55.

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Ich rannte. In luftiger Nachtkleidung und mit pochendem Herzen.
Nein!
Nein!
Nein!
Niemals würde ich daran glauben!
Es konnte nicht real sein!
Es durfte nicht real sein!
Immer schneller rannte ich.
Das Wetter war viel zu schön. Mein Kopf dröhnte, aber ich hielt nicht an.
Schneller... nur schneller...
Ununterbrochen schluchzte ich und wischte mir über die nassen Wangen.
Es geht um Antonio. Er ist schwer verletzt. Die Ärzte wissen nicht, ob sie ihm helfen können.

„Kannst du nicht aufwachen? Bitte..."
Ich hielt seine kalte Hand und sah in sein Gesicht. Es war über und über mit roten und blauen Flecken überseht. Die Haut um seine Augen war wund und geschunden. Nie wieder würde ich ihn sehen und nicht an mein Versagen denken müssen.
Sein Körper lag schlaff auf dem Bett.
„Wenn du aufwachst und gesund wirst, werden wir immer das tun, was du möchtest! Wir werden durch die Straßen rennen und heiße Fleischspieße essen, während wir unsere Füße in kaltes Wasser halten und wir werden unbeschwert leben. Du musst nur aufwachen..."
„Du hörst dich müde an, mein Freund."
Für den Bruchteil einer Sekunde hätte ich seine raue Stimme ihm nicht zuordnen können, aber sein zartes Lächeln in den Mundwinkel zeigte mir, dass er es wirklich war.
„Mir geht es gut," sagte ich und lachte leise.
Er war wach...
Langsam kreiste ich meinen Daumen auf seiner Hand. So war er schon immer gewesen. Hilfsbereit, auch wenn seine Probleme die der anderen bei weitem übertrafen.
„Was du gerade gesagt hast... ist das dein Ernst?"
„Ja sicher."
Er lächelte erleichtert.
„Ich habe nichts gesehen ich habe nur diesen Gesang gehört und wollte ihm folgen. Gesehen habe ich nichts. Es war sehr dunkel. Zenon, mir tut jetzt alles weh."
„Das wird heilen..."
„Glaubst du ich bin auf einen Felsen gestürzt, als ich von der Klippe sprang?"
„Ja."
Nein, denn sie hätten dich beinahe zerfetzt.
„Es ist komisch. Wieso habe ich das Gefühl dass ich dich bald verliere?"
Ich schloss meine Augen.
Weil dies unweigerlich geschehen würde.
Ich war so müde. Ich war es so leid. All das Leid. All die Stimmen in meinem Kopf die immer lauter krischen und mich zum Abgrund drängten. Dabei sollte all meine Kraft für ihn aufgewandt werden. Ich sollte für ihn da sein und sein ganzes Leben lang dafür bezahlen, dass ich schuldig an seiner jetzigen Situation war. Er war beinahe ertrunken und verwundet und ich konnte an nichts anderes denken, als meine eigenen Schmerzen.
Erbärmlich, Zenon.
Erbärmlich.
Der Stress der letzen Tage schien wie ein Gewicht auf meinen Schultern zu liegen und mich immer weiter hinunter zu drücken. Ich hätte nie gedacht, dass mich die Liebe zu einer Sirene so vereinnahmen würde. Dass all meine Gedanken darüber kreisten.
Ich war nicht Herr meiner eigenen Sinne aber nun musste ich bei ihm sein und deshalb war ich hier. Für ihn.

„Was habt ihr getan? Feiglinge! Monster!"
Ich fiel auf die Knie und schrie hinauf aufs Meer. Aber niemand antwortete mir.
„Wieso musstet ihr ihm sein Licht nehmen und ihm im Dunkeln lassen? Wie habt ihr das überhaupt geschafft?!"
In diesem Moment berührte mich eine zarte Hand an der Schulter. Pearl...
Ich war wütend und sie war es auch. Auf das Meer...
Und die anderen fluchten mit uns. Armin weil sie die erste Liebe ihres Lebens bereits ermordet hatte und die anderen, weil sie damit Pearl verraten hatten.
Mit mir verfluchte sie die Wahl ihres Opfers und mit mir besuchte sie Tonino um ihm den Aufenthalt dort zu erleichtern.
Detailliert erklärte sie mir, dass er nicht auf einen Stein gefallen war, aber tatsächlich ihrem Gesang verfiel. Dass er voller Sehnsucht und Freude zu ihnen gegangen war und noch im Umbewusstsein von Freiheit geredet hatte.

Die Wunden an seinem Bauch waren tief und heilten langsam, aber sie heilten.
Doch was mich immer wieder beschäftigte war mein Traum. Ob die Sirenen Träume schafften oder mein vergifteter Verstand mir zeigte was in Bezug auf die Sirenen geschah?
Mit jeder Sekunde, in der Tonino mehr heilte vereinnahmte das Gift in mir mich immer weiter.
Ich konnte es nicht stoppen, auch als ich mit dem halbwegs genesenen Tonino durch die Straßen schlenderte. Es blieb in meinen Gedanken stets präsent.

Sirens___Ein tödlicher KussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt