Manchmal kann dies die Rettung sein.

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Als ich in dem kleinen Zimmer saß war mir, als ginge meine Welt unter. Sie war schwarz und wahnsinnig dunkel. Nichts war bunt. Nichts lebte.
Ich hatte mich innerlich auf mein Ende vorbereitet.
Denn das würde es sein, mein endgültiges Ende.
Ich musste wahnsinnig aufpassen, dass ich nicht zu weinen beginnen und laut los schluchzen würde.
Der starke Geruch von Medikamente stieg mir  in die Nase und machten meine Augen trocken.
Meinen Hals auch, aber das lag wohl an der Angst.
Die gelben Wände waren dreckig, alt, bröckelig. Die alten Regale, auf denen unzählige Flaschen, Falcons, Tuben und Gläser mit jeglichen Füllmitteln standen, waren ebenso abgenutzt.
Ich kannte diesen Raum zu gut, viel zu gut.
Als ich kleiner war, waren wir viele Male hier gewesen, um mich untersuchen zu lassen.
Um zu testen, ob ich meinem Bruder gliche.
Und jetzt sah es tatsächlich so aus, als täte ich das.
Ich saß auf der Liege und schaute zur Tür, die sich soeben mit einem leisen Schrei öffnete.
Schreie aus der Hölle?
Er zog seinen weißen Kittel an, gab meiner Mutter die Hand, dann mir und setzte sich auf den Stuhl.
„Guten Tag, Frau Zabat. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Meine Mutter war aschfahl im Gesicht als sie dem Arzt unsere Situation schilderte.
Als sie vor ihm stand und ihm erzählte, dass sie seinem Rat gefolgt und gekommen war, wenn ich ähnliche Symptome aufwiese.
Er nickte nach alledem und die Stille fraß sich ihren Weg in meinen Kopf, sodass es weniger still war, eher so, als würden tausende Menschen laut schreien und um Gnade betteln.
Gnade vor was?
Dem jüngsten Gericht?
Dem Pluralismus im Allgemeinen?
Dem Leben?
Aber in diesem Moment merkte ich, dass es meiner Mutter schlecht ging und dass sie jeden Grund dazu hatte wütend, verwirrt und laut zu sein. Sie hatte schon einmal einen Sohn an den unergründlichen Wegen seiner Psyche verloren. Das wollte sie nicht wieder.
Und still beschloss ich es ihr nicht noch schwerer zu machen. Still betete und hoffte ich auf ein Wunder.
Oder mehrere.
Meine Mutter wurde aus dem Raum geleitet und ich war alleine.
Der Arzt saß während dieser drei Stunden vor mir, den Stift in der Hand, die Tinte auf das Pergament tropfend.
„Und Halluzinationen? Schizophrenes Verhalten?"hakte er nach.
„Keines der Genannten, glaube ich. Denken sie, ich leide unter Schizophrenie?!"
„Sind Sie sicher?" fragte er, ohne auf meine Frage zu achten.
„Bitte?"
„Die Halluzinationen."
„Ich weiß nicht...Woher könnte ich wissen, ob sie echt oder trügen, wenn ich sie halluziniere?"
Der Arzt wusste darauf keine Antwort.
„Nun, hören sie Stimmen?"
„Jeden Tag."
„Ausgedachte?"
„Momentbedingt. Gehen wir hierbei auf innere  Stimmen ein, oder Äußere?"
„Beides."
„Schwer zu sagen."
Er schrieb „Desorientiert" auf seinen Zettel.
„Moment, ich bin nicht desorientiert, ich weiß nur keine Antwort auf Ihre Frage... wenn Sie sie differenzieren..."
„Nicht nötig," fiel er mir ins Wort und schrieb „Exzentrisch" auf seinen Zettel.
Exzentrisch? Bitte? Ich hob eine Augenbraue und legte meinen Kopf in meine Handflächen, dann sah ich ihn wieder an.
Ihn und seine große Nase, ihn und seine winzigen blauen Augen.
„Kopfschmerzen?"
„Jetzt gerade? Nein. Ab und zu."
Er nickte und schrieb etwas unlesbares. Dabei war ich gut darin Schriften zu entziffern.
Seine in diesem Fall nicht.
Er hob den Blick erneut und fragte:„Fühlen Sie sich in Menschenmengen, als auch menschenleeren Räumen oder Plätzen beobachtet?"
„Reden wir von meinem Bruder?"
Er schrieb „weicht der Frage aus".
„Nein," antwortete ich hastig und hätte mir beinahe meine Haare ausgerissen, so sehr hatten meine Hände sich in meinen Nacken gegraben.
„Todessehnsucht?"
„Bitte? Nein!"
„Nach was sehnen Sie sich dann?"
„Das Mädchen."
Verdammt ungünstig, verdammter Zufall, verdammter Kopf, der nicht aufhören konnte an sie zu denken.
„Welches Mädchen?"
„Nun... sie scheint nicht von dieser Welt. Sie scheint nicht zu existieren, bis sie auftaucht."
Was redete ich da? Merkte ich nicht, dass es das war, was er hören wollte?
Es musste nach Halluzinationen klingen, es musste nach Irrsinn klingen!
„Sie ist echt. Sie ist schön. Sie ist eine Perle. Eine Perle des Meeres."
„Haben Sie intensive Träume?"
„Ja."
„Welcher Art?"
„Sie sind gleich. Seit einigen Wochen ändern sie sich nicht."
Zenon?!
„Um was geht es?"
„Um das Meer, nein... um Wesen, die in ihr hausen."
„Ihr?"
„Das Meer schien mir immer weiblich."
„Wie sehen die Wesen aus?"
„Wie Engel und Teufel zusammen. Sie sind reizend, unmenschlich, perfekt. Sie sind göttlich."
„Monster?" fragte er erneut.
„Hmm. Ich weiß nicht, aber nein ich glaube nicht. Sie sind menschlich."
Er schien neutral.
„Das meiste von ihnen."
So, das wars. Das war der Punkt, an dem alles vorbei war.
„Gut Zenon. Das waren dann die meisten der heutigen Fragen."
Er stand auf, ließ meine Mutter in den Raum kommen und setzte sich wieder schwerfällig auf seinen klapprigen Stuhl.
„Also," begann er,„Zenon, du weist erschreckender Weise und zu meinem tiefsten Bedauern jene Zeichen auf, die auch dein Bruder zeigte. Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern die exakte Wortwahl."
Meine Mutter hielt sich zitternd die Hand vor den Mund und begann zu schluchzen.
„Meinen Sie die Unorientiertheit?! Oder doch etwa die Exzentrizität?! Ich verstehe es nicht!"
Ich hatte meine Stimme erhoben... Nein, ich schrie fast.
Meine Mutter zitterte am ganzen Leib bevor sie tief durchatmete, sich aufrichtete und mich mit einem finsteren Blick ansah.
„Ich werde mich nicht Eurer Diagnose als Irrer unterordnen, weder werde ich diesen unnützen Fragen antworten, noch ihnen Folge leisten! Ich bin nicht verrückt! Ich bin nicht mein Bruder!"
Ich schlug mit der Faust auf den Tisch.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt