Das Sonnenlicht fast nicht mehr sichtbar...

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Und das hätte ich tun sollen. Einfach ins Meer stürzen... einfach all dem entgehen, dann wäre vieles anders gelaufen. Dann wäre die wohl schwerste Zeit meines Lebens ein wenig erleichtert gewesen.

Ich sah das Anwesen, die Lichter die im Wind wehten und das weiße Holz, welches im Dämmerlicht des warmen Kerzenlichts flimmerte. Diesen Anblick würde ich nicht vergessen. Diesen Moment nicht vergessen, der vieles geändert hätte, wenn ich einfach umgedreht und gegangen wäre.
Aber ich ging.

Das alte Haus lag weit abseits der anderen, die Ziegel waren dunkler und das Haus reich und prächtig erbaut, sodass es den anderen sagen sollte:„Hier wohnen jene, die euch übergestellt sind und dies immer sein werden."
Ich hasste das, nie hatte ich es verstanden. Das werde ich wohl auch nie.
Denn ich verstand auch nicht, warum unser Haus was ich liebte, da es auf den hohen Klippen ragte, den anderen überlegen war. An Bauweise, ja, an Grundstück, ja, aber das machte uns doch nicht zu besseren Menschen...
Als ich weiter gehen wollte, hielt mich jemand an meinem Handgelenk fest und als ich mich umdrehte sah ich in ein breit grinsendes Gesicht. Die Augen wegen des Lachens zu klein, als dass man sie sehen könnte.
Toni. Ich erschrak dennoch und er sagte laut lachend:„Entspann dich! Ich bin's. Hahaha."
Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und gab mir ein Buch in die Hand.
Ich öffnete es und las den Titel:„-Die mysteriösen Wesen des Meeres.-Was ist das, Toni?"
„Ein Bilderbuch, welches ich in unserer Bibliothek gefunden habe. Die Bilder darin gleichen deinen so unfassbar! Ich musste es dir zeigen!"
Seine Eltern führten die Stadtbibliothek und waren damit recht erfolgreich. Jedenfalls war sie riesig und die einzige in der Stadt noch dazu.
Ich schüttelte den Kopf und betrachtete des Einband.
Alt, staubig, dreckig.
„Ah," sagte ich nur, dann blätterte ich ein wenig nach vorn.
Ich staunte, denn er hatte nicht gelogen und die Ähnlichkeit der Bilder war erschreckend. Sogar einige der Gesichter der Wesen waren gleich.
„Oh... aber wie ist das möglich? Ist das eine Krankheit? Werde ich verrückt? Ist das wirklich ein Kinderbuch?"
Ich schaute mir den Einband erneut an. Es war sehr alt, aber ohne Zweifel kindlich verziert. Ich drehte es in meinen Händen und schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
„Aber wie ist das möglich?"
Frauen in Ballkleidern. Nackt auf Steinen.
Frauen so schön, dass sie unreal erschienen. Frauen, die Seemänner lockten.
Die Sirenen der antiken Mythologie?
Ich hatte nie beabsichtigt sie zu malen.
Ein eisiger Schauer lief meinen Rücken herab.
„Ich weiß nicht, warum du mir das gegeben hast. Die Bilder sind ähnlich, aber nicht gleich. Es ist ein Zufall, weiter nichts."
„Mn... aber Zenon, blättere bitte zur letzen Seite und sieh selbst!"
Ich tat, was er sagte. Meine Finger zitterten und als ich das letze Bild sah, ließ ich das Buch fallen.
Es zeigte ein Bild, welches ich erst gestern Abend malte. Es zeigte eine Verlobung. Eine Verlobung, bei der das Mädchen von Gestalt Pearl fast komplett glich. Nur hier war es eine Verlobung, bei der das Paar andere Kleidung trug, bei der ein anderes Zeitalter herrschte, bei der mittelalterliche Dörfer im Hintergrund zu erkennen waren. Wie war das möglich?
„Toni? Wo... wie?"
Er schüttelte bloß den Kopf, hob das Buch auf und sagte:„Ich habe keine Ahnung, wie das möglich ist. Aber es macht mir Angst, ich habe schon Gänsehaut, siehst du?" Er streckte seinen Unterarm unter meine Nase und man konnte die aufgestellten Haare wirklich sehen.
Angsteinflößend?
„Das. Ist. Ein. Kinderbuch. Nichts weiter! Ich gehe jetzt nach Hause!"
„Wooh! Warte Zenon! Tut mir leid, ich wollte dich nicht verunsichern, ich dachte nur..."
„Was dachtest du? Es gäbe mir Sicherheit? Es wäre klug? Denn das ist es NICHT! Ich habe Angst Toni! Ich fürchte mich, dass ich so werde wie mein Bruder! Ich fürchte mich und du hast es schlimmer gemacht!"
„Es tut mir so leid! Ich dachte nur es würde Klarheit bringen..."
„Klarheit? Es bringt das Gegenteil! Ich werde verrückt! Ich werde wie mein Bruder und ich werde sterben, soll das Klarheit sein?"
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dieses Thema anzusprechen, und das von mir selbst, war unklug. Denn dieses Thema versetzte mich sein je her in Panik. Und genau das wusste Toni. Deshalb kam er zu mir, legte mir seine Hand auf die Schulter und sagte leise:„Entschuldigung. Ein-aus. Ein-aus."
Meine Atmung war hastiger als sein Befehl, aber es klappte.
„Geh jetzt besser nach Hause...Sagst du es deiner Mutter?"
„Meine Panik, oder das mit dem Buch? Beides werde ich nicht tun. Keine Sorge."
„Danke."
"Toni... Entschuldigung, ich habe überreagiert."
Das hatte ich wirklich, aber jedes Mal... jedes Mal erschreckte es mich aufs Neue.

Ich ging die Stufen hinauf und klopfte an der alten, dunklen Tür. Ich fühlte mich in dem Moment, in dem ich meine Mutter dort vor mir stehen sah, als läge ein dicker Strick um meinen Hals und das dicke Seil würde tief in meine Haut schneiden. Als fehlte mir jede Luft und meine Füße zitterten, als fiele ich und würde doch ersticken. Und da fühlte ich etwas heißes an meiner Wange. Ich hob meine Hand und legte sie auf meinen hohen Wangenknochen.
Sie hatte mich geschlagen.
Ich senkte meinen Blick, denn ich wollte ihr nicht länger ins Gesicht sehen. Ich war beschämt. Vielleicht lag es daran, dass ihre Augen wie die eines Drachen glühten, oder ihre Lippen vor Wut zitterten. Ihre Augenbrauen zusammengezogen waren und ihr Atem in der kühlen Nacht deutlich zu sehen war.
Vielleicht zitterte ich auch, weil die Kälte der Nacht mich erfasste, der Wind mich frösteln ließ.
„Zenon! Du wagst es!"
„Mutter. Ich entschuldige mich für mein spätes Erscheinen. Bitte verzeih."
„Du glaubst, du bist in der Lage dazu, dich selbst zu entschuldigen?!"
Sie griff meinen Kragen und zog mich ins Haus.
„Du glaubst, dein ungezogenes Verhalten sei, was mich erzürnt!?"
Sie riss mich so fest nach unten, dass ich taumelte.
Weinte sie?
Weinte ich?
Denn auf den Boden tropften winzige Wasserperlen.
„Bitte entschuldige Mutter, ich verstehe nicht."
„Du undankbarer Junge!"
Sie ließ meinen Kragen los und ich blickte auf.
In der Hand hielt sie die Bilder. Die dreizehn Bilder.
Und in der anderen das Bild, dass ich erst gestern Abend gezeichnet hatte. Es zeigte Pearl. Sie, wie sie auf einem seichten Hügel stand. Am Boden ein junger Mann kniend. Ihr einen Ring auf den linken Ringfinger steckend.
Zitronenhaine im Hintergrund und in Körben gestapelt um das Bauernpaar.
„Sag mir, was ist das?"
Ihre Nägel bohrten Löcher in das Papier.
„Nichts. Nichts! Nur Gedankenfetzen. Nichts! Mutter, bitte!"
„Zenon, ich habe dir Freiraum gelassen um eine Frau zu finden, und nicht um Hirngespinsten hinterher zu jagen! Und du wagst es dir Zeit zu nehmen um solch Unerhörtes zu zeichnen?! Geh! Geh hoch!"
So schnell es ging lief ich an ihr vorbei.
Dann drehte ich jedoch noch einmal um.

Heute eine etwas längere Seite. Ich hoffe es gefällt euch. Schreibt mir gerne eure Meinung und Wünsche in die Kommentare.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt