und doch zugleich wundersame Welt...

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Und ab diesem Tag war ich still.
Innerlich wütete mein persönlicher Sturm, aber äußerlich folgte ich den Regeln dieses Hauses. Vielleicht würde es schneller gehen... vielleicht würde ich schneller gesund.
Und ich zweifelte nicht mehr an meiner Krankheit, bis mir die Augen geöffnet wurden. Geöffnet von einer jungen Frau, die ein rotes Kleid trug. Von einer Frau mit langen Haaren, die offen auf ihre Schultern fielen.
Sie war hier. Sie war gekommen...
Mein Herz blieb stehen, dann schlug es schneller als je zuvor.

Still hatte ich auf dem Bett gesessen und an den Verbänden an meinen Händen gespielt, als die Tür mit einem aggressiven Schrei aus den Angeln vor mir auf den Boden fiel.
Ein zierlicher rechter Fuß in die Luft gestreckt und der linke standhaft und kraftvoll auf den Boden gestellt.
Mein Blut kochte bei ihrem Anblick.
Woher kam sie?
Wieso jetzt?
Wie..?
„Zenon," sie lächelte aber ihre Augen kochten vor Wut. Und doch merkte ich, dass diese Wut nicht an mich gerichtet war.
„Bitte entschuldigen Sie, Sie können nicht..." hörte ich bereits die Rufe der Pfleger, die den Flur entlang rannten.
Richtig, denken Zenon... wie konnte Pearl hier ohne ein Teil der Familie zu sein, herkommen?
Vorausgesetzt sie war mit Erlaubnis hier.
Wohl nicht, denn sämtliche Pfleger bahnten sich ihre Wege durch die Gänge. Gruselig, dass ich ihre Schuhe von denen der Patienten unterscheiden konnte...
Warte...
Wie zum Henker konnte sie die Tür eintreten?!
„Zenon. Wir gehen," ihre Stimme war so weich. Ich hätte ihre ausgestreckte Hand genommen, meine Füße jedoch waren viel zu taub.
Ich war zu müde.
„Zenon..." ihr Blick war flehend. Die Zeit drängte.
„Ich träume," sagte ich und nahm ihre warme Hand.
„Realität wirkt manchmal fern. Aber ich bin hier. Ich bin hier. Es tut mir leid. Es tut mir so leid...Wir müssen uns beeilen."
Ich hatte gerade die Tabletten genommen und der Nebel wurde so dicht, dass ich mich nach vorn beugte, um mich zu übergeben. Ich entleerte nur wenig aus meinem Magen, aber als ich mit dem Handrücken über meinen Mund fuhr, wankte ich, bis ich meine Balance wiedergefunden hatte.
„Himmel, Zenon! Was hast du genommen?"
Meine Augen waren halb geschlossen, als ich auf den Tisch deutete, auf dem eine übrig gebliebene Tablette und ein Glas Wasser ruhten. Die Kopfschmerzen waren dröhnend, wie ein falsch gespieltes Blasinstrument.
„Ja! Natürlich sehr passend. Tut mir leid, aber wir müssen jetzt gehen." Ihr Blick war mitfühlend, fast schon zu zart für ihre raue Persönlichkeit.
Ich hatte mich vor ihr übergeben... sofort ich lief rot an. Der Brei auf dem Boden lachte mir amüsiert entgegen.
Sie nahm meine Hand und zog mich hinter sich her aus dem Raum.
Die Pfleger und Ärzte schauten sie mit zugleich verwirrtem und erschrecktem Blick an.
Fürchteten sie sich?
Meine Sehfähigkeit war nicht die beste in diesem Moment aber es fühlte sich fantastisch an. Fantastisch, dass sie hier war und die Tür eingetreten hatte.
Pearl drehte sich zu mir, lächelte nur, ließ meine Hand los und stellte sich schützend vor mich.
Eine Hand nach hinten gestreckt. Ein Zeichen für mich, um hier zu bleiben und mich nicht zu rühren.
Mir war schwindelig, als ich sah, wie sie wie eine Rachegöttin vor mir stand, ihren funkelnden Blick auf die Pfleger gerichtet.
„Bitte entschuldigen Sie, aber Sie können hier nicht bleiben. Dies ist die geschlossene Abteilung des Klinikums und sie haben keine Bescheinigung für einen Eintritt."
„Die brauche ich nicht."
„Oh doch. Jetzt gehen sie bitte und hören Sie auf den Patienten zu verwirren."
„Ich werde ihn jetzt mitnehmen. Die Zeit ist um," ihre Stimme klang fremd in diesem Moment. Rau und kalt.
Sie holte ein Papier aus ihrem Ärmel, hielt es unter die Nase eines der Männer und warf es dann auf den Boden. Fragte sich, ob die Männer überhaupt noch eine Stellung hatten, oder ob sie ihnen sofort allen übergeordnet war.
Womöglich ja.
Vergilbt lag das Blatt auf dem Boden, als er sich bückte und es an sich nahm. Er holte eine Bescheinigung heraus. Welche konnte ich von meinem Platz nicht sehen.
„Wir gehen jetzt," sagte sie und stumm folgte ich ihr bloß. Ihre Hand ergriff meine und ich fühlte mich stark. Stark bei ihr.
„Ich bleibe jetzt bei Ihnen, Zenon. Also wenden sie sich nicht ab," sprach sie, als wir die Tür erreicht hatten.
War sie nicht eher die, die sich bis jetzt stets abgewendet hatte? Wenn das ein Ende hatte, dann würde ich sehr glücklich sein... dann würde alles einen Sinn ergeben.
Und auf der Schwelle nach draußen drehte sie sich erneut zu mir, ihre Augen zeigten in diesem Moment alles.
Reue?
Angst?
Schuld?
Trauer?
Und etwas, was nach tiefer Zufriedenheit aussah. Nach Glück und Erleichterung.
Sie nahm meine Hand los, dann zog sie mich an sich.
Erstaunt darüber lag ich bewegungslos in ihren Armen.
„Mir geht es gut," sagte ich und lächelte. Jetzt ging es mir wirklich gut. Sollte das ein Traum sein, Gott lass mich nicht erwachen.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt