Wir haben das Riff und den endlosen Wald hinter uns gelassen...

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Als ich die Augen aufschlug war mir, als wäre meine Lunge kurz davor zu kollabieren.
Langsam richtete ich mich auf. Es war so hell. Alles schmerzte. Alles war trocken und sandig.
Verklebt und meine Lippen schienen spröde.
Ich schaute zur Seite und sah ein Mädchen mit langen blonden Haaren im Sand sitzen.
„Pearl! Es geht Ihnen gut... aber wie..?"
„Mir geht es gut. Aber dass es Ihnen gut geht ist erstaunlich."
Ihr weißes, eng geschnürtes Kleid ließ ihre Taillie dünn und ihre Hüfte perfekt geschwungen wirken. Als ich meinen Blick hob und sie ansah staunte ich. Sie lächelte.
Warm war es. Es war perfekt. Fast schon unmenschlich.
„Sie haben im Wasser getrieben, ich habe sie herausgezogen. Sie schienen sehr verstreut zu sein. Ich wusste nicht, wo Sie wohnen, deshalb habe ich gewartet, bis Sie aufwachen... Darf ich Sie Zenon nennen?"
Hastig nickte sich... doch da fiel es mir wieder ein. Alles.
„Und die Mädchen?"
„Welche Mädchen?" Fragte sie und legte ihren Kopf schief.
Schnell biss ich mir auf die Lippe. Hatte ich das  nur geträumt?
Ein Traum, tatsächlich?
„Ich muss jetzt gehen. Zenon... Wir sehen uns."
„Ja!"
Wir sehen uns... mein Herz raste vor Freude.
Sie stand auf, klopfte den Sand von ihrem Kleid und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Langsam stand ich auch auf. Ich war voller Sand und klebte wegen des Salzwassers. Vielleicht hatte sie recht, aber so sehr ich mich auch freute, ich konnte es nicht vergessen. Nicht diese Frauen, nicht den Gesang, der sich in meine Gedanken gebrannt hatte. Wie ein Brandmal, was man sein Leben lang mit sich trägt...
Der Traum war zu real. Auch wenn ich seit meiner Jugend intensive Träume hatte, dies was unnatürlich real.

Und während ich so ging und darüber nachdachte, was ich meinen Eltern sagen sollte, verschwand die gute Laune schlagartig. Mein Vater würde mir Schellen geben. Meine Mutter hysterisch um ihr schwindendes Ansehen weinen.
Dass ich eine junge Frau bedrängt hatte würde bestimmt die Runden machen.

Als ich vor der dunklen Tür stand zögerte ich.
Nicht, weil ich mich fürchtete, sondern weil ich mir immer noch keinen Grund hatte einfallen lassen, warum ich nicht zu Hause gewesen war.
Langsam atmete ich aus. Mein Kopf war zu vernebelt und ich konnte nicht nachdenken. Ich schaffte es nicht.
Also trat ich einfach ein.
Vielleicht konnte ich das Gespräch auch vermeiden...
Leise schlich ich den Flur entlang und ging um die Ecke, um mich so schnell wie möglich am Geländer hochzudrücken. Aber mir war es vergönnt in Ruhe in mein Zimmer zu gehen, denn am Rande der Treppe stand meine Mutter. Aber wütend wirkte sie nicht. Nicht im geringsten.
Sie wirkte fröhlich.
„Wie ist ihr Name, Zenon? Woher kommt sie? Was ist der Beruf ihres Vaters? Wie lautet ihr Familienname?"
Ich blieb stehen und rieb mir die Schläfen.
Das hatte ich nicht erwartet.
Was wusste sie und was nicht?
„Sie heißt... Pearl. Ihren Familienname kenne ich nicht. Über ihre Eltern weiß ich nichts. Über den Beruf ihres Vater handelte keines unserer Gespräche." Ich wollte nicht reden...
Sie wirkte enttäuschter, als ich es vermutet hatte.
Mit ihren langen, hageren Fingern berührte sie die strenge, hohe Frisur auf ihrem Kopf und seufzte.
„Nun ja, erkundige Dich das nächste Mal. Du triffst sie doch?"
Ich nickte.
Das reichte ihr wohl. Sie nickte ebenfalls und ging an mir vorbei die Treppe herunter.
Keine Schreie? Keine hysterischen Tränen?
Das verwunderte mich nun schon, mein Blick war deshalb sicher leicht zu deuten.
Woher kannte sie...
Ich sollte einfach nicht darüber nachdenken.
Ich hoffte nur, dass ich meinen Vater nicht auch noch eine Erklärung schuldig war.
Aber das war ich offenbar, denn als ich mich an meines Vaters Studierzimmer vorbei schlich, da hörte ich seine kalte Stimme schon. Ich blieb stehen aber drehte mich nicht, um ihn anzusehen, wie andere es getan.
Ich fürchtete ihn.
Ich fürchtete seine Strenge.
Seine Authorität mir gegenüber.
Seine Macht...
„Frag sie nach ihrem Familiennamen. Ich will nicht, dass du eine Frau heiratest, die deiner nicht wert ist."
Leise nickte ich. So schnell es ging und mit gesenktem Kopf lief ich in mein Zimmer und setze mich auf mein Bett. Erst jetzt fühlte ich mich sicher.
Aber jedes Mal, wenn ich meine Augenlider schloss, da sah ich sie. Da sah ich dieses schwarze Wasser und die eisigen Häute... ich sah die dunkle See und ich zitterte am ganzen Leib. Ihre Augen wollten mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie wollten nicht verschwinden.
Und egal wie oft ich meinen Kopf nach links und rechts drehte.
Egal, wie oft ich meine Fingerknöchel so fest drückte, dass es knackste.
Diese Bilder waren wie tänzelnde Flammen in meinen Gedanken. Und ich glaubte, sie nie wieder löschen zu können.
Ich stand nervös auf, meine Hände nass und kalt, kramte ich aus einer hellen Schublade ein Papier und meine Kohlestifte.
Mein ganzes Zimmer war voller Zeichnungen. Die hohen Wände beklebt mit Bildern von Drachen und Bergen. Die andere Wand voller Personen, die ich abgezeichnet hatte, als ich auf dem Marktplatz am Brunnen gesessen und die Leute beobachtet.
Und auch jetzt fuhr ich mit der schwarzen Kreide über das blanke Papier. Meine Finger schon dunkel und das Papier voller Striche und Linien, die deutlich drei Frauen zeigten, die auf einem Stein inmitten des Meeres saßen. Aber das genügte nicht. Wütend legte ich das Blatt zur Seite und nahm ein neues. Dieses Mal waren es vier Wesen, die um ein Fischerboot schwammen. Ihre Hände gen Himmel gerichtet, als warteten sie auf das jüngste Gericht. Schnell legte ich die Kohle schief und schraffierte sowohl Boot, als auch dunklen Himmel.
Das nächste Bild zeigte nur eines. Es war Pearl. Ihre Lippen, die perfekt geschwungen und leicht geöffnet standen. Ihre Augen, die müde und halb geschlossen zu mir blickten. Eine Hand, die über ihre Wange strich und seichte Tränen berührte, die über ihre Haut glitten.
Wie?
Ich konnte nicht aufhören und erst als ich mit keiner meiner dreizehn Zeichnungen zufrieden war, stand ich auf, trat wütend auf den Boden und kniete mich neben mein Bett, um den Kopf auf die Laken zu legen.
Alles brummte. Und der Gesang meines Traumes hallte in meinen Ohren wieder. Normalerweise zeigte ich solche Gefühle nicht, aber das jetzt war mir zu viel, also kniff ich die Augen zu und summte leise die Melodie nach.
Da klopfte es an der Tür.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt