Eine volkommen andere Welt, wir tauchen immer tiefer und tiefer.

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Erst dachte ich, dass sie die Sterne in dieser klaren Nacht beobachtete, aber schnell bemerkte ich, dass ihre Atmung hastiger wurde. Ihre Brust hob sich nicht rasend, sondern zu stockend, als das es wegen der Anstrengung des Tanzes sein könnte.
Und mit einem Mal setze sie den Fuß auf den Saum ihres Kleides und fiel. Mit einem schnellen Schritt nach rechts fing ich sie auf und ihre Hände krallten sich in meinen Arm.
Es sah mit Sicherheit so aus, als stünde sie in einer engen Umarmung mit mir im Mittelpunkt des Saales. Einigen Blicke trafen uns bereits jetzt.
„Geht es Ihnen nicht gut? Brauchen Sie etwas?"
Sie hob ihren Kopf. Verwirrt stieß sie mich von sich und keuchte wütend.
Ihre Augen brannten förmlich.
Alle Blicken schienen auf uns gerichtet. Eine Szenerie, die sie nicht vergessen werden. Ein junger Mann belästigt die Dame auf der Tanzfläche. Wenn sie dies kolportierten, würde es dem Ruf unserer Familie schaden, aber daran dachte ich in diesem Moment nicht. Denn in diesem Moment spürte ich nur die Hitze des Schames in mir empor kriechen.
Pearl wendete auf den Absätzen ihrer Schuhe und drehte sich um.
„Warten Sie doch bitte! Bitte entschuldigen Sie mein unangebrachtes Verhalten!"
Aber sie wendete nicht.
Also lief ich ihr nach. Unsere Schritte waren das einzige, was man laut hörte. Die Musik hatte gestoppt. Das Tuscheln der Gäste jedoch nahm zu.
Und ich versuchte durch die gedrängten Paare zu laufen.
Ich war „Abschaum", mit großer Wahrscheinlichkeit dachten dies die Meisten dieser Leute.
Aber mir war das egal. Ich konnte sie nicht gehen lassen. Nicht so!
Als ich endlich einen Weg gefunden hatte, um durch die Menschenmenge zu kommen, fand ich sie nicht gleich. Ich lief durch die hohen Gänge und wäre beinahe vorbeigerannt. Meine Schuhe klappernd auf dem Boden. Aber da sah ich sie, oder dachte es einen Moment lang. Schnell drehte ich und schaute auf die Treppe, die hinunter zur Straße führte. Welch ein teueres Anwesen das hier war...
Die Treppe hatte zwei Richtungen und sah aus wie ein römischer Balkon eines Herrschaftspalastes.
Und da stand sie. Den Rücken mir zugewandt. Die Haare wehend im Wind. Aber etwas war anders. Sie waren schwarz. Dunkel wie die Nacht. War es wirklich das gleiche Mädchen?
Ihre warme Haut war nun kreidebleich und als sie sich zu mir drehte und mich mit tiefen, blutroten Augen ansah, da gefror mein Blut binnen weniger Sekunden.
Angst...
Ich fürchtete mich.
Im Mondschein sah ich, wie ihre Haut von unzähligen, zarten Schuppen versehen waren.
Ich wollte zu ihr und ich wollte rennen.
Ich wollte nichts mehr, als zu schreien und mich zu verstecken und doch wollte ich, dass sie mich berührte. Ich wollte ihre Lippen auf meinen fühlen. Ich wollte ihren zarten Hals berühren. Ich wollte sterben und leben.
Und als ich einen Schritt näher ging, ohne dass ich es selbst merkte, da sagte sie panisch:„Komm' nicht näher!"
Sprachlosigkeit überrannte mich.
Meine Zunge war wie festgewachsen.
Ohne den Blick von mir zu nehmen lief sie einige Schritte zurück. Dann rannte sie los.
„Warte," flüsterte ich, unfähig mich zu rühren. Meine Hände zitterten und waren nass vom kalten Schweiß.
Ich konnte nur dabei zusehen, wie sie zur Bucht lief.
Mit einem Wimpernschlag, den ich danach direkt bereute, war sie verschwunden.
Ins Meer gefallen?
Und ich konnte mich wieder rühren. Angst ließ mich zittern, als ich ins Meer rannte und ihren Namen rief. Immer wieder...
Weiter konnte ich nicht gehen, denn das tiefschwarze Meer wurde nach einer Ellenlänge tief und dunkel.
„Pearl, hören Sie mich?"
Keine Hilfeschreie.
Kein Keuchen.
Nichts.
Aber ich konnte doch nicht aufgeben...
Und ohne zu überlegen, band ich das kleine Fischerboot, von denen hier viele am Rande der Bucht in den Wellen schaukelten, ab.
Sofort paddelte ich hinaus ins Ungewisse.
Traum...
Gott, lass es ein Traum sein!

Ich wusste nicht, wie lange ich suchte.
Wie lange ich rief und fast ins Wasser gefallen wäre. Aber aufgeben konnte ich nicht.
Als ich nur noch schwarz sah, erschrak ich. Wo war ich? Wo war Land, wo das offene Meer?
Alle Luft schien aus meinen Lungen gepresst und ich fing unkontrolliert an, zu zittern.
Aber kalt war mir nicht...
Da hörte ich etwas. Ein fernes Säuseln.
War es bloß der Wind, oder doch das Mädchen, dass ich schon tot geglaubt?
Sofort paddelte ich auf das Geräusch zu.
Es war ein Gesang. Klarer als jede frische Gebirgsquelle. Rauer als jede zerschellte Welle im Sturm. Mein Herz raste.
Drei junge Frauen schimmerten im Mondlicht. Von Gestalt und Erscheinung glichen sie Pearl, auch wenn ihre Gesichter völlig anders aussahen. Die Aura, das Gefühl beim Anblick war das Selbe. Seidiges schwarzes Haar, welches nicht nass wirkte wehte im Wind. Sie saßen auf einem Stein, so genau konnte ich das nicht erkennen...
Ihre nackten Körper waren so reizvoll, dass ich glaubte wahnsinnig zu werden. Die Hüften der Frauen jedoch waren im dunklen Wasser verschwunden. Den Text des Liedes konnte ich nicht erahnen. Eine Sprache, die ich nicht sprach. Ein Gesang von solches Klängen, dass es nicht menschlich wirkte.
Mein Herz war warm voller Freude, wie es das eines jeden Mannes wohl wäre, wenn er auf diese Wesen blickte. Und doch hatte ich Angst. Tief, tief in mir.
Die Frauen schwammen um das kleine Fischerboot. Eine der hübschen Jungfrauen streckte ihre Hand nach vorn, sodass sie sich am Holz des Bootes nach oben zog. Die Haare glitten weich und seidig an ihr herab.
Das Boot schwenkte, sodass ich ihr direkt in die Augen sah.
Und ich konnte meinen Blick nicht von ihr nehmen. Das Lächeln dieser Frau raubte all meine Sinne.
Ich wollte sie!
Ich musste sie berühren.
Wenn auch nur ihr Gesicht, wenn auch nur ihre Wange... ich musste sie berühren!
Als würde sie wissen, wonach mir der Sinn stand, reckte sie den Hals nach vorn und hob eine ihrer Hände, um meine zu ergreifen. Langsam berührte mich ihre nasse Hand und hob sie an ihr Gesicht. Meine Finger zitterten, als ich ihre makellose Haut berührte.
Willst du mich?
„Ja."
Dann komm.
Es hörte sich fast wie ein Glucksen an. Ein schemenhaftes Lachen.
Ihre Finger waren mit dünnen, fast durchscheinenden Häuten verbunden. Ihre Ohren verkümmert und spitz.
Komm, Seeman.
Ich lächelte und während das Boot immer weiter zur Seite kippte, ließ sie mich nicht los.
Alle Jungfrauen tauchten hinab und mein Gesicht glitt in das kühle Nass.
Nicht fähig mich zu rühren. Aber das wollte ich auch nicht...
Da hörte ich eine weit entfernte Stimme und doch wusste ich gleich, wem sie gehörte.
Fasst ihn nicht an, er ist es nicht!

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt