Wie kleine Bakterien, die sich ständig vermehren.

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Als ich an diesem Nachmittag aus der Tür trat ahnte ich nicht, was mich erwarten würde. Es war nur, als würde die ganze Welt ihre Hände nach mir ausstrecken und mich weiter nach vorn zum Strand hin ziehen. Ja, ihre langen Finger schoben mich immer unsanfter nach vorne, bis ich irgendwann meinen hastigen Laufschritt zu einem langsamen Rennen erhöhte. Ich musste nach vorn!
Und hier war ich nun. Stehend auf einer Sanddüne. Dürres, trockenes Gras wuchs hier und am Rande, beschienen von der Nachmittagssonne und hell im glitzernden Sand sitzend, schaute Pearl zu mir. Ihre Lippen zu einem Lächeln gezogen.
Wieder ein Zufall?
„Sie können nicht von mir lassen," kicherte sie und stand auf. Langsam klopfte sie den feinen Sand aus ihrem eng geschnürten Wickelkleid.
Atemberaubend...
Es lockte mich, ihr weiches Haar zu berühren. Nicht dass ich es je berührte und wüsste, wie es sich anfühlte, aber es war durchaus offensichtlich, dass es wie Seide an ihrer Hüfte wellig herunterlief.
Ihre eisblauen Augen hielten mich gefangen. Ihre dünnen Hände steckten eine kleine Strähne hinter ihr makelloses Ohr.
„Haben Sie Zeit?" Fragte ich.
Wo war meine Nervosität geblieben?
Langsam schüttelte sie den Kopf und schaute auf das weite Meer.
„Ich muss heim. Meine Mutter wird zornig werden." Langsam hob sie ihre Hand und berührte meine Wange. Ihr Atem war lauter geworden. Ihre Lippen zu einem sanften Lächeln gezogen. Ihre Augen glasig.
„Zenon...hmm. Ich muss gehen."
Ihr Gesicht so nah an meinem zu spüren versetze mich in einen Schock. Ja, ich zitterte.
Fürchtete ich mich?
Ihre Augen waren edel geformt und schief gelegen, dass sah ich hier noch besser.
Ihre warme Hand strich langsam durch mein Haar, bis sie auf meiner Wange liegen blieb. Als sie ihre Hand wegziehen wollte nahm ich sie in meine und legte meine Hand an ihre Wange.
„Sie sind so warm."
Sie lachte und versetze mich in einen peinlichen Schock über mein ungezügeltes Verhalten.
Ich schämte mich. Wieso musste ich auch sagen, was ich dachte?
„Wärme kann trügen. Lassen Sie mich bitte los." Ihre edel geformten Augen waren kalt geworden. Keine Sonne glitzerte im Gletschereis.
Sie zog ihre Hand zu sich und drehte sich.
„Pearl!"
Das durfte nicht unser letztes Treffen sein!
Ich musste sie kennenlernen. Richtig. Ich musste ihre Stimme hören.
Auch wenn ich nichts lieber hörte, als diesen perfekten Gesang.

Einige Tage später, ich war viele Male hinunter zum Strand gegangen, um sie zu sehen, um ihre Stimme zu hören, da glaubte ich, verrückt zu werden. Der Gesang hielt mich nächtelang wach. Er raubte mir Schlaf und Sinne. Und ihre Augen schreckten mich aus meinen Tagträumen. Ihre Wärme fehlte mir. Ihre Stimme fehlte mir. Ich wollte sie hören. Und wenn auch nur in Ferne sehen.
Jeden Tag stand ich auf der Düne, am Pier, ich suchte sogar in der Stadt nach ihr, aber ohne Erfolg.
Meine Eltern schienen aufgebracht. Dieses fremde Mädchen wollten sie sobald wie möglich kennenlernen. Sie wollten sie um jeden Preis sehen.
Und ich zitterte bei dem Gedanken daran, sie nie wieder zu sehen.
Aber ich sah sie wieder. Ich sah sie so bald schon wieder, dass meine Ängste umsonst gewesen waren, denn als sie eines Morgens am Pier saß, da schlug mein Herz wieder höher.
Den Rücken mir zugewandt starrte sie auf das Meer. Ihre hellen Beine baumelten hinunter und doch berührten sie das Wasser nicht.
Ich setzte mich neben sie und schaute auf das plätschernde Wasser. Helle Sonnenstrahlen funkelten auf der klaren salzigen Wasseroberfläche.
„Zenon." Das war das einzige, was sie sagte.
„Hm?"
„Tut mir leid. Es tut mir leid."
Ich beobachtete ihr perfektes Seitenprofil, während sie die Worte sagte, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstand.
„Was tut Ihnen leid?"
Sie griff nach meiner Hand und langsam legte sie ihre Hand in meine. Mein Glück konnte ich in diesem Moment nicht fassen, nur staunen.
„Zenon, ich entschuldige mich. Ich kann Sie nicht mehr sehen."
„Ich hatte das befürchtet. Und ich glaube ich weiß, woran es liegt."
Sie zuckte heftig zusammen und riss ihre Hand aus meiner. Erstarrt blickte sie mich an.
„Was?" Es war mehr ein Flüstern, als eine tatsächliche Frage.
„Sie haben bereits einen Verlobten, oder?"
Sie atmete laut aus, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Hatte sie die ganze Zeit die Luft angehalten?
Ihr Lachen versetze mich wieder in die Scharmebene, aus der ich so oft nach unserem Gesprächen nicht herauskam. Jedes Mal blamierte ich mich!
„Oh Gott, nein..." sie nahm ihre Hand und legte sie flach auf die Stirn.
Sie überlegte noch einmal bevor sie sprach.
Nie wieder sehen, sie formte ihre Lippen zu einem Lächeln und blickte aufs weite Meer, als hätte sie ihre Entscheidung überdacht.
„Ich werde einige Tage nicht in der Stadt sein... und ich werde...wenn ich wieder da bin, lasse ich es Sie wissen. Keine Sorge, ich bin nicht verlobt."
Sollte mich das beruhigen?
Denn es versetze mich eigentlich noch viel mehr in die Scharmebene.
Lasse ich es Sie wissen.
Ich würde mich gerne selbst Ohrfeigen. Gott!
Ich schaute sie weiter an und als der Wind durch mein schulterlanges Haar wehte, stand sie auf, drehte sich abrupt um und ging.
Ihre Hand zitterte.
„Ich gehe..."
Jedes Mal das Gleiche... jedes Mal... ich sehnte mich nach Zeit. Nach so viel mehr Zeit. Denn ich hatte das Gefühl, diese rinnte durch meine Finger und ich könnte sie niemals halten.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt