ein erschrockenes <Neeeiiinnnn! Joooonnnnaaaaaaassssss...> während ich von Ilka und Stephan davon abgehalten werde zu ihm zu laufen. Jonas darf nicht sterben. Ich brauche meinen Bruder doch noch! Wir wollen doch mit Leon zusammen zur nächsten Vierschanzentournee. Es ist doch alles schon geplant und gebucht.
Ich wehre mich heftig gegen die beiden Polizisten und auch Florian kann mich nicht beruhigen. Jonas war doch auch immer für mich da. Wir haben zusammen gelacht, geweint und getrunken. Wir waren als ich Teenager war auf weirden Partys und er hat mir auch so viel beigebracht. Ich darf ihn nicht verlieren. Kann ihn nicht verlieren. Wir haben doch noch so viel vor. Was soll ich denn ohne meinen ältesten Bruder machen?
Die Zeit vergeht quälend langsam während wir im Regen stehen und ich auf das Geschehnis starre. Es ist aber mehr ein apathisches Starren. Ich habe aufgehört mich zu wehren und stehe eingerahmt zwischen Ilka, Stephan und Flo. Ein zweites NEF fährt vor und aus dem Augenwinkel erkenne ich Phil. <Ihr können wir grade nicht helfen. Schau dir bitte im RTW nochmal Levin an. Ich weiss, dass Kinder nicht dein Fachbereich sind aber als Arzt siehst du eventuell mehr als wir.> bittet Flo ihn und drückt sich danach  ganz nah an meinen Rücken. Er legt seine Arme beschützend um meinen Oberkörper und drückt mir einen Kuss auf den Hinterkopf. Was wäre ich grade nur ohne ihn? Er kennt das Gefühl welches ich grade habe gut genug. Wie oft haben wir um mein Leben gekämpft? Keine Ahnung wie er das jedes Mal geschafft hat.
Keine Ahnung wie viel Zeit vergeht bis Jonas endlich wieder einen Herzschlag auf dem Monitor hat. Erleichtert atme ich halbwegs auf und sinke runter auf die Knie. Ohne wirklich zu verstehen warum erst jetzt beginne ich zu weinen. Es sind aber mehr als nur Tränen, denn mein ganzer Körper bebt. Vermutlich realisiert mein Kopf dann auch mal was grade wirklich passiert ist. So schwach habe ich meinen Bruder noch nie gesehen. Selbst nach seinen Operationen im Jugendalter sah er immer besser aus.
<Wenn ihr mir meinen Bruder weg nehmt mache ich dich irgendwann dafür fertig Tom!> sage ich dann in den Himmel und wische meine Tränen mit dem Handrücken fort. Ich habe nie so wirklich jemandem von meinen Begegnungen mit Tom erzählt, denn vermutlich würden sie mich für verrückt halten. Aber ich glaube daran, dass er irgendwo weiter lebt. Genauso wie Sina. Vielleicht wünsche ich es mir auch nur so sehr um damit klarzukommen, dass sie nicht mehr hier sind.
<Na komm Emmi. Wir fahren ins Krankenhaus damit dein Cut einmal richtig genäht werden kann. Und Tabea soll sich Levi nochmal genau ansehen. Dein Papa wird sich um deinen Bruder kümmern. Du weisst dass er super ist.> meint Phil irgendwann und reicht mir eine Hand um mich hochzuziehen. Ich nehme sie dankend an und stehe wieder auf. Wir sind alle kletschnass (gebraucht man das auch außerhalb des Ruhrgebiets? kenne das echt nur hier) und ich fühle mich grade schlecht, weil sie wegen mit so lange im kalten Regen standen. Dabei waren heute eigentlich angenehme 26°. Zum Glück habe ich meine Decke im RTW gelassen und kann sie jetzt um meine Schultern wickeln. So wird vielleicht ein bisschen Wasser aus meiner Kleidung gezogen.
Da Phil meine aktuelle Hautfarbe nicht gefällt muss ich liegen. Ich zitiere mal kurz seine Aussage "Mein weißes Hemd daheim von der Hochzeit deines Vaters und eurer Hochzeit hat mehr Farbe als du grade und bevor wir dich nochmal vom Boden aufsammeln  müssen bleibst du sofort liegen!" Eigentlich ne eher typische Aussage für Alex. Immerhin ist er halbwegs mit meinen Vitalparametern einverstanden. Alles Andere würde jetzt sonst seehr anstrengend werden.
Ohne weitere spektakuläre Vorkomnisse unsererseits gehts in die Klinik und ich kuschel mit Levi welcher grade den RTW von innen inspiziert. Scheint für ihn wirklich interessant zu sein. Zudem der Papa in ganz anderer Kleidung. So grell leuchtend und spannend. Wie gerne würde ich die Welt noch einmal durch die Augen von Kindern sehen können. Alles was für uns komplett normal ist, ist für sie unglaublich interessant und spektakulär. Jedes neue Geräusch, jede neue Form, jedes neue Gefühl.

Ex hoc momento pendet aeternitas - omnia vincit amorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt