Fast am Ziel,...

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Auf einer grünen Wiese tanzte sie und ihre Haare flossen wie flüssiges Gold über ihre Schultern. Der Wind tanzte um ihr lockeres Kleid während ich mich auf ein Holzgeländer setzte. Ihre gletscherblauen Augen funkelten wie Murmeln und waren von dunklen Fächern umgeben, die sich elegant schlossen um das perfekte Innere zu verbergen.
Sie hob ihre Hand, tanzte auf nackten Füßen durch Blumen und Gras und legte sie an meine Wange.
Langsam öffnete sie den Mund, lachte, ließ mich los und rannte in die Mitte des offenen Feldes am Rande eines mir nicht bekannten Waldes. Wir lebten gläubig in unserer Familie auch wenn in der gesamten Welt der Glaube schwand und das lag nicht nur an Aufklärung und Literatur, es lag einfach an den Menschen die dem Schicksal nicht folgen wollten.
Doch im Hier und Jetzt glaubte ich.
Ich glaubte und wollte mich dem Schicksal gerne geben, welches mich zu ihr brachte. Mich sie sehen ließ. Ich war es nicht wert diese Augen zu sehen und doch wirkte es wie mein Lebenssinn.
Einen Sinn den ich erst jetzt gefunden hatte.
In mir spürte ich eine innere Unruhe die mich dazu veranlasste auf meiner Lippe zu kauen und doch konnte ich meine Augen nicht von ihrer Gestalt nehmen. Die Sonne funkelte und ließ ihr Haut warm und weich wirken. Die Muskeln ihrer Waden wirkten starr und als sie zu einem Sprung ansetzte und ihr waberndes Kleid durch die Luft wehte, wollte ich am liebsten meine Augen von ihr nehmen. Weder Kleid noch Frisur passten in unsere Zeit. Es wirkte fremdartig und wahnsinnig vertraut zugleich.
Ich stand auf, lief zu ihr und während sie laut atmend und mit hastig auf und ab fahrendem Brustkorb stehen blieb und sich auf die Knie stützte, fragte ich:„Woher kommen Sie?"
Sie antwortete nicht, grinste und legte ihre Arme um meinen Hals.
„Was glaubst du?" Fragte sie und ihre eisblauen Augen ließen mich frösteln.
„Bist du die Tochter eines griechischen Gottes?"
„Vielleicht," sie lachte und Fältchen der Freude legten sich um ihre Augen:„Wo wohne ich?"
„Fern von hier. Unerreichbar für jene, die danach suchen," sagte ich intuitiv.
„Mh. Und für jene, die nicht suchen?"
„Für die ist es das Paradies vor dem Ende."
„Ja. Das ist mein Zuhause."
Sie lachte und es klang wie raue Wellen die an den Klippen zerschellten, legte den Kopf in den Nacken und hob die Hände über den Kopf, als würde sie fliegen.
„Gerne würde ich wieder fliegen, Zenon. Gerne wieder durch die Lüfte gleiten, wie meine Sippe es einst tat."
Ihre Arme fielen zurück, kraftlos an ihrer Seite baumend und ihre Augen dunkel von tiefster Trauer, als sie sprach: „Aber aus Fehlern kommen Regeln und Gesetze und aus dem Scham folgt die Furcht. Und doch sind wir noch was wir einst waren, obgleich wir uns in alter Gestalt nicht mehr gleichen. Aber unsere Leben bleiben die Selben. Ich würde blind werden für diese Welt, denn ich gehöre in eine andere."
„Ein jeder würde gerne blind werden für das was er liebte, wenn er dich sehen könnte"
Sie grinste und ihre hellen Lippen wirkten so perfekt. Wie gemalt. Geschwungen wie ein Pinsel mit heller, roter Farbe auf einer Leinwand von kostbarstem Weiß.
Gerne würde ich ihre Lippen mit meinen verbinden. Sie an mich binden und nie mehr verlassen.
Aber die Realität würde meine Tagträume verschlingen und mit sich ziehen wie eine turmhohe Welle während eines Sturmes. Das Meer würde dunkel werden und das Mädchen, welches ich so schnell lieben gelernt, verschlingen. Alle Erinnerungen an sie auslöschen und nur noch das Biest zu sehen sein, welches mit Krallen und Zähnen aus Pfeilspitzen nach mit verlangte.
Und ich würde sie auch dann gewähren lassen. Auch wenn ich nicht jener war, den sie in dieser Nacht töten wollte.

Ich schlug die Augen auf, und die Realität die ich verdrängen wollte erschlug mich wie ein Mann mit einer Keule.
Dunkelheit breitete sich in meinem Herzen aus und ließ mich erschaudern. Ein unheimliches Grauen lag in diesem Raum aus dunklem Stein. Der Tisch war voller vergilbter Blätter auf denen ich gestern bis spät in die Nacht malte. Der Regen prasselte auf das Dach und gegen das Fenster. Mein Atem war eisig in dem Zimmer, welches dank dem Regen an hoher Luftfeuchtigkeit verloren hatte.
Und doch schien mein Verlangen nach Freiheit den Raum schrumpfen zu lassen.
Auch wenn ich Tage damit verbracht hatte die Schritte von der Tür zum Bett, vom Bett zur rechten und linken Wand und zum Bad zu zählen, schien der Raum jeden Tag an mindestens drei Schritten abzunehmen.
Kleiner und kleiner wurde mein Bereich an Freiheit und nach einem Traum von solcher Schönheit wollte ich den salzigen Tränen gerne gestatten ihren Weg aus meinen Augen zu finden.
Noch immer sah ich das Feld voller Blumen und hölzernen Zäunen umringt vor meinem inneren Auge. Ich sah den Waldrand und die saftigen Blätter an den dürren Bäumen.
Ich sah mein Paradies an einem Ort irgendwo fern von hier. Nah am Rande meiner Träume.
Und auch wenn die Bilder lebendig wirkten existierte sofort die Grenze von Traum und Wirklichkeit, die einen tagelang festhalten konnte. Und doch verschwammen sie nicht wie an manchen Tagen, sondern waren strickt getrennt und wahrlich schön anzusehen, auch wenn die Erinnerungen bereits nachließen.
Und jetzt dämmerte es.
Der Regen plätscherte auf das schiefe Dach.
Und meine Gedanken kreisten wie Pferde in einer Manege.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt